Die Schuldenbremse zwingt den Landtag zu einer heilsamen Haushaltsdisziplin, beschneidet damit aber die ohnehin spärlichen Kompetenzen der Abgeordneten. Die Beratungen über eine Verfassungsänderung sind weit vorangeschritten.

Stuttgart - Das Finanzministerium hat den Landtagsfraktionen einen Gesetzesvorschlag zur Übernahme der Schuldenbremse in die Landesverfassung vorgelegt. Mit der Regelung soll verfassungsrechtlich abgesichert werden, dass das Land vom Jahr 2020 an keine neuen Schulden mehr machen darf. Allerdings führt der häufig zu hörende Hinweis in die Irre, Kredite könnten dann nur noch bei Naturkatastrophen und Notsituationen aufgenommen werden. Denn vorgesehen ist auch eine so genannte Konjunkturkomponente, die „bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung“ eine Neuverschuldung erlaubt. „In diesem Fall sind die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen“, heißt es in dem Gesetzentwurf zur Änderung der Landesverfassung, der unserer Redaktion vorliegt. Geht es wirtschaftlich bergab, sind Schulden zulässig – geht es bergauf, sind Kredite zu tilgen oder Rücklagen zu bilden.

 

Ziel dieses Verfahrens zur Konjunkturbereinigung ist, dem Landesetat eine gewisse Elastizität zu erhalten. Zugleich soll ein weiterer Anstieg der Verschuldung verhindert werden, damit auch „künftige Generationen einen politischen Gestaltungsspielraum haben“, wie CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart sagt. Dessen Kollegen Andreas Schwarz von den Grünen versichert: „Wir werden die Schuldenbremse souverän und verlässlich einhalten, nicht nur im Jahr 2010, sondern auf Dauer.“

Wann ist ein Staat ein Staat?

Freilich zieht das Unterfangen auch Kritik auf sich. Das Grundgesetz gewährt dem Bund ein Verschuldungsrecht in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttosozialprodukts, den Ländern aber ist im konjunkturellen Normalfall jede Kreditaufnahme verwehrt. Der Finanzwissenschaftler Wolfgang Renzsch merkte unlängst auf einer Tagung der Politischen Akademie Tutzing an: „Für die Länder stellt sich die Frage, ob ein Staat noch ein Staat ist, wenn er keinen Kredit mehr hat.“ Ein Fraktionsmitarbeiter im Landtag sagte mit Blick auf das Große Haus der Württembergischen Staatstheater dieser Tage: „Dann ist halt kein Geld da für die Sanierung.“

Derzeit allerdings schwimmen die Staatshaushalte Geld. Vielleicht liegt es daran, dass die Begeisterung für die Schuldenbremse so groß ist. Wer jetzt regiert, der kann die schwarze Null halten und dennoch investieren. Was aber geschieht bei einer Trendumkehr? Ob die neue Regel der deutschen Fiskalpolitik tatsächlich langfristig die Hände binde, schreibt Lukas Haffert in seinem Buch „Die schwarze Null“, sei unklar, „da sie sich bislang noch nicht in einem wirtschaftlichen Abschwung bewähren musste“.

Selbst Abgeordnete durchschauen das nicht

Das Verfahren zur Konjunkturbereinigung gewährt den Ländern zwar gewisse Verschuldungsrechte, doch das Korsett ist starr. Und vor allem: Außer wenigen Finanzmathematikern und ein paar Fachleuten in den Finanzministerien versteht es kein Mensch. Der Bund wendet für die Konjunkturbereinigung die Produktionslückenmethode an. Dabei ergibt sich die Konjunkturkomponente als Produkt von Produktionslücke und Budgetsemielastizität. Das ist so kompliziert, wie es klingt. Achim Hildebrandt, Politikwissenschaftler an der Universität Stuttgart, nennt die Konjunkturbereinigung die Achillesferse der Schuldenbremse: Eine Kreditaufnahme sei zulässig bei Unterauslastung der gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten. Diese Unterauslastung könne aber nicht direkt beobachtet werden und sei insofern Auslegungssache. Sie werde durch komplizierte Verfahren geschätzt und „selbst für Abgeordnete wird es daher schwer zu überprüfen, ob die Schuldenbremse tatsächlich eingehalten wird“. Hingegen könnten Regierungen „die geringe Transparenz und die hohe Komplexität des Verfahrens ausnutzen, um durch Rechenakrobatik zusätzliche Verschuldungsspielräume zu gewinnen“.

Auch an den Finanzpolitikern im Landtag nagen Zweifel. Beim jüngsten Treffen der interfraktionellen Arbeitsgruppe mit Fachleuten des Finanzministeriums wurden Bedenken laut, dass das Produktionslückenverfahren „keinen Raum mehr lasse für parlamentarisches Ermessen“ – dass also die Abgeordneten ausgerechnet bei ihrem Königsrecht, dem Haushaltsrecht, nicht mehr frei seien. Das Finanzressort hält dem entgegen, es könne auch ein anderes Verfahren als die Produktionslückenmethode gewählt werden, etwa das Steuertrendverfahren. Damit wäre aber die Vergleichbarkeit mit dem Bund verloren. Einig ist man sich, Kredite von Fonds, Einrichtungen und Unternehmen des Landes in die Schuldenbremse einzubeziehen, sofern Zinsen und Tilgung den Landesetat belasten. SPD und AfD verlangen für die Kreditermächtigung bei einer Naturkatastrophe eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Die FDP fordert wie der Rechnungshof Regelungen für die Verwendung von Überschüssen, die wenigstens zum Teil zur Schuldentilgung zu verwenden seien.