Die Schreibweise „Anlieger_innen“ in einem Dokument der Stadt Leinfelden-Echterdingen verdutzt manche Stadträte. Die Fraktionen des Gemeinderates sind sich bei der Frage uneins, ob sie die Schreibweise gut oder schlecht finden.

Leinfelden-Echterdingen - Als erstes ist es dem FDP-Stadtrat Wolfgang Haug aufgefallen. Bei einer Sitzungsvorlage für den Gemeinderat von Leinfelden-Echterdingen hat sich kürzlich der Gendergap eingeschlichen. Plötzlich war von „Anlieger_innen“ die Rede. „Das ist der Zeitgeist, der da kräftig wabert“, ist sich Haug sicher. Ihn stört aber nicht der Gendergap allein, sondern dass die Vorlage aus seiner Sicht verschiedene inhaltliche Schwächen hatte. Erst einmal solle man sich beim Verfassen von Gemeinderatsvorlagen doch um den Inhalt kümmern, anstatt zu versuchen, „zwanghaft eine angebliche Modernität“ zu erzeugen, so Haug weiter. Die Stadtverwaltung solle ordentliche Vorlagen erstellen und nicht die Sprache neu erfinden, meint der Stadtrat.

 

Gendern mit Sternchen, Unterstrichen oder Ähnlichem

Ähnlich sieht es der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler/FDP. Eberhard Wächter findet, dass sich die Verwaltung an die jeweils geltende Rechtschreibordnung des Rats für deutsche Rechtschreibung halten und das Gendern mit Sternchen, Unterstrichen oder Ähnlichem unterlassen sollte. „Wir sind der Meinung, dass die deutsche Sprache mit ihren vielfältigen Begriffen und grammatikalischen Feinheiten niemanden ausgrenzt oder diskriminiert, auch wenn manche Begriffe eindeutig ein männliches und andere Begriffe eindeutig ein weibliches Geschlecht aufweisen“, so Wächter.

Die anderen Fraktionen des Gemeinderates haben weniger Probleme mit der Schreibweise „Anlieger_innen“. Die CDU-Fraktion begrüßt die Bemühungen der Verwaltung für eine diskriminierungsfreie Sprache grundsätzlich. Allerdings, so teilt es die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Céline Kühnle mit, solle dabei auf eine gute Lesbarkeit und Einheitlichkeit geachtet werden. „Hier ein Unterstrich, da ein Doppelpunkt und in der nächsten Vorlage ein Sternchen – davon hält die CDU-Fraktion nichts.“ Ob die Zeit jedoch bereits reif sei für ein Gendern in sämtlichem Schriftverkehr der Verwaltung, das stellt die CDU-Fraktion in Frage.

SPD will, dass Stadt möglichst geschlechtsneutral formuliert

Anders sieht es die SPD im Gemeinderat von L.-E. „Die Zeiten, in denen Frauen oder diverse Menschen immer automatisch bei der männlichen Bezeichnung mitgemeint sein sollten, die sollten eigentlich vorbei sein“, findet die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Barbara Sinner-Bartels. Alle Menschen müssten in gleicher Weise gesehen, wertgeschätzt und auf respektvolle Weise angesprochen und sichtbar gemacht werden. Die SPD sei „unbedingt dafür, dass auch die Stadtverwaltung sich bemüht, geschlechtsneutral zu formulieren“.

Auch die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen befürwortet das Gendern. Die Fraktionsvorsitzende Ingrid Grischtschenko findet: „Gendern ist wie alles reine Gewohnheitssache.“ Wer sich Anregungen dazu holen möchte, könne beispielsweise in den Flensburger Leitfaden für geschlechtergerechte Sprache schauen. „Ich finde gut, wenn Texte lesbar und sprechbar sind und trotzdem neue Bilder im Kopf entstehen lassen“, so die Stadträtin.

Sprache soll das Bewusstsein schärfen

Uneinigkeit beim Umgang mit dem Thema herrscht bei der Fraktion der LE Bürger/Demokratie in Bewegung. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sabine Onayli und die Stadträtin Sigrid Ott betonen, dass Frauen nicht gleichgestellt seien und die Sprache ein geeignetes Mittel sei, darauf hinzuweisen und das Bewusstsein zu schärfen. Der Fraktionsvorsitzende Jürgen Kemmner hält dagegen nichts von Gendersternchen oder ähnlichen Platzhaltern. Formulierungen wie Regierende, Sitzende oder Fahrende sind für Kemmner sprachliche Krücken, auf denen er sich nur unzureichend zielgerichtet fortbewegen könne. Da sei es besser, alle Adressaten ausformuliert anzusprechen.

Und die Stadtverwaltung? Der Oberbürgermeister Roland Klenk sei daran interessiert, die deutsche Sprache zu schützen, betont der Sprecher der Stadt Thomas Krämer. Die gegenderte Form „Anlieger_innen“ in einer Sitzungsvorlage sei unbeabsichtigt gewesen. Allerdings beschäftige sich die Verwaltung seit geraumer Zeit mit dem Thema der diskriminierungsfreien Sprache im Schriftverkehr. Bislang sei das Rathaus aber immer wieder zu der Überzeugung gelangt, dass es am sinnvollsten sei, den Empfehlungen der Gesellschaft für deutsche Sprache zu folgen. Diese sehen unter anderem vor, beide Geschlechter explizit und ungekürzt zu nennen oder Formen wie Teilnehmende oder Studierende zu verwenden.