Die Stuttgarter Markthalle wird 100 Jahre alt – zum Jubiläum kann man bei Führungen einen Blick hinter die Kulissen der Touristenattraktion werfen. Dabei werden die Besucher auch in die tiefen Keller der Markthalle geführt.

Stuttgart - Es gibt bessere Zeiten als einen Samstagmittag, um eines der Schmuckstücke der Stadt in aller Ruhe zu begutachten, weswegen Führungen durch die Markthalle regulär am Donnerstag stattfinden. Wer aber den Puls so richtig spüren will, der ist am Wochenende genau richtig. In den engen Gängen schieben sich Einkäufer an Touristen vorbei, im Ristorante auf der Empore ist jeder Tisch besetzt, und an der Treppe davor herrscht muntere Prosecco-, wenn nicht gar Champagnerlaune.

 

Ganz anders ist die Stimmung zwei Etagen tiefer; auf ihren 60 mal 25 Metern ist die Markthalle komplett unterkellert. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, obwohl die Technik auch unten vorangeschritten, wenn aber noch nicht ganz im Hier und Heute angekommen ist. Über einem Labyrinth von Gängen verbreiten alte Neonröhren ein diffuses Licht. Bis auf das Surren von Generatoren herrscht gespenstische Stille. Ein halbes Dutzend Rohre ragt an einer Wand zwischen Schildern mit „Haupthahn“ und „Fettleitung“ herunter. In der alten Steinrampe glänzen in der Mitte flache Quader, die als Bremsklötze dienten. Und in den Gängen sind Gitterboxen mit Pappkartons abgestellt, ganz am Rand steht ein verlassener Einkaufswagen.

Die alten Schilder aus dem Jahr 1914 hängen noch

Zum Hundertjährigen der Markthalle, die im Januar 1914 eröffnet wurde, bietet die Stuttgart Marketing GmbH jetzt die Führung „Hinter den Kulissen“ an. Dazu gehört ein Hineinschnuppern in die Kellerräume – dies im wortwörtlichen Sinn, denn hinter jeder Ecke lauert ein anderer Geruch, zu dem auch eine Müllstelle ihren Beitrag leistet. An Bretterverschlägen wurden Originaltafeln von 1914 („N° 79, 11 qm“) mit Plastikschildern („Wolfgang Mayer“) ergänzt, bei „Ahmad, Nisar“ verströmen exotische Gewürze ihren Duft. Manche Verhaue riechen gar nicht, da sich hinter Regalen noch ein extra Kühlraum befindet.

Die Keller werden aber nicht nur von den Händlern genutzt, wie Andrea Nuding berichtet, die uns exklusiv durch die Räume führt, sondern auch als Lager für den Weihnachtsmarkt. Und wohlgemerkt: ein Hin-einschnuppern in die Keller bedeutet ebenso, dass es bei einem kurzen Blick in manche Bereiche bleiben soll – aus Sicherheitsgründen. Schließlich ist es für eine einzelne Führerin nicht leicht, zwei Dutzend Neugierige im Auge zu behalten, weder oben im Getümmel der Marktgänge noch unten im Labyrinth der Keller.

Schöne Markt- und Jagdszenen warten auf die Restaurierung

Aber zu entdecken und zu erfahren gibt es auf der Tour selbst für Einheimische und außerhalb der Markthalle genug. Dass jede Seite des schwäbischen Jugendstilbaus anders aussieht. Dass der Architekt Martin Elsässer die Markthalle nahtlos ins damalige Stadtbild einfügen wollte, weswegen sie zur Sporerstraße drei und zum Alten Schloss hin vier Geschosse hat. Dass an dieser Seite verwitterte Bilder mit Markt- und Jagdszenen auf ihre Restaurierung warten. Und apropos: dass die Kosten für Unterhalt und Pflege des Denkmals, das inzwischen im Besitz einer Tochtergesellschaft der Stadt, der Märkte Stuttgart GmbH ist, beträchtlich sind. Zum Beispiel sind im Inneren drei verschiedene Fliesensorten verarbeitet. Sind einzelne beschädigt, müssen sie originalgetreu von Hand nachgefertigt werden, was zuletzt mit 10 000 Euro zu Buche geschlagen hat. Oder die oben umlaufenden Fenster, die im Sommer zur Belüftung dienen und nur von außen geöffnet werden können: allein ihre Restaurierung hat 130 000 Euro gekostet.

Der Stadt und den Bürgern ist ihre Markthalle eben lieb und teuer – nicht nur beim Anschauen, sondern auch beim Einkaufen. Waren 1914 noch mehr als 400 Händler unter dem schützenden Dach, darunter auch Bauernmädchen mit nicht viel mehr als einem Korb in der Hand, so ist der Verkauf bei den heute noch aktiven 38 Beschickern höchst professionalisiert – und trotzdem findet man weiterhin kleine Kuriositäten am Rande.

Bei Feinkost Ragoßnig etwa, seit 1961 und somit am längsten in der Markthalle. Auf einer Holzstrebe des Standes stehen als Gedächtnisstütze jede Menge Namen von Stammkunden, bei denen es sich einfach gehöre, sie persönlich zu begrüßen, wie Dagmar Ragoßnig sagt. Sie ist mit ihrem österreichischen Mann in zweiter Generation am Platz, und die nächste ist mit Tochter Steffi auch schon im Einsatz. Derweil putzt der „Juniorchef“ – Senior Heribert ist 86 und schaut nur noch selten vorbei – Steinpilze so gründlich, dass wirklich jedes der 100 Gramm für 6,45 Euro verwertbar ist. „Unsere Kunden erwarten Topqualität und bekommen sie auch“, sagt Ragoßnig. Dafür steht die Markthalle.

Infos zur Führung „Stuttgarter Markthalle Spezial“