In Erdmannhausen wird bundesweit die erste Schlecker-Filiale unter Verdi-Regie wieder eröffnet. Der Druck ist groß: Viele Nachahmer stehen schon Schlange.

Erdmannhausen - Das hätte sich Karin Meinerz vor wenigen Monaten wohl kaum vorstellen können: Die ehemalige Schlecker-Betriebsrätin kann sich derzeit vor Medienanfragen kaum retten. Ständig rufen Journalisten bei ihr an, wird sie zu Fototerminen gebeten oder von Fernseh-Teams gefilmt. Ein TV-Sender wird sie sogar bis zum Jahresende auf Schritt und Tritt begleiten.

 

Dabei stand Meinerz vor Kurzem noch vor dem Nichts. Sie gehörte zu den rund 25 000 Mitarbeiterinnen, die nach der Pleite des Drogeriekonzerns Schlecker arbeitslos wurden. Doch gleich bei der ersten Versammlung der Gewerkschaft Verdi, die mit einem Genossenschaftsprojekt die Schlecker-Frauen wieder in Lohn und Brot bringen will, war Meinerz mit dabei. Nun ist sie – zusammen mit ihren Mitstreiterinnen Bettina Meeh und Annemarie Keller – die erste deutschlandweit, die eine Schlecker-Filiale in dieser Form wieder eröffnet. In Baiersbronn (Kreis Freudenstadt) hat zwar vor einigen Tagen eine Schlecker-Frau eine Filiale reaktiviert, allerdings auf eigene Faust.

Der Druck kommt von allen Seiten

Wann genau der Laden in Erdmannhausen wieder laufen soll, ist noch unklar. Anvisiert ist Anfang November, aber es gibt noch einiges zu tun. Unter anderem stehen noch Formalitäten und die Neugestaltung des Geschäfts aus. Gleichzeitig kommt Druck von allen Seiten. Das Frauentrio will natürlich schnell wieder etwas verdienen, die Gemeinde Erdmannhausen will so wenig Leerstand wie möglich – und Christina Frank, die als Verdi-Sekretärin in Stuttgart das Genossenschaftsmodell vorantreibt, will endlich den ersten Laden aufmachen.

„Wir müssen das jetzt durchziehen, damit wir sehen, wie es funktioniert“, sagt Frank. Denn inzwischen wird sie von Anfragen geradezu überrollt. Bis zu 100 Anrufe bekommt sie am Tag, und alle wollen Tipps für den Genossenschaftsladen. Eigentlich sollte das Projekt vorerst nur in der Region Stuttgart getestet werden, doch längst melden sich Interessierte aus ganz Deutschland.

Der Kreis Ludwigsburg hat die Nase vorn: Nach Erdmannhausen soll möglichst auch noch in diesem Jahr eine Filiale in Bietigheim-Buch wieder eröffnet werden. Auch in Murr, Asperg und Möglingen werden Gespräche geführt, ebenso in den Ludwigsburger Stadtteilen Neckarweihingen, Hoheneck und Eglosheim. In Ditzingen hat der Vermieter der ehemaligen Drogeriefläche wieder Interesse angemeldet, nachdem er zunächst eine Absage erteilt hatte. Aus den anderen Landkreisen der Region kommen laut Frank ebenfalls zahllose Anfragen, vielversprechend seien vor allem Aidlingen und Gärtringen (Kreis Leonberg).

Standortkommunen müssen viele Kriterien erfüllen

Konkreter könne sie noch nicht werden, denn es müssten noch viele Kriterien abgefragt werden, bevor Verdi in den jeweiligen Orten aktiv werden könne. Insbesondere müsse die Kommune einen stabilen Einzelhandel aufweisen, über genügend Kaufkraft verfügen und vor allem müsse das Projekt die Unterstützung der Bevölkerung haben. Ohne Letztere geht es nicht. Das Konzept funktioniert nur, wenn die Bürger die „Stützli“ genannten Wertmarken kaufen, die als zinslose Kleinkredite fungieren. Denn „das Hauptproblem ist die Finanzierung“, sagt Frank. Die Schlecker-Frauen hätten kaum Kapital und zinslose Darlehen in großem Stil einzutreiben sei schier unmöglich. Letztlich gehe es darum, was den Bürgern die Nahversorgung wert sei.

Den Erdmannhäusern ist sie offenbar viel wert: „Wir werden von allen Seiten unterstützt“, betont Karin Meinerz. Und die Chancen stehen gut. „Erdmannhausen hat ideale Bedingungen“, sagt Stefan Dreher, einer der lokalen Ansprechpartner der Schlecker-Frauen in der Region. Denn wenn die Drogerie wieder komme, fungiere der Einzelhandel im Ort zusammen genommen wie ein großer Supermarkt.