Erst Remstal, dann Besançon: Eine deutsch-französische Schülergruppe forscht im Zuge eines Videoprojekts über den Ersten Weltkrieg. Diese Woche war sie in Waiblingen, Weinstadt und Kernen unterwegs.

Waiblingen/Besançon - Seine Körperhaltung spricht Bände: mit gesenktem Kopf kauert der Soldat am Boden. Ein strahlender Held sieht anders aus. Die Schülerin Anna-Sophia nimmt den traurigen Krieger neben der evangelischen Kirche in Weinstadt-Endersbach in den Fokus ihrer Kamera. Die Steinskulptur, auf der an einigen Stellen Flechten und Moos wachsen, erinnert an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs. 20 Jugendliche scharen sich darum. Sie sprechen Deutsch und Französisch, besuchen das Waiblinger Staufer-Gymnasium und das Lycée Victor Hugo in Besançon.

 

Was heute ganz selbstverständlich wirkt, wäre vor 100 Jahren, im Januar 1918, schlicht undenkbar gewesen: Damals befanden sich Deutschland und Frankreich im Krieg, waren erbitterte Feinde. Wie es so weit kommen konnte und was dieser Krieg für die Menschen bedeutete, das wollen die 20 Neunt- und Zehntklässler im Rahmen eines Videoprojekts herausfinden. Das Deutsch-Französische Jugendwerk fördert die Aktion, deren Ergebnis ein 15-minütiger Film sein soll, mit 2500 Euro.

Drei Brüder sind an der Front gestorben

Eine Woche lang haben sich die deutschen und französischen Jugendlichen im Remstal auf die Suche nach den Spuren des Ersten Weltkriegs begeben, im März werden sie dann das Gleiche in Frankreich tun. „Als wir angefangen haben, war die erste Reaktion: Muss es der Erste Weltkrieg sein?“, erzählt die Französischlehrerin Irene Brechtelsbauer. Anders als in Frankreich, wo „la Grande Guerre“ noch eine wichtige Rolle spiele, sei in Deutschland der Zweite Weltkrieg präsenter. Trotzdem: „Die Schüler haben sich darauf eingelassen.“

So zum Beispiel der 15-jährige Fridjof, der sagt: „Mich hat interessiert, wie die Situation damals war und wie es zu dieser Feindschaft und diesem Hass gekommen ist.“ Oder Fleur, ebenfalls 15 Jahre alt, in deren Familie der Erste Weltkrieg eine große Lücke hinterlassen hat: „Die drei Brüder meiner Uroma sind alle an der Front gefallen.“ Auch die 16-jährige Sarah erzählt, zwei ihrer Urgroßväter seien im Krieg tödlich verletzt worden: „Das ist in der Familie von Generation zu Generation weitererzählt worden.“ Sie hält es für wichtig, dass sich solche Fehler künftig nicht wiederholen: „Wir Jugendlichen bauen unsere eigene Zukunft.“

Alltagsleben im Krieg

Schon im Vorfeld der nun zu Ende gehenden Projektwoche hatten alle Schüler Tagebücher von deutschen und französischen Zeitzeugen gelesen. Wie sich der Krieg auf das Alltags- und Familienleben ausgewirkt hat, das habe die Jugendlichen noch mehr interessiert, als das Militärische, sagt Christian Jehle, der am Lycée Victor Hugo arbeitet. Bei einer Führung im Haus der Geschichte sei auch das ein Thema gewesen, erzählt Irene Brechtelsbauer.

Zwei weitere Stationen waren ein Besuch in Rommelshausen, wo die Schüler Konfirmanden zu ihren Eindrücken angesichts des dortigen Kriegerdenkmals befragten. Am Endersbacher Gedenkort stehen die 20 Jugendlichen nun selbst vor der Kamera, erzählen von ihren Gedanken und Eindrücken, zitieren Texte. Zum Beispiel Luke, der Mascha Kalékos Gedicht „Chor der Kriegerwaisen“ vorträgt.

Vom Bunker zum Käsekeller

Im März werden sich die Jugendlichen zwei Beispiele von Denkmälern in Frankreich anschauen – und feststellen, dass diese etwas ganz anderes ausdrücken,. Stichwort: Siegerpose. Allerdings gebe es auch dort Veränderungen, erzählt Christian Jehle: „Als das Denkmal in Besançon 2013 wegen Bauarbeiten versetzt werden musste, hat man es zwar woanders wieder aufgebaut, es aber ganz anders, viel weniger triumphal, inszeniert.“ Das werden die Schüler im März bei einem Besuch im Stadtarchiv von Besançon anhand historischer Fotos sehen können.

Ein weiterer Ausflug wird die Jugendlichen ins Jura-Gebirge führen. In unterirdischen Bunkern, die nach dem preußisch-französischen Krieg zum Schutz der französischen Grenze gebaut und über Jahrzehnte vom Militär genutzt wurden, reift heute leckerer Comté-Käse heran.

Erinnerung an die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“

Friedensarbeit: Mit dem Programm „100 Jahre Erster Weltkrieg – 100 Projekte für den Frieden in Europa“ erinnert das Deutsch-Französische Jugendwerk an die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ und deren Folgen für Europa. Im Zeitraum von 2014 bis 2018 fördert es dazu jeweils 20 Projekte mit und für junge Menschen, insbesondere auch grenzüberschreitende.

Begegnung: Jeweils zehn Schüler des Staufer-Gymnasiums Waiblingen und des Lycée Victor Hugo in Besançon beteiligen sich mit einem Videoprojekt an dem Wettbewerb. In dieser Woche haben die Jugendlichen im Rems-Murr-Kreis zum Thema geforscht und gefilmt. Mitte März fahren die Staufer-Schüler zum Gegenbesuch nach Besançon, wo der zweite Teil des Videos entsteht. Organisiert haben das Projekt die Lehrer Katrin Engel, Stephanie Vogel, Sylvia Chrysakopoulos sowie Christian Jehle, Irene Brechtelsbauer und Nadine Buffard.

Krieg: Der „große Krieg“ – „la Grande Guerre“ ist im Bewusstsein der Franzosen noch sehr präsent. Von 1914 bis 1918 starben rund 17 Millionen Menschen. Der Krieg endete am 11. November 1918, als Matthias Erzberger und der Franzose Ferdinand Foch in einem Bahnwaggon nahe des nordfranzösischen Compiègne den Waffenstillstandsvertrag unterzeichneten.