Schöner Wohnen auf der Schwäbischen Alb Das puristische Traumhaus am Waldrand

Das markante Fachwerk des Hauses in Aalen ist dem Stil der gekreuzten „Schwäbischen Männer“ nachempfunden. Foto: VS/Valentin Schmied

Eine Familie entscheidet sich für die Rückkehr auf den elterlichen Hof am Rande Aalens. Wo der Architekt Bernd Liebel dann ausgerechnet die alte Garage zum Fundament eines eindrucksvollen und preisgekrönten Holzhauses macht. Ein Besuch.

Bauen/Wohnen: Tomo Pavlovic (pav)

Gute Architektur sollte man nicht nur sehen und anfassen können, man muss sie auch fühlen. Das reicht weit über das Physische hinaus. Besonders beim Um- und Anbau von Wohnhäusern geht es um die gelungene Gestaltung von emotionalen Räumen. Erinnerungen können damit weitergegeben werden, der umgestaltete Ort wird zum Geschichtenerzähler. Nur so entwickelt sich das neue Haus, die Wohnung zum menschlichen Geborgenheitsraum.

 

Grandiose Aussicht

Genau das wünschte sich die Bauherrin, die in einem Forsthaus am Waldrand am nordöstlichen Rande Aalens großgeworden ist. Die recht einsame Anhöhe ist ein beliebtes Terrain für Wanderer, der Blick auf die sanft geschwungene Schwäbische Alb ist selbst bei grauem Himmel ziemlich grandios. Die Stadt Aalen liegt einem zu Füßen, das schöne Remstal ebenfalls. Bei gutem Wetter erkennt man den Stuttgarter Fernsehturm als Winzling in der Ferne. Unweit erhebt sich der knapp 700 Meter hohe Braunenberg.

Das elterliche Haus steht freilich noch. Und um die betagten, aber noch rüstigen Angehörigen im Fall der Fälle zu unterstützen, entschieden sich die Bauherrin und ihr Mann zur Rückkehr an den Ort der Kindheit. Doch so einfach gestaltete sich das nicht. Der Bau eines weiteren Domizils war auf dem Grundstück weder sinnvoll noch zulässig. Auf dem Hof standen zudem drei zusammenhängende Garagen, in denen sich der Vater eine Werkstatt eingerichtet hatte, die Garagen waren jahrzehntelang sein Arbeitsplatz.

Mit anderen Worten: Ein hochemotionaler Ort für die ganze Familie. Und wahrlich kein einfach zu bespielender Bauplatz für einen Architekten. Doch als Bernd Liebel dieses mit alten Zweckgebäuden verbaute Grundstück sah, sah er zwischen all den Hindernissen Möglichkeiten. Wie wäre es, dachte sich der Architekt, wenn man einfach auf dem bestehenden Garagenensemble das neue Zuhause errichtete? „Zentrales Thema war neben dem sensiblen Umgang mit der umgebenden Natur die Ressourceneffizienz: Die vorhandene Dreifachgarage wird als Sockelgeschoss weiterverwendet, dadurch konnten wir viel Graue Energie einsparen“, sagt Liebel.

Der gebürtige Aalener ist aber nicht nur ein erfahrener Architekt, der seit mehr als zwei Jahrzehnten in seiner Heimatstadt ein Planungsbüro mit mittlerweile 27 Mitarbeitenden leitet und zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat, darunter jüngst den renommierten Hugo-Häring-Preis für ebendiese Garagenaufstockung. Beim internationalen „Häuser“-Award errang das Projekt ebenfalls eine Auszeichnung. Nein, der Chef vom Büro Liebel/Architekten ist schon als Kind mit seinen Eltern oft zum Wandern hier unterwegs gewesen, stiefelte rund um den Braunenberg und kennt die Gegend folglich überaus gut. Das hat den (Heimat-)Vorteil, dass der Architekt die Sichtachsen des Gebäudes perfekt setzen und die Landschaft mitsamt ihren jahreszeitlichen Veränderungen eindrücklich ins Haus holen kann.

Dafür wurden deckenhohe, über Eck laufende Glasfronten eingebaut – sie sorgen für fließende Übergänge zwischen drinnen und draußen und lenken den Blick gezielt auf Feld und Wald. „Wir wollten mit einem einfachen Aufbau die Landschaft ins Innere holen, die vielfachen Sicht- und Raumbezüge zur ländlichen Umgebung verstärken.“ Die Natur, der weite Raum, der Wolkenzug über der Alb – für dieses Naturschauspiel könnte man Eintritt verlangen.

Tatsächlich wirkt die Aufstockung – ein puristischer Holz-Beton-Hybridbau – raffiniert einfach. Eine Garage wird weiterhin als solche genutzt, die beiden anderen gehören nun zum Wohnbereich und umschließen in ihrer Mitte einen massiven, zweigeschossigen, zentral gesetzten Sichtbetonkern, der die Treppe wie auch die Nebenräume aufnimmt.

In der oberen Etage wird der kompakte Kern von einer hochdämmenden Holzständerkonstruktion umschlossen, die die äußere Hülle des neuen Wohngeschosses bildet. Behütet wird das Haus von einem flachen Satteldach, für dessen Deckung die alten Biberschwanzziegel der Garage wiederverwendet wurden. So geht Recycling. Was übrigens ein wichtiges Thema für die Bauherrschaft war.

Wichtiges Element sei von Beginn an die Nachhaltigkeit gewesen, sagt die Bauherrin beim Besuch. Man habe möglichst alles genutzt, was zuvor abgebaut wurde. Dieser Respekt vor dem Material geht über den Umweltschutz hinaus. Selbst die scheinbar nutzlosen Dachziegel oder Betonwände der Garage bergen für die Eigentümer einen identitätsstiftenden Wert.

„Dieses Projekt war und ist für die Bauherrschaft mit starken Gefühlen und vielen Erinnerungen verbunden, weil es nicht irgendeine Garage war, die bebaut wurde. Und so stellte sich beim Entwurf stets die Frage: Was ist beim Bau eigentlich angemessen?“, erklärt Bernd Liebel. Schwierige Frage! Und eine gute Antwort aus Aalen, befand zumindest auch die Jury des Hugo-Häring-Preises. Bei aller Bescheidenheit und Rücksichtnahme auf die ökologischen Bedingungen – ambitionierte Architektur muss zugleich ästhetisch überzeugen. Das gilt auch und vor allem fürs Bauen im Bestand. In Aalen lässt sich das sehr gut studieren.

Kühlung durch den Wald

Die Heizung und Lüftung bilden da keine Ausnahme: Der erwähnte Betonkern trägt nämlich zur sommerlichen Kühlung des Holzbaus bei, die hier passiv – also ohne Einsatz von Energie – erfolgt: Tagsüber speichert der Betonkubus die Wärme, die nachts mit natürlicher Thermik, über Fensteröffnungen in beiden Geschossen sowie in der Dachfläche, wieder an die Umgebung abgeführt wird. So bleibt es auch im Sommer stets angenehm kühl, wobei dieser Effekt durch den angrenzenden Baumbestand noch verstärkt wird.

Der wiederum, also der Wald, war eine Herausforderung. „Das Haus muss im Fall eines Baumsturzes so konstruiert sein, dass nichts und niemand einen Schaden davonträgt“, sagt Liebel, der mit der Bauherrschaft schließlich eine ansprechende wie optisch überzeugende Lösung fand. Damit das Haus nicht durch eventuell umstürzende Bäume zerstört wird, gibt es einerseits den zentralen Betonkern. Andererseits findet sich zur Stabilisierung entlang der Südfassade ein traditionelles Kreuzfachwerk, dessen markanter Verstrebungsstil als „Schwäbischer Mann“ bezeichnet wird.

Der Eingang zum Haus liegt jetzt im Erdgeschoss, wo man von einer Diele vorbei an Arbeitszimmer, Technikraum und Bad über eine einläufige Treppe in die obere Etage gelangt. Küche, Ess- und Wohnbereich gehen nahtlos ineinander über. Den langen Holztisch hat ein ansässiger Schreiner aus einem alten Baumstamm gefertigt, der jahrelang am Weg lag.

Candela Lichtplanung aus Stuttgart verantwortete das Lichtkonzept, mit zylindrischen Pendelleuchten im Küchenbereich, imposanten Glasleuchten über dem Holztisch und schicken Bodeneinbauleuchten entlang der Wohnraumgrenze und auf der Terrasse. Zur Blauen Stunde kommt die dezente, indirekte Beleuchtung besonders gut. Die Räume wirken wesentlich tiefer und höher. In der Ferne funkeln die Lichter der Häuser. Bis auf ein paar Vögelchen hört man: nichts. Ganz ehrlich: Wer vermisst da noch die Stadt?

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