Was die Theaterleiterin Brigitte Dethier vom Jungen Ensemble Stuttgart mit dem Kinder- und Jugendtheaterfestival „Schöne Aussicht“ vorhat, wie junge Leute mit dem Problem Selbstoptimierung umgehen, wie aufregend Tanz aus Israel ist und was Peer Gynt in Prishtina sucht.

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

Stuttgart - Die Wendung „Das sind ja schöne Aussichten“ mag den Festivaltitel „Schöne Aussicht“ des Kinder- und Jugendtheaters Junges Ensemble Stuttgart (Jes) inspiriert haben – es steckt neben dem Zukunftsbejahenden dieses Satzes auch etwas Skeptisches mit im Sinne von „Na, das sind ja schöööne Aussichten!“. Ob es wirklich schön wird, weiß man noch nicht, aber die Jes-Intendantin und Festivalleiterin Brigitte Dethier buchstabiert das am 5. Mai beginnende Festival schon einmal durch.

 

A wie Aussicht

Wir sind jetzt schon so weit, das Programm für 2020 zu sichten, das sind unsere Aussichten. Für das aktuelle Festival haben wir uns über hundert Produktionen angeschaut, noch einmal sehr viele auf DVD geprüft, ob es sich lohnt, die Stücke vor Ort zu sehen. Über die Entwicklung im Kinder- und Jugendtheater lässt sich sagen, dass es politischer geworden ist, die Stücke handeln auch von Krieg und Terror. Wichtige Themen sind aber auch gesellschaftliche Probleme wie Gruppenzwang und Erwachsenwerden. Was die Theaterformen betrifft, finden wir kaum mehr Richtungsstreitigkeiten oder ideologische Vorbehalte. Vieles findet gleichberechtigt nebeneinander seinen Platz – vom Autorentheater bis zur Performance.

U wie Unterhaltung

Finde ich gut. Man kann und sollte auch ernste, nicht so schöne Themen unterhaltsam präsentieren. Unterhalten können sich übrigens auch die Festivalgäste mit den Künstlern, wir bieten Gesprächsrunden an. Auf Hochsitzen kann je ein Publikumsgast und ein Künstler miteinander reden. Und beim „schönen Talk“ am 8. Mai um 16 Uhr sind die südafrikanische Regisseurin Koleka Putuma und der Theaterleiter aus Botswana, Tefo Paya, zu erleben. Am 9. Mai sind die Theatermacher aus Sarajewo Agon Myftari und Jeton Neziraj zu Gast, neben Stefan Schletter, dem Dramaturg des Stückes „Peer Gynt aus dem Kosovo“. Und es noch einen dritten schönen Talk: am 7. Mai um 13.30 Uhr mit Gali Kalef und Danny Eshel von der KCDC2 Tanzkompanie aus Israel.

S wie Sarajewo

Interessant ist, dass eher nicht aktuelle Konflikte auf die Bühne kommen, sondern vergangene aus Europa – vielleicht weil wir darüber Verlässlicheres wissen als über Syrien und Afghanistan. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien etwa spielt eine Rolle in „Da ist ein Rauschen“, wo es um die Verlässlichkeit von Erinnerungen geht und um eine Flucht eines Kindes von Sarajewo nach Norwegen in den 1990er Jahren. Und natürlich „Peer Gynt vom Kosovo“ aus Pristina, Kosovo, hier verbringt der Titelheld, ein Flüchtender, zwanzig Jahre illegal und legal in Ländern wie Schweden und Deutschland. „Krieg“ aus den Niederlanden handelt davon, wie hilflos wir im Umgang mit Krieg sind. Die Schauspieler stellen sich unlösbare Aufgaben, wobei zum Beispiel aus einem Spiel mit Tennisbällen, die ins Publikum geworfen werden und wieder zurückkommen, eine Art Artilleriefeuer wird. „Festgefeiert“ aus Freiburg mit dem Bosnienkrieg im Hintergrund handelt auch davon, wie Konflikte groß werden und wie man dennoch im alltäglichen Kriegswahnsinn lebt und sogar feiert.

S wie Selbstoptimierung

Wir haben einige Stücke dazu im Programm. In „Running“ vom Theater Heilbronn sieht man, wie junge Menschen mit ihren eigenen Hoffnungen und Wünschen umgehen und wie mit dem Gefühl, sich immer positiv selbst darstellen zu müssen. Dann Sebastian Nüblings kraftvolle Inszenierung „Zucken“ vom Jungen Theater Basel und vom Maxim-Gorki-Theater Berlin. Ein Stück über Selbstoptimierung und Radikalisierung. Es handelt von jungen Leuten, die mit ihrem Platz im Leben hadern, die sich in der Gesellschaft nicht gewollt fühlen. Und bei „Solo von Nas & Jim“ aus den Niederlanden geht es darum, wie man sich behauptet, wer wen verdrängt – auch auf der Bühne: tolle Sprachspiele, toller Gesang.

I wie International

Wir zeigen erstmals eine Produktion aus Israel und aus dem Kosovo. Insgesamt gastieren elf internationale Kompanien aus zehn Ländern in Stuttgart.

C wie Choreografie

Neben unserer Produktion „R.E.S.P.E.C.T.“, die ich gemeinsam mit dem Choreografen Ives Thuwis-De Leeuw inszeniert habe, ist „Running“ aus Heilbronn von Tanz geprägt. Und wir freuen uns sehr auf die Kibbutz Contemporary Dance Company 2 aus Israel. „360 Grad“ ist eine umwerfende Produktion, die ganz ohne Worte auskommt. Die Darsteller stürmen auf die Bühne, es ist partizipativ und wird sicher auch Leuten gefallen, die Vorbehalte gegen Mitmachtheater haben, denn sich der Energie dieser Tänzer aus Israel und Palästina zu entziehen ist nicht möglich.

H wie Humor

Über Humor finden wir Eingang in die Köpfe der Zuschauer. Bestes Beispiel ist das Theater Basel mit „Affenhaus“ – vier Affen, die sich in einen Homo sapiens verwandeln wollen. Tolle Schauspieler, denen man amüsiert zuschaut, wie sie versuchen, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Und „Vu“ aus Frankreich. Slapstick und Zirkustraditionen treffen hier aufeinander. Man sieht einen Mann, der Tee trinkt, das war’s. Aber wie er das macht – unfassbar umständlich – , dabei bleibt er aber ganz entspannt. Der alltägliche Wahnsinn eben – auf die humorvolle Spitze getrieben.

T wie Tod

Ist Teil des Lebens und daher in einigen Produktionen ein Thema. In der musikalisch interessanten Arbeit „Die Königin ist verschwunden“ aus Belgien etwa geht es um Trauer und Hoffnung. Und in „Mbuzeni/Frag die Götter“ aus Südafrika geht es unter anderem um Beerdigungsrituale. Der Regisseurin ist es wichtig, keine Opfergeschichten zu inszenieren, sondern selbstbewusste starke schwarze Frauen zu zeigen. Und so man wird in dieser Produktion vier fantastische Frauen erleben.

Informationen zum Festival

Das Festival „Schöne Aussicht“ findet vom 5. bis 12. Mai statt. Zur Eröffnung zu sehen ist am 5. Mai im Jes „R.E.S.P.E.C.T.“ (19 Uhr) und im Fitz „Mbuzeni/Frag die Götter“ (21 Uhr). Nicht verpassen sollte man auch das Tanzstück „360 Grad“ aus Israel am 6. Mai (18 Uhr) und am 7. Mai (10 Uhr) jeweils in der Kirche St. Maria.

Gespielt wird im Jes und im Fitz (Eberhardstraße 61 a), in der Kirche St. Maria (Tübinger Straße 36) sowie in den Theatern Rampe (Filderstraße 47) und Nord (Löwentorstraße 68). Karten: 07 11 / 21 84 80 18. Informationen unter www.jes-stuttgart.de