Angesichts der Flüchtlinge sollen die Behörden unbürokratischer werden. Wie das geht, zeigt ein Beispiel aus dem Land: Das Rote Kreuz durfte den Betrieb seiner neuen Schulen für Notfallsanitäter bereits aufnehmen, obwohl noch keine Genehmigung vorlag.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Botschaft aus Berlin wird auch in Baden-Württemberg gehört. Deutschland müsse flexibler und unbürokratischer werden, mahnt die Bundeskanzlerin angesichts der Flüchtlingskrise. Gemeint ist offenbar, dass die Behörden auch mal fünfe gerade sein lassen. So jedenfalls ließe sich ein Exempel aus dem Land beschreiben, bei dem sich die Verwaltung von einer ungewohnt großzügigen Seite zeigte.

 

Akteure sind das Stuttgarter Sozialministerium und das Regierungspräsidium Karlsruhe, Profiteur ist eine Hilfsorganisation, die sich stark bei der Betreuung der Flüchtlinge engagiert: das Deutsche Rote Kreuz (DRK). Es erfuhr eine Form von Milde, die sonst vor allem im Zusammenhang mit abgelehnten Asylbewerbern bekannt ist: die Duldung. Obwohl das Genehmigungsverfahren noch nicht abgeschlossen war, duldeten die Behörden, dass das DRK mit dem beantragten Vorhaben schon einmal los legte.

Zum Schulbeginn noch keine Genehmigung

Es geht um die Ausbildung von Notfallsanitätern, die seit 2014 gesetzlich neu geregelt ist. Drei Jahre dauert sie nun, dafür erhalten die Absolventen mehr medizinische Kompetenzen – und künftig wohl auch mehr Befugnisse. Der Schulungsbedarf ist enorm, die zentrale DRK-Landesschule in Pfalzgrafenweiler (Kreis Freudenstadt) reicht dafür nicht mehr aus.

Also entschied sich das Rote Kreuz für vier weitere Standorte: in Stuttgart, Karlsruhe, Ellwangen und Isny. Pünktlich Anfang Oktober begannen dort knapp 130 angehende Notfallsanitäter ihre Ausbildung, mit besten Perspektiven. „Sie werden eine ganz begehrte Ware sein auf dem Markt“, verhießen ihnen DRK-Redner zum Start. Gerade im ländlichen Raum, wo es immer weniger Ärzte gebe, gewännen die medizinisch geschulten Helfer enorm an Bedeutung.

Wäre es streng nach Recht und Gesetz gegangen, dann hätte der Betrieb an zumindest drei der vier zusätzlichen Standorte noch gar nicht losgehen dürfen: den Schulen fehlte nämlich noch die offizielle Genehmigung. Zu einem Wettlauf gegen die Zeit waren die Vorbereitungen nicht nur für das DRK geworden, weil wichtige Fragen der Finanzierung erst in diesem Sommer geklärt wurden, sondern auch für das landesweit zuständige Regierungspräsidium in Karlsruhe. „Aufgrund der aktuellen Arbeitsbelastung zum Beispiel aufgrund der Flüchtlingsthematik“ sei das formelle Verfahren noch nicht abgeschlossen gewesen, bestätigte das übergeordnete Sozialministerium.

Ministerium: „Keine Bevorzugung des Roten Kreuzes“

Trotzdem habe man „die Aufnahme des Schulbetriebs geduldet.“ Begründung: Die notwendigen Unterlagen hätten vorgelegen, die baulichen und personellen Voraussetzungen für einen „ordnungsgemäßen Unterricht“ seien erfüllt gewesen – nur das (inzwischen erteilte) schriftliche Plazet habe sich verzögert. Hätte man sich stur gestellt, dann hätte der Unterricht für alle Auszubildenden zunächst in Pfalzgrafenweiler stattfinden müssen, mit erheblichen Problemen. „Wir freuen uns natürlich, dass es geklappt hat“, sagt ein DRK-Sprecher.

Von einer Bevorzugung des Roten Kreuzes gegenüber anderen, privaten Schulträgern will man im Ministerium nichts wissen. Man habe es schließlich mit einer „als zuverlässig bekannten Trägereinrichtung“ zu tun, die über die notwendigen Ressourcen verfüge, da sei das Vorgehen sachgerecht. Mit einer Schulgründung durch einen neuen Träger, deren Genehmigung sich weitaus länger hinziehen kann, sei der Vorgang nicht vergleichbar. Im Fall der Stuttgarter Dependance sei es ohnehin nicht um eine Gründung, sondern die „Ertüchtigung“ eines bestehenden Standortes gegangen.

Eindringliche Mahnung an die Schüler

Noch etwas unorthodoxer wurde übrigens an der DRK-Schule selbst agiert. Schülerinnen und Schüler aus Pfalzgrafenweiler waren aufgerufen, sich als Begleiter für die Flüchtlingszüge von München nach Mannheim zur Verfügung zu stellen. Die DRK-Landesspitze wolle, dass „jeder einmal anwesend“ sei, berichtete eine Dozentin in einem Rundschreiben. Unterricht falle dadurch keiner aus, da sich die praktischen Erfahrungen ohnehin mehr einprägten als ein „theoretischer Vortrag.“ Weil sich die Bereitschaft offenbar in Grenzen hielt, schlug die Dozentin harschere Töne an: Sollten einige Auszubildende „das Bedürfnis haben, sich weiterhin über banale Dinge zu beschweren, wird es für mich schwierig werden, die soziale und personale Kompetenz als positiv zu bewerten.“

Daher sollten die Schüler „nochmals“ überlegen, ob sie an den noch offenen Terminen nicht doch zur Verfügung stünden – ein Appell, den manche schon fast als Drohung verstanden. Beim DRK-Landesverband heißt es, es habe sich nur um eine Übergangslösung gehandelt. Inzwischen setze man zur Begleitung der Flüchtlingszüge Ehrenamtliche aus den Kreisverbänden ein.