Seit einem Jahr ist das ehemalige Atelier des Künstlers Thomas Rappaport im Rotwildpark für Schnitzinteressierte geöffnet.
Das ist so eine typische Laieneinschätzung: zu glauben, trockenes Holz lasse sich leichter schnitzen als feuchtes. Mit dieser Fehleinschätzung räumt Jens Kilian schnell auf: Er hält ein Schnitzmesser an ein Stück gut durchgetrocknetes Holz, um daran zu arbeiten. Und er macht das Gleiche mit einem Holz, das noch feucht ist. Das Resultat hängt natürlich auch davon ab, welches Holz da nun gerade bearbeitet werden soll, aber klar ist dennoch: An jungem, frischem Holz lässt sich eindeutig besser schnitzen als an trockenem Holz.
Aus dem Schießhaus wird das Schnitzhaus
Jens Kilian kann freilich noch viel mehr. Ohne die große Werbetrommel zu rühren, hat er das Schnitzhaus im Rotwildpark wieder zum Leben erweckt. Dieses Rundhaus aus königlichen Zeiten – aus seiner historischen Funktion heraus auch Schießhaus genannt – liegt nun nicht gerade direkt an der Spaziergänger-Hauptachse zwischen dem Schloss Solitude und dem Bärenschlössle, aber auch nicht weit davon entfernt. Damit fällt es den meisten auf in der Nähe der Busstation Forsthaus 2.
Bis zum plötzlichen Tod des Künstlers und Waldorf-Werklehrers Thomas Rappaport im Jahre 2019 war es dessen Atelier, und Jens Kilian war schon damals als Jugendlicher von dessen Arbeit begeistert. Kilian hat bereits als 14 Jahre alter Junge mitgeholfen, ein monumentales Kunstwerk von Rappaport an diesem Ort zu errichten: Eine mehr als 300 Jahre alte Eiche stand dort, die aus Gründen der Verkehrssicherheit gefällt werden sollte. Er schuf daraus die Kettenglied-Eiche, indem er den alten Baum in zwei Teile sägte, die durch zwei herausgefräste Kettenglieder verbunden blieben. Das war damals Schwerstarbeit. Drei Schwerlastkrane waren unter anderem nötig, insgesamt elf Tonnen Eichenholz wurden bewegt.
Die Kettenglied-Eiche
Und stets stand dabei die Frage im Raum: Hält das Werk überhaupt? Und ja, das hat viele Jahre gehalten und war lange ein Blickfang für die Besucher von Schloss Solitude, vom Bärenschlössle und vom Rotwildpark. Und wenn es das heute nicht mehr zu sehen gibt, liegt das eben am Gang der Natur. „Der Aspekt der Vergänglichkeit war Rappaport immer wichtig“, erinnert sich Kilian, „es war Teil seiner künstlerischen Arbeit, dass diese Werke zerfallen.“
Konzentration aufs Handwerk
Solch monumentales Wirken steht heute nicht mehr auf dem Stundenplan im Schnitzhaus. Es geht völlig ungezwungen zu: Wer kommen will, kann kommen und bleiben, solange er will. Es gibt keine Verpflichtungen. Anmeldungen sind nicht notwendig. Generell ist der Sonntagnachmittag eine gute Zeit, um dort andere Schnitzwillige zu treffen. Kilian ist dann anwesend sowie Dieter Soldan vom Schnitzhaus-Verein, die mit Rat und Tat zur Seite stehen. Denn hier ist Handwerk im wahrsten Sinne gefragt. Geräte und Maschinen mit einem Stromkabel sucht man hier vergeblich. Ob die Holzschnitzfreunde hier nun ihrer Passion nachgehen, ob sie es gemütlich angehen und sich einfach am Dasein an der frischen Luft erfreuen, während die anderen im Hintergrund hämmern, sägen und feilen – das ist jedem selbst überlassen.
Denn das gehört dazu, dass bevorzugt im Freien gearbeitet wird. Insofern ergeben sich daraus auch quasi natürliche Öffnungs- und Schließzeiten: Die Schnitzsaison ist so etwa von Mai bis September oder Oktober.
Auch Gebrauchsgegenstände werden geschnitzt
Deshalb gibt es auch keinerlei Vorgaben, wann was wie fertig zu sein hat. Bei manchen Schnitzern ist das, was es am Schluss sein soll, eh noch vor allem eine Vorstellung in ihren Köpfen, bei manchen hat dies schon Gestalt angenommen.
Eine kürbisartige Rundfigur ist im Raum ein Beleg für frühere Schaffenskraft, andere arbeiten gerade an sehr schlanken figuralen Formen à la Giacometti. Aber es gibt auch ganz simple und notwendige Haushaltsgerätschaften, die im Schnitzhaus entstehen, etwa Löffel. Und auch wer letztlich überhaupt nichts Vorzeigbares zustande bringt: Allein der Aufenthalt in dieser naturnahen Umgebung, in der so vielseitig mit Holz gearbeitet wird, ist eine Labsal für die Seele.