In der Schlemmer-Biografie, die die Stuttgarter Kunsthistorikerin Karin von Maur verfasst hat, wird das Bild so beschrieben: Im Zentrum steht eine dreifigurige Darstellung von Mann, Frau und Kind, die mit den geometrischen Grundformen von Quadrat, Dreieck, Parallelogramm und mit den elementaren Farben Blau, Rot, Gelb in Beziehung gebracht werden. Dem Druck der Verhältnisse abgerungen, war dieses Bild Schlemmers letzte Wandgestaltung, die sein künstlerisches Credo verwirklichte.

 

Der Titel „Familie“ ist etwas irreführend, denn nicht ein Familienbild der Kellers ist damit gemeint, sondern das Thema des Wandgemäldes ist – ganz allgemein – „die kleinste Zelle menschlicher Gemeinschaft, die sich auf Liebe und werdendes Leben stützt, die sich hineingestellt sieht in den während der Kriegszeiten besonders unerbittlichen Schicksalsablauf, in welchem menschliches Leben ständig bedroht ist, aber auch unerwartet von geistigen Mächten gestützt sein kann“. Zumindest interpretiert Freerk Valentien das Werk so.

Mitte der 1990er also beginnen die bittersüßen Irrungen und Wirrungen um das Wandbild: Die Hausbesitzer streiten mit dem Denkmalamt, und auch die Schlemmer-Erben liegen miteinander im Clinch. Der Galerist Freerk Valentien appelliert an die Vernunft, will vermitteln, das Wandbild unter allen Umständen sichern.

Das Hickhack, die juristischen Hemmnisse – all die verwirrenden Details mögen dem Vergessen anheimgegeben werden. Um Haaresbreite jedenfalls wäre diese Stuttgarter Kunst-Geschichte, 1940 erwachsen aus dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten, in ein Desaster umgeschlagen wie so manch anderes, was die kunsthistorischen Annalen dieser Stadt im negativen Sinne füllt. Freerk Valentien ist zu bescheiden, um frank und frei einzuräumen, dass es ohne sein beharrliches Drängen und Dringen, ohne seine Ideen und sein Eingreifen, ohne sein stetiges Mahnen und Erinnern kein so gutes Ende genommen hätte.

Das Werk landet in der Schweiz

1995 schafft es der Schweizer Restaurator Oskar Emmenegger, das riesengroße Gemälde – „Öl und Bronzen auf imprägniertem, kreidegrundiertem Nessel“ – von der es tragenden Ziegelmauer zu lösen, indem er vier Zentimeter tief hinter dem Bild einen Teil der Wand heraus fräst, die Bildfläche zwischenzeitlich mit einer aufgetragenen Latexschicht schützt, die Rückseite mit einem feinen Gitter aus Aluminium stützt und festigt. Schlemmers „Familie“ ist gesichert, das Haus am Knappenweg darf abgerissen werden. Das Kunstwerk landet in der Galerie Valentien, aber die Idee, es zu verkaufen, lässt sich nicht verwirklichen. Die schiere Größe der komplizierten Arbeit sowie die Preisvorstellungen seiner Besitzerin Christa Kassuba stehen dem im Weg.

Die Jahre und Jahrzehnte vergehen, erst Mitte der 90er sorgt das Wandbild, das die Kunstfreunde lediglich aus Büchern und Zeitschriften kennen, für Schlagzeilen, wird plötzlich einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Bis dato hat es im Verborgenen geblüht, hinter einem Vorhang, denn die neuen Hausbesitzer am Knappenweg 31, die Familie Kassuba, machten sich nicht allzu viel daraus, hätte es womöglich sogar beseitigt, wenn nicht der Denkmalschutz seine Hand darüber gehalten hätte. Jetzt erst, da man das alte Keller’sche Wohngebäude abreißen wollte, erfuhr die Öffentlichkeit mehr über das, was Schlemmer anno 1940 drinnen geschaffen hatte.

Die Irrungen und Wirrungen um das Wandbild

In der Schlemmer-Biografie, die die Stuttgarter Kunsthistorikerin Karin von Maur verfasst hat, wird das Bild so beschrieben: Im Zentrum steht eine dreifigurige Darstellung von Mann, Frau und Kind, die mit den geometrischen Grundformen von Quadrat, Dreieck, Parallelogramm und mit den elementaren Farben Blau, Rot, Gelb in Beziehung gebracht werden. Dem Druck der Verhältnisse abgerungen, war dieses Bild Schlemmers letzte Wandgestaltung, die sein künstlerisches Credo verwirklichte.

Der Titel „Familie“ ist etwas irreführend, denn nicht ein Familienbild der Kellers ist damit gemeint, sondern das Thema des Wandgemäldes ist – ganz allgemein – „die kleinste Zelle menschlicher Gemeinschaft, die sich auf Liebe und werdendes Leben stützt, die sich hineingestellt sieht in den während der Kriegszeiten besonders unerbittlichen Schicksalsablauf, in welchem menschliches Leben ständig bedroht ist, aber auch unerwartet von geistigen Mächten gestützt sein kann“. Zumindest interpretiert Freerk Valentien das Werk so.

Mitte der 1990er also beginnen die bittersüßen Irrungen und Wirrungen um das Wandbild: Die Hausbesitzer streiten mit dem Denkmalamt, und auch die Schlemmer-Erben liegen miteinander im Clinch. Der Galerist Freerk Valentien appelliert an die Vernunft, will vermitteln, das Wandbild unter allen Umständen sichern.

Das Hickhack, die juristischen Hemmnisse – all die verwirrenden Details mögen dem Vergessen anheimgegeben werden. Um Haaresbreite jedenfalls wäre diese Stuttgarter Kunst-Geschichte, 1940 erwachsen aus dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten, in ein Desaster umgeschlagen wie so manch anderes, was die kunsthistorischen Annalen dieser Stadt im negativen Sinne füllt. Freerk Valentien ist zu bescheiden, um frank und frei einzuräumen, dass es ohne sein beharrliches Drängen und Dringen, ohne seine Ideen und sein Eingreifen, ohne sein stetiges Mahnen und Erinnern kein so gutes Ende genommen hätte.

Das Werk landet in der Schweiz

1995 schafft es der Schweizer Restaurator Oskar Emmenegger, das riesengroße Gemälde – „Öl und Bronzen auf imprägniertem, kreidegrundiertem Nessel“ – von der es tragenden Ziegelmauer zu lösen, indem er vier Zentimeter tief hinter dem Bild einen Teil der Wand heraus fräst, die Bildfläche zwischenzeitlich mit einer aufgetragenen Latexschicht schützt, die Rückseite mit einem feinen Gitter aus Aluminium stützt und festigt. Schlemmers „Familie“ ist gesichert, das Haus am Knappenweg darf abgerissen werden. Das Kunstwerk landet in der Galerie Valentien, aber die Idee, es zu verkaufen, lässt sich nicht verwirklichen. Die schiere Größe der komplizierten Arbeit sowie die Preisvorstellungen seiner Besitzerin Christa Kassuba stehen dem im Weg.

1997 schließlich lässt Christa Kassuba das Gemälde bei Nacht und Nebel in die Schweiz bringen, um es vor dem heftigen Streit der Erben und dem Versuch der Einflussnahme in Sicherheit zu bringen. Unter der Obhut der international agierenden Galerie Pels-Leusden bleibt es fast 20 Jahre lang verwahrt, vor der Öffentlichkeit verborgen.

Das unschöne Spiel wäre wohl noch lange so weitergegangen, gäbe es nicht die Zeitläufte, die neue Chancen eröffnen. So auch in diesem vertrackten Fall: 70 Jahre nach Schlemmers Tod, also 2013, liefen die Urheberrechte an Schlemmers Werk ab. Das bot der Stuttgarter Staatsgalerie kurz darauf, 2015, die wunderbare Möglichkeit „Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt“ zu zeigen, die erste große Schlemmer-Schau nach viel zu langer Zeit. Zehntausende Besucher strömten, viele von ihnen sahen zum allerersten Male mit eigenen Augen, was Oskar Schlemmer geschaffen hatte. Auch Wandbild „Familie“ kam aus der Schweiz zurück nach Stuttgart und wurde in der Staatsgalerie gezeigt. „Natürlich war es mein Herzenswunsch, dass es auf die Dauer hier bleibt, wo es meiner Ansicht nach hingehört, trotz aller Widrigkeiten“, erzählt Freerk Valentien.

Ende gut, alles sehr gut. Die Staatsgalerie Stuttgart, die von Oskar Schlemmer bereits 45 Gemälde und Skulpturen sowie 250 Grafiken besessen hat, ist seit einigen Monaten um ein bedeutendes, vor allem aber um ein besonderes Werk dieses Stuttgarter Künstlers reicher. 250 noble Spender haben Geld gegeben, darunter prominente Namen, aber auch unbekannte Kunstfreunde, die helfen wollten, die Gunst der Stunde zu nutzen, und nicht zuletzt die Kulturstiftung der Länder sowie die Museumsstiftung Baden-Württemberg. Über den Preis wird vornehm geschwiegen, schätzungsweise zwei Millionen Euro dürfte es gekostet haben.

Und so hängt nun Oskar Schlemmers Wandbild „Familie“ im Foyer des Altbaus an der Kulturmeile – ein hoher Raum mit Treppen zu beiden Seiten, genügend Platz, um so schön zur Geltung zu kommen, wie es in dem niedrigen Wohnhaus am Vaihinger Knappenweg gar nie möglich war. Seine Odyssee ist hoffentlich zu Ende. Steht man frontal davor, so scheint die Familie im Unendlichen zu schweben, flankiert von einem Profil zur Rechten und einer Figur zur Linken – viel Zeit und Raum zur individuellen Interpretation, wie sie nicht nur Freerk Valentien gerne pflegt: „Für mich persönlich reicht die Bedeutung dieses Werkes weit über das eigentliche Bild hinaus. Ich bin glücklich, dass alles so gekommen ist.“