Umbau in Besigheim Schöner Wohnen in einer Scheune voll Licht und Luft

So architektonisch anspruchsvoll und stylish kann eine Scheune sein: hohe Natursteinwände, neue Fenster und Türen, Eichendielen und Designklassiker von Eero Saarinen. Foto: Andy Wirth / PhotoART

Mit viel Herz und Engagement ist in Besigheim eine Scheune in ein Wohnhaus umgebaut worden. Zu Besuch in einem preisgekrönten Architekturjuwel.

Bauen/Wohnen: Tomo Pavlovic (pav)

Besigheim - Dass Architekten und Bauherren nach Abschluss eines Bauvorhabens Freunde werden und noch Jahre später an einem sonnigen Freitagvormittag sich in die Arme schließen, obwohl sie nur wenige Minuten voneinander entfernt wohnen und arbeiten, ist schon eine Seltenheit. Nicht wenige sehen sich vor Gericht wieder. Und wenn man bedenkt, dass der aufwendige Umbau einer Scheune im schmucken Altstadtkern von Besigheim auch noch mit drei Denkmalschutzbehörden abgestimmt werden musste, mutet die herzliche Begrüßung geradezu suspekt an.

 

Doch die Architektin Sonja Rupp und das Bauherren-Paar Tanja und Claude Hoffmann lassen keinen Zweifel daran, dass dieses Scheunenprojekt für alle Parteien eine glückliche, sinnstiftende Erfahrung war. „Ich würde das total gern noch einmal umsetzen“, sagt Claude Hoffmann auf dem Parkettboden im Erdgeschoss sitzend, genau dort, wo vor langer Zeit die Fuhrwerke beladen wurden.

Wann genau, ist gar nicht so einfach zu sagen. In einen Quader der Natursteinfassade war die Jahreszahl 1832 eingraviert, Dokumente der örtlichen Denkmalpfleger lassen aber eine frühere Bauzeit vermuten. Die Scheune samt Hof gehörte nämlich ursprünglich zum Nachbargebäude, einem zweigeschossigen Fachwerkhaus aus dem 16. Jahrhundert, in dem einst der Bürgermeister Matthäus Ybenspach residierte. Auf der Rückseite des Hauses wurde dann, wahrscheinlich im 17. Jahrhundert, die Scheune aus unverputztem Bruchsteinmauerwerk mit Satteldach errichtet.

Klappläden und viele Balken

Gut drei Jahrhunderte später steht die Architektin Sonja Rupp in einem unwirtlichen Gebäude. „An zwei, drei Stellen hat es reingeregnet“, erinnert sich Sonja Rupp. Was sie vorfand? Reichlich Zugluft. Klappläden. Viele Balken, von denen man nicht wusste, ob sie morsch oder verfault waren. Und wieder einmal die Erkenntnis, „dass eine Scheune nicht als Wohnraum konzipiert ist“.

Doch genau das empfindet Sonja Rupp als reizvolle Chance, mit dem Raum kreativ zu arbeiten. Sie und ihr Architektenkollege und Lebensgefährte Thomas Rupp haben Erfahrungen bei der Umwandlung von Nutzbauten in moderne Wohnhäuser, was sich inzwischen herumgesprochen hat. Der im Jahr 2016 abgeschlossene Umbau der denkmalgeschützten Besigheimer Scheune ist kürzlich von der Architektenkammer Baden-Württemberg als „beispielhaft gestaltet“ ausgezeichnet worden.

An der Kubatur sollte und durfte nichts geändert werden. Doch viel Raum ist nicht gleich viel Fläche, weswegen man Decken einziehen muss. So bewohnt das Ehepaar mit dem achtjährigen Sohn heute eine großzügige Fläche von 350 Quadratmetern, was nur durch die geschickte Ausnutzung des vorhandenen Raums möglich ist. Die Decke über der Tenne im unteren Teil der Scheune etwa hat man tiefer gesetzt, um eine neue Ebene für Schlafzimmer und das Bad zu schaffen. Eine Lounge auf der gleichen Ebene dient als luftiger Wohn- und Spielbereich, eine Sichtluke verbindet die Geschosse und erinnert an die ursprüngliche Funktion: Immerhin wurden hier mal Heuballen abgeworfen.

Tolle Aussicht über die Dächer der Stadt

Das erste Dachgeschoss blieb flächenmäßig unverändert und ist nur durch die Möblierung in diverse Nutzungsbereiche unterteilt. Von dieser Ebene hat man eine tolle Aussicht über die Dächer Besigheims und damit über einen der am besten erhaltenen mittelalterlichen Stadtkerne Süddeutschlands. Unter dem Dach findet sich noch eine Einliegerwohnung, die über einen separaten Treppenaufgang zu erreichen ist.

Ein Blickfang sind die Natursteinwände, die man größtenteils in ihrer ursprünglichen Oberflächenstruktur belassen konnte und welche den rauen, aber warmen Charme einer hoch gebauten Scheune betonen. Naturmaterialien wie Lehmbauplatten kamen zum Einsatz. Und weil Scheunen aus guten Gründen atmende Gebäude sind, hielt sich auch der Verfall der eindrucksvollen Holzträgerkonstruktion in Grenzen. „Wir mussten nur fünf Balken ersetzen“, erzählt Claude Hoffmann, der zahllose Handwerkerarbeiten in Eigenregie übernahm und damit den knappen Zeitplan – ein Jahr – sowie die Kosten verhältnismäßig kalkulierbar einhalten konnte. Die gesunden, also trockenen Holzbalken beispielsweise haben die Bauherren selbst lediglich mit Drahtbürsten vorsichtig gesäubert und danach gewachst.

Persönlich und witzig

Die Dreischiffigkeit des Gebäudes wurde beibehalten, rechts vom Eingang war früher der Stall, heute ist hier der Technikraum (unter anderem für die Heizungsanlage) untergebracht, eine Toilette sowie ein Zimmer. Links vom mittigen Eingangsbereich, über dem Gewölbekeller, befindet sich die offene Küche samt Essbereich, dem eigentlichen Wohlfühlzentrum im Haus. Originalstühle und ein Tisch aus der berühmten Serie „Tulip“ des finnischen Designers Eero Saarinen finden sich hier, ein aparter Nord-Süd-Gegensatz zu der maßgefertigten Küche eines Schreiners aus dem Hochschwarzwald: Raphael Pozsgai aus Heitersheim, der schon den begehrten Red Dot Design Award bekommen hat.

Pozsgai stellt alle Möbel unter ökologischen Kriterien her, das Holz kauft er von Holzhändlern in der Region. Auch Hockern und Kisten des Tischlers begegnet man überall im Haus. Alles wirkt offen, einladend, persönlich, auch witzig. Das Bad über der Küche hat eine Sichtluke zum Wohnküchenbereich. Man kann in der Wanne sitzen, sich mit jemandem in der Küche unterhalten. Nichts ist abgeschlossen, die Räume und Ebenen kommunizieren.

Bei all der Originalität und Nachhaltigkeit des Bauvorhabens – so ein Scheunenumbau ist auch ein Charaktertest. Nicht jeder dürfte sich wohlfühlen mit so einer Aufgabe und Verantwortung. „Wir leben die Scheune“, sagt Tanja Hoffmann lachend und wie selbstverständlich. Doch so einfach, wie es klingt, ist es nicht. Um in einer sanierten Scheune mit vielen Denkmalschutzauflagen glücklich zu werden, muss man alte Mauern und Holzbalken lieben, Respekt vor der Geschichte eines Bauwerks haben und eine Sensibilität für die Umgebung entwickeln – etwa für das mittelalterliche Zentrum Besigheims, wo jeder Pflasterstein Geschichte atmet. Tanja und Claude Hoffmann organisieren zudem seit vielen Jahren den über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Flohmarkt in der Stadt, sind Teil dieser Welt, die sie mit ihrem „Scheunentraum“ erhalten wollen.

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