Kultur: Stefan Kister (kir)

Sasa Stanisic stammt aus Visegrad, der Stadt, in der der Literaturnobelpreisträger Ivo Andric mit seinem Roman „Die Brücke über die Drina“ die Vorgeschichte dessen erzählt, was in den Jugoslawienkriegen zerstört wurde. Auch in der Drina gab es einmal Forellen, Diebe, Jäger und am Ende viel, viel trübes Wasser. Heute gehört Visegrad zum serbischen Teil Bosniens. Der einstige Vielvölkerstaat ist in die Festlegungsfalle geraten und ging darin unter.

 

Der Fallensteller, von dem Stanisic erzählt, ist in Wirklichkeit eher ein Befreier. Er zerstreut die Bedrohungsphantasmen, die von den Leuten Besitz ergriffen haben. Im Bann seiner Fallen leben Mensch und Kreatur friedlich vereint. Über das aber, was uns die Freiheit wirklich raubt, rappt er mit seherischer Gabe: „Nationalismus, Protektionismus . . . Europas größte Fallen . . . Sich Ressourcen krallen, bis vor Ort sich Fäuste ballen . . . Waffen liefern, Kriege schüren, dann verschließen jene Türen, die vom Blutvergießen in Sicherheit führen . . . Die maroden Boote derer, die es wagen . . . Oh, Ägäis, deine neuen brutalen Sagen.“ Das ist die Schlinge, die sich nicht nur in Europa gerade zuzuziehen droht. Spielerischer kann man sich darauf keinen Reim machen. Ernster auch nicht.

So libellenleicht und schwebend Stanisic mit der Sprache spielt, so bodenlos tief und dunkel ist der darunterliegende Grund. Beide Sphären fließen im Lebensstrom der letzten Geschichte des „Fallensteller“-Bandes zusammen. Auf der Oberfläche treibt das erfolgreiche Dasein eines jungen, zeitgemäß polyamourös veranlagten Weltenbummlers dahin, leise begleitet von einer Unterströmung der Erinnerung an den im Sterben liegenden Großvater, der ihm einst im Fluss das Schweben beigebracht hat.

Das komplizierte Seelenleben der Füchse

Stanisic hat es über den Fluss geschafft. Er hat eine neue Sprache gelernt. Eine? Das klingt mal nach früher Neuzeit, mal nach deutschem Hip-Hop, mal nach hoher Dichtung und mal nach schwieriger Sozialprognose. Wie in Drachenblut gebadet versteht man endlich das komplizierte Seelenleben der Füchse, was in ihnen vorgeht, wenn sie sich in Todesgefahr ein gestohlenes Ei auf der Zunge zergehen lassen oder die Witterung eines Wolfs aufnehmen.

Eine politische Wolfswitterung hatte auch Schubart in der Nase. Mit den Helden Stanisic’ teilt er das Schweifende. „Ich bin in Deutschland geboren und bin doch in Deutschland ein Fremdling, ich bin in Schwaben erzogen und bin doch in Schwaben ein Fremdling, ich bin ein Reichsstädtler und keine einzige Reichsstadt erkennt mich für seinen Bürger.“ Schubarts Freiheitsdrang, sein Kampf für Aufklärung, sein Eintreten für eine Emanzipation der Bauern und Bürger sammelt sich im Medium seiner „Deutschen Chronik“, in der er gegen die Willkür absolutistischer Fürsten zu Felde zieht.

Schubart hat die originelle Musikalität seiner Sprache seinem Festungshintergrund abgerungen. Das Gedicht ist während der zehnjährigen Haft auf dem Hohenasperg entstanden, und es erzählt, wie ein Wesen, das sich unschuldig seiner Freiheit erfreut, zum Opfer derer wird, die im Trüben fischen. Zur Erinnerung: „Doch endlich ward dem Diebe / Die Zeit zu lang; er macht / Das Bächlein tückisch trübe: / Und eh’ ich es gedacht, / So zuckte seine Ruthe / Das Fischlein zappelt dran; /Und ich, mit regem Blute, / Sah die Betrogne an.“ So heißt es in der dritten Strophe von Schubarts Gedicht.

Trübes Wasser allerorten

Sasa Stanisic stammt aus Visegrad, der Stadt, in der der Literaturnobelpreisträger Ivo Andric mit seinem Roman „Die Brücke über die Drina“ die Vorgeschichte dessen erzählt, was in den Jugoslawienkriegen zerstört wurde. Auch in der Drina gab es einmal Forellen, Diebe, Jäger und am Ende viel, viel trübes Wasser. Heute gehört Visegrad zum serbischen Teil Bosniens. Der einstige Vielvölkerstaat ist in die Festlegungsfalle geraten und ging darin unter.

Der Fallensteller, von dem Stanisic erzählt, ist in Wirklichkeit eher ein Befreier. Er zerstreut die Bedrohungsphantasmen, die von den Leuten Besitz ergriffen haben. Im Bann seiner Fallen leben Mensch und Kreatur friedlich vereint. Über das aber, was uns die Freiheit wirklich raubt, rappt er mit seherischer Gabe: „Nationalismus, Protektionismus . . . Europas größte Fallen . . . Sich Ressourcen krallen, bis vor Ort sich Fäuste ballen . . . Waffen liefern, Kriege schüren, dann verschließen jene Türen, die vom Blutvergießen in Sicherheit führen . . . Die maroden Boote derer, die es wagen . . . Oh, Ägäis, deine neuen brutalen Sagen.“ Das ist die Schlinge, die sich nicht nur in Europa gerade zuzuziehen droht. Spielerischer kann man sich darauf keinen Reim machen. Ernster auch nicht.

So libellenleicht und schwebend Stanisic mit der Sprache spielt, so bodenlos tief und dunkel ist der darunterliegende Grund. Beide Sphären fließen im Lebensstrom der letzten Geschichte des „Fallensteller“-Bandes zusammen. Auf der Oberfläche treibt das erfolgreiche Dasein eines jungen, zeitgemäß polyamourös veranlagten Weltenbummlers dahin, leise begleitet von einer Unterströmung der Erinnerung an den im Sterben liegenden Großvater, der ihm einst im Fluss das Schweben beigebracht hat.

Das komplizierte Seelenleben der Füchse

Stanisic hat es über den Fluss geschafft. Er hat eine neue Sprache gelernt. Eine? Das klingt mal nach früher Neuzeit, mal nach deutschem Hip-Hop, mal nach hoher Dichtung und mal nach schwieriger Sozialprognose. Wie in Drachenblut gebadet versteht man endlich das komplizierte Seelenleben der Füchse, was in ihnen vorgeht, wenn sie sich in Todesgefahr ein gestohlenes Ei auf der Zunge zergehen lassen oder die Witterung eines Wolfs aufnehmen.

Eine politische Wolfswitterung hatte auch Schubart in der Nase. Mit den Helden Stanisic’ teilt er das Schweifende. „Ich bin in Deutschland geboren und bin doch in Deutschland ein Fremdling, ich bin in Schwaben erzogen und bin doch in Schwaben ein Fremdling, ich bin ein Reichsstädtler und keine einzige Reichsstadt erkennt mich für seinen Bürger.“ Schubarts Freiheitsdrang, sein Kampf für Aufklärung, sein Eintreten für eine Emanzipation der Bauern und Bürger sammelt sich im Medium seiner „Deutschen Chronik“, in der er gegen die Willkür absolutistischer Fürsten zu Felde zieht.

Womit man wieder in Fürstenfelde wäre, dem Dorf aus dem Roman „Vor dem Fest“. Man begegnet darin ebenfalls einer Chronistin. Sie heißt Frau Schwermuth und weiß alles. Sie kennt die Dramen des Gesangsvereins, die Kriegstoten in diesem und in jenem Krieg und die Fischfangmengen des Jahres 1744. Vermutlich würde sie auch die von 1783 kennen, des Jahres, in dem Schubarts „Forelle“ im Schwäbischen Musenalmanach erschienen ist. Vor allem aber weiß Frau Schwermuth, dass die Vergangenheit wie jede gute Erzählung ordentlich lektoriert sein will. Und gelinde gesagt, geht sie mit dem Text sehr frei um, weil sie weiß, dass eine Vergangenheit nur so gut ist, wie die Gegenwart, zu der sie verhilft.

Sasa Stanisic ist der Chronist jener Geschichte, die wir uns zur Gegenwart hinzuerfinden müssen, um nicht in Schwermut zu versinken. In seiner schwellenkundigen Literatur gerät alles in Bewegung. Alle Grenzen lösen sich auf, zwischen Mensch und Natur, zwischen Räumen und Zeiten, Leben und Tod. So wirkt in seinen Werken der zerstörte Traum eines poetischen Vielvölkerstaats weiter, größer und schöner als er jemals existiert hat. Und wir alle gehören zu seinen Bürgern. Das ist mehr als eine billige Weisheit, das ist die große Hoffnung, die die gemeinsame Sprache dieses Schreibens weckt.