Im schrottigen Lada Richtung Walachei: Mit seinem Abenteuerroman „Tschick“ stand Wolfgang Herrndorf wochenlang auf den Bestsellerlisten. Jetzt ist der Berliner Autor, der an einem unheilbaren Gehirntumor litt, gestorben.

Berlin - Als Wolfgang Herrndorf im vergangenen Jahr den renommierten Preis der Leipziger Buchmesse erhielt, konnte er die Auszeichnung schon nicht mehr selbst entgegennehmen. Durch einen Freund ließ er lediglich ein afrikanisches Sprichwort übermitteln: „Die Sonne geht immer hinter der Düne unter, die Dir gerade am nächsten ist.“ Am Montag ist der Autor, der an einem unheilbaren Gehirntumor litt, mit 48 Jahren in Berlin gestorben - nach drei Gehirnoperationen, zwei Bestrahlungen und drei Chemos im Kampf gegen den Krebs.

 

2010 hatte der gebürtige Hamburger mit seinem Roman „Tschick“ den Überraschungserfolg des Jahres gelandet. Das Buch stand monatelang auf den Bestsellerlisten, erhielt den Deutschen Jugendliteraturpreis 2011 und hat sich inzwischen mehr als eine Million mal verkauft. Die abenteuerliche Lada-Fahrt der beiden Freunde Maik und Andrej quer durch Ostdeutschland rührte viele Leser ans Herz. „Ein großartiges Buch, egal, ob man nun dreizehn, dreißig oder gefühlte dreihundert ist“, befand die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.

Nur wenige Monate vor dem Druck des Romans wurde bei Herrndorf ein bösartiger Gehirntumor diagnostiziert. Prognose: Nicht heilbar. Seither gab er in seinem Blog „Arbeit und Struktur“ (www.wolfgang-herrndorf.de) regelmäßig Auskunft über sein Leben mit dem Tod. Am 8. März 2010, nach einer Einlieferung in die Psychiatrie begonnen, ist das Internet-Tagebuch ein ebenso erschütterndes wie bitter-komisches Dokument von Wut und Verzweiflung, Angst und Überlebenskampf.

„Gib mir ein Jahr, Herrgott, an den ich nicht glaube, und ich werde fertig mit allem“, schreibt er zu Beginn. Doch so soll es nicht kommen. Erst eine OP, dann eine zweite, eine dritte. „Der aktuelle Champion in meiner Gewichtsklasse hat es hier auf vier Hirn-OPs gebracht“, notiert er einmal. Ein andermal heißt es: „Links jetzt, als ob jemand die Nervenstränge büschelweise aus den Buchsen zieht.“ Oder: „Ja, mach dich vom Acker, Körper, hau ab, nimm mit, was du tragen kannst.“

Herrndorf kommt eher zufällig ans Schreiben

Wider alles Erwarten bringt er trotzdem auch seinen nächsten Roman „Sand“ zu Ende, ein brillantes Vexierspiel um Gewalt und Verfolgung, Selbstsuche und Tod. Der ebenso rätselhafte wie großartige Agententhriller aus der afrikanischen Wüste trägt ihm 2012 den Leipziger Buchpreis, später zusätzlich eine Nominierung für den Deutschen Buchpreis ein. „Wenn man den Anspruch hat, die feinsinnigsten, innovativsten und genauesten Erzählungen zu benennen, dann muss Herrndorf dabei sein“, begründete Jurychef Andreas Isenschmid damals den ungewöhnlichen Doppelschlag.

Dabei hatte Herrndorf ursprünglich gar nicht Schriftsteller werden wollen. Am 12. Juni 1965 in Hamburg geboren und in einem „sehr kleinbürgerlichen Haushalt“ ohne Literatur aufgewachsen, hatte er Kunst studiert und zunächst in Berlin als Illustrator gearbeitet - unter anderem für das Satiremagazin „Titanic“.

Durch einen Verlagsjob kam er eher zufällig ans Schreiben. Sein erster Roman „In Plüschgewittern“ (2002) fand noch wenig Aufmerksamkeit. Doch schon beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2004 konnte der Newcomer mit einer Kurzgeschichte aus dem Stand den Publikumspreis einheimsen. Die Story erschien später mit anderen Erzählungen unter dem Titel „Diesseits des Van-Allen-Gürtels“ (2007).

Seit seiner Krebsdiagnose lebte Herrndorf absolut zurückgezogen in Berlin. „Keine Anfragen, keine Interviews, keine Lesungen, keine Ausnahmen“, schrieb er auf seiner Internetseite. Nur die Freunde, die Lebensgefährtin C. und die Arbeit gaben seinem Leben Struktur. Ein Roadmovie „Isa“ wollte er noch fertigbekommen und eine Buchfassung seines Blogs.

Die letzten Einträge in seinem Blog zeugen erschütternd davon, wie der große Sprachkünstler immer mehr seine Worte verliert. „Ich bin nicht der Mann, der ich einmal war. Meine Freunde reden mit einem Zombie“, schrieb er Anfang Juli. Und einige Tage später folgte ein Gedicht: „Niemand kommt an mich heran/bis an die Stunde meines Todes./Und auch dann wird niemand kommen./Nichts wird kommen, und es ist in meiner Hand.“