In einer neu erschienenen Biografie „Gottlieb Daimler – ein bewegtes Leben“ haben Renate und Karl-Otto Völker das Leben des Mobilitätspioniers beleuchtet. Im Interview erzählen sie, was es Neues im Leben des Motorenpioniers zu entdecken gibt.

Gottlieb Daimler ist bezüglich seiner Biografie untrennbar mit Schorndorf verbunden. Inmitten der Altstadt, in der Höllgasse, kam er 1834 zur Welt, lernte dort den Beruf des Büchsenmachers, bevor er 1853 auszog, die Welt auf seine Art zu mobilisieren. Renate Völker und Karl-Otto Völker, beide in Schorndorf verwurzelt und politisch engagiert, haben Daimler jetzt eine Biografie mit dem Motto „Ein bewegtes Leben“ gewidmet. Im Interview erzählen sie, was es Neues im Leben des Motorenpioniers zu entdecken gibt.
Herr Völker, mit dem Thema Gottlieb Daimler sind Sie sehr vertraut, weil Sie seit Längerem Themenführungen über ihn in Schorndorf und in Bad Cannstatt anbieten. Wie haben Sie sich in das Thema eingearbeitet?
Karl-Otto Völker Ich musste für meine Führung ja eine Art Drehbuch schreiben. Ich habe daran mehrere Monate gearbeitet. Dabei habe ich mich nicht nur mit seiner Biografie beschäftigt, sondern natürlich auch mit der Zeitgeschichte. Und dieses Wissen war die Grundlage für das Buch.

Frau Völker, ist es ein sehr aufwendiger Prozess, den Menschen Gottlieb Daimler zu entdecken, oder findet man die Quellen einfach?
Renate Völker Es gibt viele Quellen. Aber dennoch haben wir über den Zugang zum Daimler-Konzern-Archiv weiteres Material auswerten können, das bisher noch nicht veröffentlicht war. Das gab uns die Möglichkeit, den Menschen Daimler mehr herauszustellen.

Gilt das auch für die Wurzeln Gottlieb Daimlers in Schorndorf?

Renate Völker Man findet von der Kindheit und Jugend relativ wenig. Ich musste mich daher als Autorin in die Zeit hineinversetzen. Daimler hat ja seine Büchsenmacherlehre 1848 in Schorndorf begonnen, zu der Zeit der damaligen Demokratiebewegung. Karl-Otto Völker Im Revolutionsjahr 1848 hat sich der Bäckersohn Daimler für die Büchsenmacherei entschieden. Möglicherweise, weil auch in Schorndorf der Bedarf an Waffen stieg. Renate Völker Sein Vater hätte sich ja auch eine Beamtenlaufbahn vorstellen können, aber die Beamten waren damals nicht gut angesehen. Karl-Otto Völker Gottlieb Daimler hat in einer unglaublichen Hartnäckigkeit an seiner Idee der Mobilität gehangen. Das unterscheidet ihn auch von Karl Benz. Benz war konzentriert auf das Automobil, auf die „Selbsttätige Fahrerei“, wie er sie nannte. Gottlieb Daimler war viel universeller angelegt, er wollte Mobilität zu Lande, zu Wasser und in der Luft durch einen leichten, schnell laufenden Benzinmotor erreichen. Das war der große Unterschied.

 

Renate Völker Ich glaube, dass er durch seine Auslandsaufenthalte einen größeren Weitblick als Benz hatte. Das spürt man auch, wenn man seine Briefe liest.

Daimler gilt ja zudem als der erste schwäbische Tüftler, der es zu Weltruhm brachte. Aber seine wichtigsten Erfahrungen hat er im Ausland gemacht.

Karl-Otto Völker Württemberg war ein bettelarmes Land im 19. Jahrhundert, ein Agrarstaat. Der württembergische König hatte das erkannt, und hat deswegen dem Leiter der Zentralstelle für Handel und Gewerbe, Ferdinand Steinbeis, den Auftrag gegeben, jungen Menschen mit Stipendien zu ermöglichen, ins Ausland zu gehen. Daimler ist auf diese Weise in das Elsass, nach Paris und nach England gekommen.


Warum hat Gottlieb Daimler seine Fabrik nicht in seiner Geburtsstadt Schorndorf gegründet?
Karl-Otto Völker Wir haben im Archiv der Daimler AG auch ein Dokument gefunden, wonach Gottlieb Daimler günstig Grundstücke in Schorndorf erworben hatte, weil er dort eine Produktionsstätte plante. 67 Ar gehörten ihm nördlich des Bahnhofs an der Grabenstraße. Das Grundstück wurde jedoch 1913 an den Hutfabrikanten August Sommer verkauft.

Warum konnte sich Daimler dann nie dazu durchringen, in seiner Heimatstadt Motoren zu produzieren?
Karl-Otto Völker Sein Sohn Paul berichtet, die Schorndorfer Fabrikanten hätten das nicht gerne gesehen. Sie hätten befürchtet, die Löhne würden durch den neuen Industriezweig verdorben. Letztlich hat Daimler in Cannstatt produziert, mit 23 Arbeitern, die er sich selbst ausgesucht hat. Renate Völker Er war schon sehr vielseitig, aber ob er so ein genialer Kaufmann gewesen ist? Bei den Verträgen mit seinen Kapitalgebern war er sehr blauäugig. Man hat ihn offensichtlich unter Zeitdruck gesetzt.

Karl-Otto Völker Daimler dachte wohl, dass er das letzte Wort hat. Aber das war Max Duttenhofer, Pulverfabrikant aus Rottweil am Neckar.

Renate Völker Mir ist klar geworden, dass es dringend nötig war, eine neue Biografie über Daimler zu schreiben. Über Carl Benz gibt es viel mehr. Über dessen Leben wurden sogar Comics gemacht. Da kommen mir als Schorndorferin die Tränen (lacht).

Karl-Otto Völker Wir haben ja versucht, die Bedeutung von Gottlieb Daimler nach vorne zu rücken. Der ist ja hinter dem Carl Benz völlig verschwunden.

Das sagen Sie selbstbewusst in Richtung Baden.
Karl-Otto Völker Genau! (lacht)