Baden-Württemberg wird zur digitalen Leitregion, und der Regisseur Schorsch Kamerun schaut zu: Seine satirisch-absurde Collage „Ein Sommernachtstraum im Cyber Valley“, die im Stuttgarter Kammertheater Premiere feierte, fragt nach der Märchenhaftigkeit der Technik und entfesselt die Fantasie.

Stuttgart - Mit freundlichem Grinsen geht die rote Beete durch die Szene, ein kleiner Roboter surrt vorbei, hinter Glas ein Museum der Informatik, in einem kaum einsehbaren Raum die Band. Der Digital Württemberg Hirsch trägt ein zartes Geweih aus Neon und kämpft gegen das liebliche Neckartal; Helena ist ein kosmischer Nebel, Hermia ein Magnetfeld, Lysander ein Gammastrahl, und Günther Oettinger, digitaler Kommissar der Europäischen Union, fragt sich laut: „Bin ich jetzt schon ein Lebewesen?“ Der Musiker und Regisseur Schorsch Kamerun ist aus Hamburg nach Stuttgart zurückgekehrt, hat aus Shakespeare, Schubert, Pop-Art und Landespolitik eine satirisch-absurde Collage geschaffen, die sich einmal mehr als überaus verwirrend und unterhaltsam erweist.

 

Die Idee hinter dem Spektakel ist einfach. Baden-Württemberg soll zur digitalen Leitregion werden; rund eine Milliarde Euro möchte das Land bis 2021 investieren, um die Achse Stuttgart-Tübingen in ein „Cyber Valley“ zu verwandeln. „Ein Sommernachtstraum im Cyber Valley“ hat Schorsch Kamerun also sein Stück genannt – „Shakespeares Zauberwald als psychedelisches Maschinenklanggelände“. Kamerun faltet das Feenmärchen ins Fortschrittsstreben hinein, der Technoglaube wird von ihm unablässig ironisiert – eine Business-Sphinx erscheint, der Regisseur lässt „Erneuerbare Energien“ antreten und die „Hallschlag Ghetto Crew“, Schwarzwaldtrachten in videoüberwachten Fluren paradieren. Doppelgänger und Waldhüter sind unterwegs, Korbwesen, behängt mit Compact Discs und QR-Codes. Shakespeares Text aber ist überall. „Der Sommernachtstraum“ ist eine Komödie des Begehrens, erzählt von Elfen, die ihr Spiel mit den Menschen treiben. Oberon und Titiania fehlen ganz – doch Stimmen rufen: „Ich liebe dich, ich kann dich nicht lieben!“

Ein Puck, der mit der Stimme Winfried Kretschmanns spricht

Zu all dem ein cooles Fingerschnippen, Elektroklänge, Violine, Bass und Kurzwelle. Kamerun, im geheimen Raum, im Sendezentrum, singt: „Simulation! – Die Maschinen bauen eine Stadt daraus / und ich zeige dir mein neustes Kartenhaus.“ Kamerun hat sein Publikum im Foyer des Kammertheaters persönlich abgeholt und es in die Obhut des Gurus 4.0 übergeben. Der Guru wird gespielt vom Kammersänger Karl-Friedrich Dürr, ist gekleidet wie eine Figur aus einem Film von Alejandro Jodorowsky, steht viel später dann am Eingang zum Zauberwald und singt mit wunderbarem Ausdruck das letzte, trostlose Lied der „Winterreise“. Die Liebenden aus dem artifiziellen Sommernachtstraum, ganz in Weiß, haben sich hinter ihm zu einem Bild gruppiert, zusammen mit jenen bulligen Gestalten mit schwarzweiß lackierten Gesichtshelmen, die ein Blick ins Programmheft als Erlkönige identifiziert, gewiss nicht im Sinne Goethes.

Zuletzt sitzen Helena, Hermia und Lysandrus (Lucie Emons, Nina Siewert und Ferdinand Lehmann) vor einem Bildschirm, auf dem Max Reinhardts Inszenierung des „Sommernachtstraums“ als Hollywoodfilm zu sehen ist. Sie synchronisieren die Schauspieler des Films, legen ihnen den Cyber-Talk des Schwabenlandes in den Mund. Mickey Rooney, 1935 ein 15-jähriger Jungstar in der Rolle des Puck, blickt durchs Gesträuch und spricht mit der Stimme des baden-württembergischen Ministerpräsidenten: ein grandioser Moment, für den allein sich ein Ausflug in den sinnverwirrenden Zauberwald lohnt. „Ist was vorbereitet?“, fragt Kameruns Stimme – „Gibt’s denn hier kein Schauspiel?“ Doch, das gibt es, es ist überall zugleich, vielfältig, überfordernd und befreiend. Am „Sommernachtstraum im Cyber Valley“ sind rund achtzig Schauspieler, Studierende, Laien beteiligt. Die Premiere, sagt Kamerun zuletzt, sei nur ein Zwischenstand – „wir arbeiten weiter an dieser Welt.“