Vom Ur-Krolock des Musicals bis zur Miss Germany: Mit Stadtpromis, vor allem aber mit Geld hat ein Geschäftsmann das Varieté beglückt. Sponsoring, so zeigt sich in dieser magischen Nacht, kann bunt, schrill und lustig sein.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - In dieser Nacht muss die blonde Polizistin von Einsatz zu Einsatz eilen – und das ganz ohne Blaulicht. Wird in der Stadt ein roter Teppich ausgerollt, ruft man Nadine Berneis herbei. Die neue Miss Germany kommt gern, wie man ihr ansieht. Vom Promi-Event im Varieté auf dem Pragsattel geht’s ruckzuck runter in den Kessel zur Sterneküchenparty von Breuninger. Im Schlepptau sind Lästereien. Die 28-Jährige kennt die Frage, die sie auslöst: Kann eine Frau mit Zahnlücke Deutschlands Schönste sein?

 

Bosheiten muss die Polizeibeamtin, die sich fürs Miss-Amt beurlauben ließ, über sich im Netz lesen – und reagiert cool darauf. Die Siegerin einer Beauty-Wahl rühmt die innere Schönheit, die wertvoller sei als die äußere Schönheit. Nadine Berneis will mit selbstbewusstem Auftreten zeigen, dass es auf Wichtigeres ankommt als auf Oberflächlichkeiten in sozialen Medien. Sie will jungen Frauen, die sich nicht für schön genug halten, das Selbstwertgefühl stärken.

Schönheit ist Geschmacksache, sagt das Playmate

Während jemand (ein Mann!) auf dem roten Friedrichsbau-Teppich laut und hörbar sagt, die Polizistin als Miss Germany „geht gar nicht“, entgegnet Model Ramona Bernhard: „Ist doch Geschmacksache!“ Auch sie achte auf ihr Äußeres, sagt das Playmate: „Entscheidend aber ist, wie hübsch man im Kopf und im Herzen ist.“

Nicht unwichtig für die eigene Eitelkeit dürften die vielen Selfies sein, die in dieser Nacht ohne Ende gemacht werden. Doch noch wichtiger ist, eine 120 Jahre alte Tradition zu ehren. Zuletzt hat das benachbarte Theaterhaus mit einer drohenden Insolvenz aufgeschreckt. „Wir sind auf Unterstützung von außen angewiesen“, sagt Timo Steinhauer, der Friedrichsbau-Chef zur Begrüßung ins Mikro. Deshalb ist er dem Stuttgarter Unternehmer Marc Wenger so dankbar, weil dieser fast das ganze Varieté mit der starken Show „Magic Rocks“ für seine 200 Gäste gebucht hat. In den höchsten Tönen lobt der Theatermann den Sponsor, umarmt ihn auf der Bühne und freut sich über „viele neue Gesichter“ in seinem Haus. Vielleicht kommen viele der Eingeladenen mal wieder und zahlen dann selbst Eintritt.

Friedrichsbau-Chef Timo Steinhauer ist im Glück

Varieté bedeutet Vielfalt. Die menschliche Vielfalt zeigt sich in dieser bunten Nacht. Von Kohls früherem Regierungssprecher Otto Hauser bis zur TV-Kartenlegerin Lydia Erhardt, vom Ex-Nationalspieler Kevin Kuranyi bis zur Party-Legende Uwe Reiser, vom Kickers-Geschäftsführer Marc-Nicolai Pfeifer bis zum schönen Moderator Mustafa Göktas – Gastgeber Wenger, einer der eifrigsten Netzwerker der Stadt, hat Gegensätze versammelt, die er mit seiner Liebe fürs Varieté anstecken will. Beim Karlsruher Autor Axel Kahn gelingt ihm dies sofort: Der ältere Bruder von Torwart-Legende Oliver Kahn bucht für Mai ebenfalls den Friedrichsbau für eine Veranstaltung komplett.

Varieté-Chef Steinhauer ist im Glück. Die Magie-Show laufe ohnehin sehr gut, sagt er. Wenn dazu noch Sponsorenbuchungen kommen, kann er ruhiger schlafen. „Für Events machen wir alles möglich“, sagt er, „verändern auch die Showlänge, wenn es gewünscht wird.“

Marc Wenger, der Gastgeber dieses Abends, hatte viel Glück im Leben – und doch Lektionen erteilt bekommen, die ihn aufzeigen, dass der Mensch sich auch um andere Menschen kümmern sollte. Nach dem Herztod seiner Mutter sammelt er mit dem Verein Herzklopfen Spenden für medizinische Geräte. Zahlreiche Ärzte sind unter seinen Gästen. Und jetzt will er sich auch dafür einsetzen, dass Stuttgarts Kulturleben in seiner Vielfalt erhalten bleibt.

Musicalstar Kevin Tarte sitzt vorne am Mitmach-Tisch

Musicalstar Kevin Tarte sitzt vorne am Mitmach-Tisch. Immer wieder muss er die „Pommes-Gabel“ machen, mit dem Kopf nach unten wippen und mitjubeln. Später im Foyer geht’s ihm liebevoll an den Kragen. Der italenische Magier-Freak Skizzo fällt mit dem Messer über ihn her. In dieser Nacht nimmt Tarte Glückwünsche entgegen. Unsere Zeitung hat gerade berichtet, was die Stuttgarter Musical-Hits der vergangenen 25 Jahren sind. Auf Platz eins steht „Tanz der Vampire“, jene Show, in der Tarte etwa 1000-mal den Krolock gespielt hat.

Werden die Vampire zu einer vierten Spielzeit auf die Filder zurückkehren? Für den US-Amerikaner , der seit 20 Jahren in Stuttgart lebt und nicht mehr wegziehen will, ist dies keine Frage, „Aber klar“, antwortet er, „Vampire leben ewig.“ Hoffentlich lebt das Varieté noch ein bisschen länger.