Kanzler Olaf Scholz wirbt bei deutschen Unternehmen für Investitionen in den Wiederaufbau der Ukraine. Doch könnten Geldgeber durch Korruption in dem Land abgeschreckt werden?

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Mit jeder Rakete, jeder Granate, die Putins Armee gen Ukraine abfeuert, werden Menschen gefährdet, verletzt oder gar getötet – aber auch immense Sachwerte und Infrastruktur vernichtet. Das Land selbst wäre mit dem Wiederaufbau allein komplett überfordert. Er wird gigantische Summen verschlingen. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, halten deshalb „einen neuen Marshallplan des 21. Jahrhunderts“ für erforderlich. Das haben beide in einem gemeinsamen Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ erklärt.

 

„Der Wiederaufbau wird zu einer Generationenaufgabe“, sagte Scholz am Montag bei einem Deutsch-Ukrainischen Wirtschaftsforum in Berlin. Sein Kollege aus Kiew, der ukrainische Premierminister Denis Schmyhal, fügte hinzu: Investitionen in den Wiederaufbau eröffneten „unglaubliche Perspektiven für europäische Unternehmen“. Sein Land könne zum „Booster für die europäische Wirtschaft“ werden.

Russland ruiniert bewusst die Infrastruktur

„Russland ruiniert unsere Infrastruktur zielgerichtet“, beklagte Schmyhal. Die Weltbank beziffert die bisherigen Kriegsschäden auf 350 Milliarden Euro. Der Präsident der Europäischen Investitionsbank, Werner Hoyer, hatte sogar schon von einem Investitionsbedarf von mindestens einer Billion Euro gesprochen. Im Juli hatte die ukrainische Regierung bei einer Konferenz in der Schweiz einen Bedarf von 750 Milliarden US-Dollar angemeldet. Der Marshallplan, auf den Scholz und von der Leyen Bezug nehmen, war ein von den Vereinigten Staaten finanziertes Wiederaufbauprogramm für Europa und vor allem für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Von 1948 bis 1952 wurden Finanzhilfen von etwa 150 Milliarden Dollar nach heutiger Kaufkraft gewährt – ein entscheidender Anschub für das legendäre deutsche „Wirtschaftswunder“.

„Es wäre falsch, mit den Vorbereitungen zum Wiederaufbau der Ukraine bis zum Ende des Krieges zu warten“, sagte bei der Konferenz in Berlin der BASF-Finanzvorstand Hans-Ulrich Engel, Vizepräsident des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft. Ukraine-Premier Schmyhal erklärte, seine Regierung habe bereits 500 Projekte für den Wiederaufbau identifiziert, mit einem Finanzbedarf von insgesamt mehr als 400 Milliarden Euro. Als mögliche Investitionsschwerpunkte nannte er die Produktion militärischer Güter, die Energieversorgung, die IT-Infrastruktur und die Landwirtschaft. Es gehe dabei nicht nur um eine reine Wiederherstellung früherer Zustände, vielmehr wolle die Ukraine eine „Plattform für Innovation“ werden. Dies bekräftigte Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Die Ukraine brauche „mehr als akute Nothilfe“, vielmehr eine langfristige Perspektive.

Scholz pocht auf „größere Verlässlichkeit des Rechtsstaats“

„Wer heute in die Ukraine investiert, der investiert in ein künftiges EU-Mitgliedsland“, sagte der Kanzler. Der Wiederaufbau müsse mit Blick auf die Integration in den europäischen Binnenmarkt erfolgen – „mit dem Ziel der Ukraine als EU-Mitglied im Kopf“. So gehe es etwa darum, die Effizienz der Energieversorgung zu verbessern, um Stromexporte nach Europa zu ermöglichen.

Aktuell sind mehr als 2000 deutsche Unternehmen in der Ukraine engagiert. Ein Hemmschuh für Investoren könnte die Korruption in dem osteuropäischen Land sein. Bei einem Ländervergleich von Transparency International, dem sogenannten Korruptionserwartungsindex, rangierte die Ukraine vor Kriegsbeginn auf Platz 122 von 180 Staaten. Für Investitionen in den Wiederaufbau müssten „höchste Standards gelten, was Transparenz und Effizienz angeht“, erklärten Scholz und von der Leyen in ihrem gemeinsamen Appell. Scholz bekräftigte in seiner Rede beim Berliner Wirtschaftsforum, wünschenswert seien eine größere Verlässlichkeit des Rechtsstaats und ein noch entschiedenerer Kampf gegen Korruption. Je transparenter Investitionen in den Wiederaufbau geplant, genehmigt und abgewickelt würden, desto größer werde die Bereitschaft zur Hilfe sein. Der Wiederaufbau könne der „Beginn einer neuen Transformationspartnerschaft“ zwischen der Ukraine und Europa werden, die intensiver als alle bisherigen Beziehungen sei. Scholz bekundete: „Putins Krieg hat uns zusammengeschweißt.“