Seit einem halben Jahr läuft der Strafprozess gegen den früheren Drogerie-König Anton Schlecker vor dem Stuttgarter Landgericht. Schleckers Problem: Bei einer Insolvenz greift das Strafrecht sehr schnell.

Stuttgart - Manchmal interessiert sich der Vorsitzende Richter für Einzelheiten, die ziemlich nebensächlich klingen. Warum Anton und Christa Schlecker bei der fast 60 000 Euro teuren Urlaubsreise ihrer Kinder und Enkelkinder nebst Kindermädchen nach Antigua (Karibik) nicht dabei gewesen seien, will er zum Beispiel von der früheren Sekretärin des Chefs wissen. Und ob die Anweisungen für die Buchungen der Kinder über das Drogerieunternehmen zusammen oder einzeln erfolgten.

 

Mit solch harmlos klingenden Fragen versucht Roderich Martis, Licht ins Dunkel der Schlecker-Pleite zu bringen: Wann musste der Drogerie-König davon ausgehen, dass sein Reich nicht mehr zu retten ist? Und hat er vorher Vermögen beiseitegeschafft, wie ihm die Anklage vorwirft? Ende 2011, kurz vor dem Insolvenzantrag im Januar, stand ihm der Sinn womöglich nicht nach Urlaub. Seine Sekretärin hat aber eine andere Erklärung: „Die Familie hat hin und wieder eine Reise miteinander unternommen, meist einmal im Jahr“, sagte sie als Zeugin. „In diesem Jahr waren schon alle zusammen in Wien gewesen.“

Der Richter hat schon den früheren Porsche-Finanzchef zu einer Geldstrafe verurteilt

Martis lässt nicht erkennen, welcher Seite er zuneigt. Mit dem Bohren dicker Bretter kennt er sich aus. Er war auch der Vorsitzende Richter im Prozess gegen den früheren Porsche-Finanzchef Holger Härter, in dem es um Kreditbetrug ging. Für den Angeklagten ist die Sache nicht gut ausgegangen. Härter wurde im Juni 2013 zu einer Geldstrafe verurteilt.

Seit einem halben Jahr läuft der Prozess vor dem Stuttgarter Landgericht gegen Anton Schlecker und seine Kinder Lars und Meike; das Verfahren gegen Ehefrau Christa wegen Beihilfe wurde gegen Zahlung einer Geldauflage von 60 000 Euro zwischenzeitlich eingestellt. Der Zeitpunkt, an dem sich die Pleite abgezeichnet hat, ist umstritten. Die Staatsanwaltschaft behauptet, dass die Entwicklung spätestens Ende 2009 auf dieses Ende zulief. Zeugen vor Gericht haben Schlecker noch deutlich länger eine Chance gegeben, bevor dann spätestens ab der zweiten Jahreshälfte 2011 die Talfahrt nicht mehr aufzuhalten war. Schlecker selbst wollte selbst da noch nicht aufgeben. So sagte seine Sekretärin: „Die Familie hat noch in der Insolvenz die Chance gesehen, das Unternehmen zu retten. Die haben bis zum Schluss nicht geglaubt, dass es zu Ende geht.“

Mancher Unternehmer ist zahlungsunfähig, ohne es zu wissen

Der Zeitpunkt, ab dem die Insolvenz drohte, ist von Bedeutung, obwohl Schlecker als eingetragener Einzelkaufmann nicht verpflichtet war, einen Insolvenzantrag zu stellen und sich damit auch nicht der Insolvenzverschleppung schuldig machen konnte. Aber strafbar ist eine Pleite dann, wenn zum Beispiel Gläubiger vorsätzlich geschädigt wurden. Solch ein Bankrott liegt vor, wenn im Fall einer Überschuldung oder einer drohenden oder einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit Teile des Vermögens auf die Seite geschafft werden.

„Die drei Insolvenzgründe greifen relativ schnell“, sagt der Fachanwalt für Insolvenzrecht einer großen Kanzlei in Stuttgart. „Zahlungsunfähig ist ein Unternehmer schon dann, wenn er nicht mindestens 91 Prozent seiner fälligen Verbindlichkeiten bedienen kann. Vor mir standen schon Unternehmer, die waren zahlungsunfähig, ohne es zu wissen.“ Zahlungsunfähigkeit, so ergänzt er, setze keine Mahnbescheide oder Pfändungen voraus. Wer Zahlungen aufschiebt und hofft, dass sich der Lieferant nicht wehrt, kann trotzdem strafrechtlich belangt werden. Und wann muss ein Unternehmer von „drohender Zahlungsunfähigkeit“ ausgehen? „Wenn er heute trotz rückläufiger Umsätze noch all seine Rechnungen bezahlen kann, aber weiß, dass er es bei weiter schrumpfenden Erlösen in einigen Monaten nicht mehr kann“, sagt der Rechtsanwalt. Die Schlecker-Umsätze sind seit 2008 geschrumpft. Zudem haben sich die Verluste in den vier Jahren vor der Pleite auf insgesamt 478 Millionen Euro addiert.

Zumindest auf Strafmilderung kann Schlecker hoffen

Die Ankläger werfen Schlecker vor, in 36 Fällen Vermögen beiseitegeschafft und so den Gläubigern etwa 25 Millionen Euro vorenthalten zu haben. Zwar hat die Familie im Frühjahr 2013 an den Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz 10,1 Millionen Euro gezahlt, weil Anton Schlecker den Verwandten noch kurz vor der Insolvenz Immobilien und Geld zukommen ließ. Damit ist der 72-Jährige aber nicht aus dem Schneider. „Zivilrechtlich lässt sich das rückgängig machen, strafrechtlich nicht“, sagt der Stuttgarter Insolvenzspezialist. Nur beim Strafmaß könne sich mildernd auswirken, wenn sich ein Angeklagter um Wiedergutmachung des Schadens bemüht habe.

Darauf deutet hin, dass sich die Verhandlungen mit Schlecker nicht lange hingezogen haben, wie eine Anwältin aus der Kanzlei von Geiwitz als Zeugin vor Gericht bestätigte. „Es gab eine relativ schnelle Einigung“, sagte sie. Ursprünglich wollte Geiwitz 12,7 Millionen Euro. Den Abschlag nahm er der Anwältin zufolge wegen rechtlicher Risiken und aus Zeitgründen hin. Rückgängig gemacht wurde etwa eine Schenkung von 800 000 Euro an die Enkelkinder. Von Lars und Meike forderte Geiwitz sieben Millionen Euro zurück, die sie sich mit Hilfe des Vaters von der Logistikfirma LDG geholt hatten, die ihnen gehörte. Geld von Anton Schlecker steckte auch in der Berliner Eigentumswohnung von Lars Schlecker; dafür wurden ebenso Rückflüsse vereinbart wie für einen Tennisplatz in Ehingen, den Lars und Meike geschenkt bekommen hatten, sowie für die Übertragung des Familienanwesens auf Gattin Christa.

Die Logistikfirma folgte Schlecker in die Insolvenz

Teil des Vergleichs war auch die Rückzahlung von Honoraren und Vergütungen, die Christa Schlecker ohne Gegenleistung erhalten haben soll. Die gesamte Vereinbarung zwischen Geiwitz und Schlecker enthält den Zusatz, dass damit keine Anerkennung einer Schuld verbunden ist. Dies sei in solchen Fällen üblich, antwortete die Anwältin auf eine entsprechende Frage des Richters. Offensichtlich nicht Bestandteil der Einigung waren die in der Vergangenheit überhöhten Vergütungen, die die Logistikfirma LDG von ihrem einzigen Kunden erhielt, der Drogeriekette Schlecker. Geiwitz senkte aber den stolzen Stundensatz von 30 auf 20 Euro – „ein marktüblicher Preis“, so die Mitarbeiterin des Insolvenzverwalters vor Gericht. Ein förmliches Angebot sei am Markt aber nicht eingeholt worden, weil kein Dritter eine so umfangreiche Dienstleistung wie LDG hätte erbringen können. LDG folgte Schlecker in die Insolvenz.