Die Stadt Sindelfingen hat keinen Bedarf am Ausbau des schnellen Internets – es ist bereits ausgebaut. Auch Böblingen und Leonberg verweigern den Beitritt zu einem kreisweiten Interessenverband, für den der Landrat eifrig wirbt.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Sindelfingen - Wer das Stichwort Telekom in die Runde wirft, hört Leidensgeschichten nebst spöttischer Bemerkungen. Dies eint den Stammtisch mit dem Sindelfinger Gemeinderat. Der Linke Richard Pitterle erzählt, wie er monatelang um einen Anschluss bettelte. Die Freie Wählerin Ingrid Balzer fragt: „Was sollen wir mit der Telekom?“ Der Liberale Andreas Knapp stellt fest: „Die Telekom spielt ein merkwürdiges Spiel.“ Womit sich ein Zwist zwischen der Stadt Sindelfingen und dem Kreis Böblingen anbahnt, einer, bei dem der Sindelfinger Oberbürgermeister Bernd Vöhringer seine Amtskollegen aus Böblingen und Leonberg an seiner Seite weiß – Stefan Belz und Martin Kaufmann.

 

Der Landrat Roland Bernhard wirbt für die Gründung eines Zweckverbands, dessen Ziel der Ausbau des schnellen Internets mittels Glasfaserkabel ist. Verhandelt werden soll darüber mit der Telekom. „Der Ausbau der Datenautobahn ist genauso wichtig wie der Ausbau der A 81.“ So wirbt Bernhard für einen Beitritt. Möglichst alle 26 Kommunen des Landkreises mögen sich beteiligen. „Wenn wir für 26 sprechen, sprechen wir mit ganz anderer Stimme als für zehn“, sagt Bernhards Stellvertreter Martin Wuttke. Vergleichbares erklären derzeit alle Landräte der Region. Alle noch zu gründenden Verbände der Kreise sollen dann Gesellschafter der „Gigabit Region Stuttgart GmbH“ werden. Auf dass sich diesem Unternehmen der träge Dampfer Telekom zuwendet, um Schnellboote mit Glasfaserkabel zu entsenden.

Der Oberbürgermeister hält das Konstrukt für eine Hülle ohne Inhalt

Vöhringers Meinung dazu ist unmissverständlich: „Hüllen werden gegründet und Geschäftsführer eingestellt“, sagt der Sindelfinger Rathauschef, „aber die Hüllen haben keinen Inhalt.“ Jüngst habe sich bei einem Treffen regionaler Oberbürgermeister nur einer für einen Beitritt begeistert. Andere Kollegen hätten von „ernüchternden Gesprächen“ berichtet – mit der Telekom. Kleine Gemeinden seien auf die Hilfe eines Verbandes angewiesen, große Städte hätten keine Unterstützung nötig.

Jener eine Abweichler war mit einiger Sicherheit Thomas Sprißler, Herrenbergs Stadtoberhaupt. Dort wird der Gemeinderat aller Voraussicht nach dem Beitritt zum Verband zustimmen. Dies, obwohl die Herrenberger Stadtwerke sich ebenfalls dem Verlegen von Breitbandkabeln widmen. Deren neuer Chef Karsten Kühn ist ausdrücklich angetreten, die Anstrengungen dazu zu verstärken. „Das ist ein Geschäftsfeld“, sagt er, „aber kein Hauptgeschäftsfeld“. Die Stadtwerke widmen sich ihm, wenn ohnehin eine Straße aufgerissen oder ein Baugebiet erschlossen wird.

Auch Kühn sagt, dass „die Telekom bisher nicht mit Performance geglänzt hat“. Ungeachtet dessen hält er eine Bündelung der Kräfte im Verband für sinnvoll und die Mitgliedschaft für schadlos. „Uns ist egal, wer es macht, Hauptsache, der Bürger ist versorgt“, sagt Kühn. Und falls die Telekom weiterhin nicht mit Performance glänzt, „kann der Verband dafür sorgen, dass der Ausbau ohne sie stattfindet“. Schließlich gebe es andere Anbieter.

In Sindelfingen strebt die Versorung schon den 100 Prozent zu

Zum Beispiel eben in Sindelfingen. Die dortigen Stadtwerke arbeiten gemeinsam mit dem Kölner Netzbetreiber Unitymedia an der Versorgung. Anders als in Herrenberg vermisst in Sindelfingen kaum jemand einen schnellen Internetanschluss. „Wir sind schon dort, wo die Telekom in einem Jahr sein will“, sagt der Stadtwerke-Chef Karl Peter Hoffmann, „80 Prozent aller Haushalte und 100 Prozent aller Gewerbegebiete sind abgedeckt“. Er habe nichts gegen künftige Geschäftsverhandlungen mit der Telekom, aber „es gibt auch keinen Grund, sich denen in die Arme zu werfen“.

Der Sindelfinger Gemeinderat lehnt einen Beitritt zum Verband ab. Das schnelle Internet als solches hält niemand für überflüssig, nur der Weg zum Ziel ist strittig. Vöhringer hat überdies grundsätzliche Einwände. Das Geld an die Telekom soll aus der Kasse des Kreises fließen. Die wiederum füllen allen voran die großen Städte. Gemäß Schätzungen aus dem Regionalverband müssen die Kommunen selbst für den Ausbau rund 180 Euro pro Einwohner investieren. Seine Meinung dazu formuliert Vöhringer als Frage: „Wie weit ist der Landkreis eigentlich zuständig, so viel Geld für den Breitbandausbau auszugeben?“

Kommentar: Bezahlt wie nicht bestellt


Sindelfingen ist zwar ein Sonderfall, aber das Vorgehen des Landkreises gleicht einer finanziellen Zwangsverpflichtung, kommentiert Marc Schieferecke

Sindelfingen - Wer bestellt, bezahlt. Dieses Prinzip gilt im Gasthaus genauso wie vor dem Gesetz. Nicht nur die Verantwortlichen der Stadt Sindelfingen empfinden deswegen das Vorgehen des Landkreises beim Breitbandausbau als problematisch. Von 179 Kommunen in der Region Stuttgart wollen 100 dem neuen Zweckverbänden beitreten. 79 lehnten ab. Ob damit das Glas halb voll ist oder halb leer, bleibt Ansichtssache.

In Städten mit eigenen Stadtwerken bestellt der Landkreis nicht nur und lässt die Rechnung dennoch die Städte zahlen. Er bestellt auch noch, was der Zahlende entweder schon längst bestellt hat oder was ihm nicht schmeckt. Dass dieses Vorgehen fragwürdig ist, dürfte einer der Gründe sein, aus denen der Landrat Roland Bernhard so energisch darauf pocht, dass sich doch bitte alle Kreiskommunen dem Verband anschließen mögen. In einem Brief an die drei abtrünnigen Oberbürgermeister appellierte er gar an „unsere Geschlossenheit der kommunalen Familie“.

Im gleichen Schreiben ist zu lesen, dass sich trotz eines Beitritts zum Verband keine Kommune gegenüber der Deutschen Telekom verpflichtet. Formal ist dies richtig. Allerdings ist in allen Unterlagen stets die Telekom als Verhandlungspartner genannt. Welchen Sinn sollten Verhandlungen für alle haben, wenn nachher jeder einzelne zu anderen Anbietern ausschert?

Im Fall Sindelfingen kommt ein fragwürdiges Verhalten eben der Telekom hinzu. Das Unternehmen hatte Firmen einen kostenlosen Anschluss an ein Breitbandnetz angeboten, das noch zu verlegen wäre. Dies in Gewerbegebieten, die die Stadtwerke schon flächendeckend mit schnellem Internet versorgt hatten. Ein solches Verhalten nährt gewiss kein Vertrauen in eine künftige Geschäftspartnerschaft.