Deutsch als Fremdsprache in israelischen Schulen gibt es erst seit 2015. Jahrzehntelang war die Sprache der NS-Täter verpönt. Ein Besuch in einem Tel Aviver Gymnasium zeigt junge Menschen, die Spaß am Lernen haben – und einen Traum.

Tel Aviv - Die Vokabel „schwänzen“ kennen sie bereits. Real geschwänzt wird aber wenig im Deutschunterricht am Ironi-Aleph-Gymnasium in Tel Aviv. Dort können die Schüler ab der zehnten Klasse Deutsch als Wahlpflichtfach belegen. Wer das tut, sagt die Lehrerin Shelley Kantarovich, ist zumeist hochmotiviert. Die Bundesliga hat daran ihren Anteil. „Viele meiner Schüler konnten vorher kein Wort Deutsch außer Fußballjargon.“ Unter Israelis ist das Verfolgen der Spiele von Bayern München und anderer Bundesligisten im Fernsehen ausgesprochen beliebt.

 

Es gibt aber noch andere Gründe, die Sprache zu lernen. Manchmal hat das auch mit der Familiengeschichte zu tun, so wie im Fall der 17-jährigen Ofri aus der „Elf“, die Kantarovich an diesem Morgen unterrichtet. Ofris Großeltern sind in Frankfurt am Main geboren und vor den Nazis in das britische Mandatsgebiet Palästina geflüchtet. Unter sich sprachen sie Deutsch, aber mit Ofris Vater Hebräisch. Er sollte ein richtiger „Sabra“, ein im Land geborener Israeli, werden.

Ofris (17) Großeltern stammen aus Frankfurt am Main

Dass die Enkelin unter den vielen Fächern im Angebot – am Ironi-Aleph-Gymnasium zählen dazu neben Kunst und Musik auch Arabisch – sich für Deutsch entschieden hat, darüber, sagt Ofri, „sind die Großeltern richtig glücklich“. Dauernd erkundigten sie sich nun, „wie es mit meinem Deutsch läuft“.

In den frühen Jahren nach der israelischen Staatsgründung war Deutsch noch als „Sprache der Täter“ verpönt. Viele aus Deutschland eingewanderte Juden redeten in ihrer Muttersprache nur daheim. Unter jungen Israelis spielen solche Vorbehalte kaum noch eine Rolle. Keiner der 13 Schüler, die gerade in Kantarovichs Klasse die Lektion „Wir gehen auf Reisen“ gebüffelt haben, erwähnt derartige Bedenken. Sie lernen Deutsch, weil es in der Schule anders als etwa im Goethe-Sprachkurs nichts kostet, weil es vielleicht später Türen im Beruf öffnet, oder, wie einige bekennen, „einfach nur zum Spaß“.

Der Holocaust überschattet die Beziehungen

Selbstverständlich ist das angesichts der vom Holocaust überschatteten deutsch-jüdischen Geschichte nicht. Der Beschluss, Deutschunterricht in staatlichen israelischen Schulen einzuführen, gilt als Meilenstein in dieser besonderen Beziehung und wurde als Erfolg der deutsch-israelischen Regierungskonsultationen gefeiert. Eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichneten Erziehungsminister Naftali Benett und der Generalsekretär der deutschen Kultusministerkonferenz, Udo Michallik, erst im Juli 2015.

Es gab allerdings Vorläufer: voran die Rabin-Highschool im südlichen Eilat, an der bereits im gleichen Jahr acht Schüler erfolgreich das Deutsche Sprachdiplom bestanden. Die Oberschule, benannt nach dem ermordeten israelischen Premier Yitzhak Rabin, gehört inzwischen zu den tausend Sprachdiplomschulen weltweit, die von der Zentralstelle für Auslandschulwesen (ZfA) gefördert werden. Auch an einer Schule in Haifa wird schon seit den frühen neunziger Jahren in den Nachmittagskursen Deutsch angeboten. Fast von Anfang an dabei ist Rita Lanczet, die viele ihrer Schüler aus den Deutsch-AGs so erfolgreich unterrichtet hat, dass sie sogar das Abitur in Deutsch bestanden.

Deutsch als Fremdsprache im Regelunterricht

Jahrzehntelang wurde diese Prüfung außerschulisch beim Goethe-Institut in Tel Aviv abgelegt. Jetzt, nach der offiziellen Einführung von Deutsch als Fremdsprache im Regelunterricht, hat das israelische Erziehungsministerium diese Aufgabe übernommen. Etwas Bammel hat auch Lehrerin Lanczet, „was die Ministerialbeamten erwarten“. Das verlangte Lernniveau ist zwar definiert, aber früher bei „Goethe“ wusste Lanczet aus langjähriger Erfahrung auch, was beim Test auf die Schüler zukommt: „Immer dabei sind ein paar Fragen aus der Literatur.“

Eine Kooperation zwischen Behörde und Goethe-Institut, das israelischen Lehrern ohnehin didaktische Materialien sowie Seminarstipendien anbietet, wäre wohl praktischer gewesen. Qualitativ und auch quantitativ ist die Spracharbeit des deutschen Kulturinstitutes in Israel nicht so schnell zu schlagen. Um die 2000 Israelis schreiben sich jährlich in die Deutschkurse in Jerusalem und Tel Aviv ein, berichtet Jörg Klinner, der die Sprachabteilung im Goethe-Institut leitet.

Schüleraustausch zwischen Tel Aviv und Nürnberg

Aber Deutschlernen an israelischen Schulen hat seinen eigenen Reiz. Nicht zuletzt profitiert davon der Schüleraustausch. 16 Schüler des Ironi-Aleph-Gymnasiums waren vergangenes Jahr in Nürnberg. Sie waren auch auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände, was, so Lehrerin Kantarovich, „ein sehr intensives, sehr bedrückendes Erlebnis war“. Gerade auch, weil es keineswegs selbstverständlich ist, dass junge Deutsche und Israelis eine solche NS-Gedenkstätte gemeinsam besichtigen. Dieses Jahr kamen die Nürnberger Schüler auf Gegenbesuch nach Tel Aviv, trotz mancher Sicherheitsbedenken.

Das bot Gelegenheit auch für Kantarovichs Klasse, ihr Deutsch auszuprobieren, ohne immer nur an Grammatik zu denken. „Deutsch ist schon speziell mit all diesem der, die, das“, lautet die vielfach gehörte Schülerklage in Tel Aviv. Andererseits, meint der 17-jährige Daniel, sei das Vokabellernen nicht so schwer, weil viele deutsche Wörter den englischen ähnelten. Manche sind über das Jiddische mit dem Hebräischen verwandt. Zudem lockt das Ziel, das sich Daniel und einige Klassenkameraden gesetzt haben. Nach Abi und Militärdienst wollen sie in Deutschland studieren. Am liebsten in Berlin. „Das“, sagt Daniel, „ist mein Traum.“