Europa steckt in der Krise und zwischen Frankreich und Deutschland kriselt es. Ein Ausfall des Zuggespanns wäre ein Katastrophe, kommentiert unser Brüssel-Korrespondent Knut Krohn.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Wichtig sind die Bilder. Emmanuel Macron und Olaf Scholz drücken sich lange und Fest die Hand vor dem Elyséepalast, beide lachen zusammen, winken gemeinsam in die Kameras. Die Fotos sollen zeigen, dass beide Männer sich gut verstehen. Doch auch diese Inszenierung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland in einer tiefen Krise steckt. Wie groß die Probleme sind, ist kaum mehr zu übersehen. Beide Seiten machen sich nicht einmal mehr die Mühe, ihre Differenzen zu verstecken. So ist das geplante symbolträchtige deutsch-französische Treffen beider Regierungen im Schloss von Fontainebleau ist zu einem Tête-à-tête des Präsidenten und des Bundeskanzlers in Paris geschrumpft.

 

Der Motor wurde oft totgesagt

In ruhigen Zeiten wäre eine solche Nachricht eine Randnotiz. Der deutsch-französische Motor ist schon oft totgesagt worden und hat dann doch immer wieder funktioniert. Europa durchlebt im Moment aber die schwerste Krise seit Ende des Zweiten Weltkrieges. In diesem Moment wäre der Ausfall des europäischen Zuggespanns eine Katastrophe.

Das Problem ist, dass die Spannungen nicht neu sind und den architektonischen Kern der Europäischen Union betreffen. Seit dem Fall der Mauer werden die Schritte des wiedervereinten Deutschlands von Frankreich sehr kritisch beäugt. Das hat nicht nur mit der damals neu erlangten wirtschaftlichen und politischen Größe zu tun. Von Anfang an befürchtete Paris, dass sich Berlin verstärkt dem Osten zuwenden könnte und Frankreich dadurch an Einfluss verliert.

Frankreichs neugieriger Blick nach Osten

Auch jetzt schwingt wieder die Befürchtung mit, dass sich das Machtzentrum des Kontinents zugunsten Osteuropas verschiebt. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine waren es die Balten und Polen, die die Initiative ergriffen und zum Vorbild für die Europäer wurden. Deutschland könnte sich, auch im Bewusstsein des Scheiterns der eigenen Russlandpolitik, künftig seinen Nachbarn im Osten zuwenden.

Kanzler Scholz tut allerdings nichts, um diese Bedenken Frankreichs zu zerstreuen. Im Gegenteil, mehrere Male hat der Regierungschef in den vergangenen Monaten unmissverständlich gezeigt, dass er bereit ist, die eigenen Interessen über das Gemeinwohl zu stellen. Mit Zähneknirschen wurde in der EU registriert, dass Deutschland im Sommer den Gasmarkt leer kaufte, um die eigenen Speicher zu füllen. Immer wieder zitiert wird auch der 200 Milliarden Euro schwere „Doppelwumms“, den die Bundesregierung seinen Bürger versprochen hat, ohne die europäischen Partner vorab zu informieren. In Paris wird dies als rücksichtsloser Eingriff interpretiert, um der deutschen Industrie einen Vorteil im europäischen Wettbewerb zu verschaffen.

Paris steht im Schmollwinkel

Paris zog sich schließlich in den Schmollwinkel zurück, als Deutschland ankündigte, mit 14 anderen Staaten ein europäisches Luftverteidigungssystem aufzubauen. Einmal mehr stand Frankreich im Abseits. Die Verteidigungspolitik ist grundsätzlich ein schwieriges Terrain. Denn Berlin zeigt wenig Interesse an deutsch-französischen Rüstungsprojekten wie der Entwicklung des neuartigen Kampfflugzeugs FCAS oder dem Panzer der Zukunft MCGS. Stattdessen bestellt Deutschland F-35-Kampfflugzeuge in den USA.

Unter diesen Umständen muss die Absage Emmanuel Macron an die von Deutschland immer wieder geforderte Verlängerung der Pyrenäen-Pipeline MidCat in Richtung Osten als politische Blutgrätsche verstanden werden.

Es gibt viele Probleme zu lösen

Die Liste der großen und kleinen Nicklichkeiten im deutsch-französischen Verhältnis ließe sich fast beliebig fortsetzen. Das ist umso erstaunlicher, da sich nach dem Überfall Russlands gezeigt hat, welche Stärke die EU entfalten kann, wenn alle Staaten an einem Strang ziehen. In diesem Sinne müssen sich Paris und Berlin klar darüber werden, dass sie als politische Schwergewichte mit ihrer eitlen Streiterei in Europa einen nicht absehbaren Schaden anrichten.