Die Malerin Marlis Glaser hat Betty Rosenfeld und ihre Schwestern porträtiert. Das Bild hat jetzt einen festen Platz im Königin-Olga-Stift. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski
Lebendige Geschichtsstunde am Königin-Olga-Stift: Das Gymnasium gedenkt seiner ehemaligen Schülerin Betty Rosenfeld, einer Jüdin, die große Ideale hatte und nach einem kurzen, intensiven Leben in Auschwitz ermordet wurde.
Wie kann man Kinder und Jugendliche für Geschichte interessieren und damit auch für die Gegenwart sensibilisieren? Das Königin-Olga-Stift im Stuttgarter Westen lieferte jetzt Anschauungsunterricht: Mit einer Matinee im Schulhaus holten Schulleiter René Wollnitz und sein Kollegium gemeinsam mit der Künstlerin Marlis Glaser und dem früheren Zeitschriftenverleger und Mitglied der Stuttgarter „Anstifter“, Veit Feger, die ehemalige Schülerin Betty Rosenfeld bildhaft ins Bewusstsein und damit auch in die Schulgemeinschaft zurück.
In der Breitscheidstraße 35 (Gebäude ganz links) im Stuttgarter Westen wuchsen Betty Rosenfeld und ihre Schwestern aus. Das Gebäude wurde im Krieg zerstört. Foto: Stadtarchiv Stuttgart
Für viele Schülerinnen und Schüler, die an der kleinen Feier teilnahmen, war es die erste Begegnung mit jener freiheitsliebenden jungen Frau, die am 23. März 1907 in Stuttgart geboren wurde, mit ihren zwei Schwestern – Charlotte und Ilse – in einer jüdisch-liberalen Familie in der Breitscheidstraße 35 (damals: Militärstraße) aufwuchs, am Königin-Olga-Stift die Mittlere Reife machte und sich im Katharinenhospital zur Krankenpflegerin ausbilden ließ. Unter dem wachsenden Druck der Nazis wanderte sie 1935 mit ihren Schwestern nach Palästina aus und kehrte zwei Jahre später nach Europa zurück, um auf der Seite der Republikaner am Spanischen Bürgerkrieg teilzunehmen. Nach deren Niederlage floh sie nach Frankreich, wurde dort aufgegriffen und mit ihrem aus Leipzig stammenden Mann Sally Wittelson, den sie in Spanien kennengelernt hatte, im Sommer 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Der Tübinger Historiker Michael Uhl hat ihre Geschichte aufgeschrieben. Die Geschichte der Betty Rosenfeld, die in den 35 Jahren ihres gewaltsam beendeten Lebens viel bewegen wollte und viel erlitt. Über die Deportation von Betty Rosenfeld und ihres Mannes ins Vernichtungslager schrieb er: „Die gespenstische Fahrt in einem verriegelten rostbraunen Güterwaggon war vermutlich die einzige mehrtägige gemeinsame Reise während ihrer Ehe.“
Die Gedenkstunde am Foto: Lichtgut/Leif Piechowski
René Wollnitz schildert vor den Schülern einige ihrer Lebensetappen, erinnert an Rosenfelds „hohe Ideale“, schildert, wie sie sich von einer Liberalen zur Kommunistin wandelte („Die Zeitläufte bringen Veränderungen mit sich“) und gleichzeitig ihrem jüdischen Glauben treu blieb. Das Gedenken an Menschen wie Betty Rosenfeld ist ihm wichtig, deshalb stimmte er zu, als Veit Feger mit der Anfrage an ihn herantrat, an Bettys ehemaligen Schule einen Platz für sie zu reservieren. Feger beauftragte daraufhin die jüdische Künstlerin Marlis Glaser mit einem Rosenfeld-Porträt, das er der Schule spendete und das jetzt im Rahmen der Matinee im 1. Stock des Gymnasiums mit Reden, Chor, Poesie und feiner Klaviermusik der Geschwister Polina und Vadim Mikitim feierlich enthüllt wurde. Wie bei einem Triptychon hängen links und rechts des Gemäldes zwei weitere Bilder aus Glasers Werkstatt, die zusammen eine Gedenkeinheit bilden.
Schulleiter Wollnitz: „Das wird unsere Schule verändern“
Sie verfehlt ihre Wirkung nicht. Für Wollnitz ist die Feierstunde „etwas , das unsere Schule verändern wird“. Das Königin-Olga-Stift, das im vergangenen Jahr 150. Geburtstag feierte, versuche jungen Menschen bei der Identitätssuche zu unterstützen. Es gehöre zum Selbstverständnis der Schule mit ihren rund 500 Schülerinnen und Schülern aus fünf Kontinenten, „sich den großen Fragen des Lebens zu stellen“ und Antworten auf die Frage zu finden: „Was ist der Mensch?“ Dabei könne man sich auch an Menschen wie Betty Rosenfeld orientieren, betonte Wollnitz. Erinnerungsarbeit bestehe darin, „miteinander ins Gespräch zu kommen“. Das Bild bietet dafür beständig Anlass.
An Betty Rosenfeld erinnert in Stuttgart auch ein von den Stolperstein-Initiativen in der Breitscheidstraße 35 verlegter Gedenkstein. Ihrer ermordeter Mutter Theresia und ihrer Schwester Charlotte wird dort ebenfalls gedacht. Ilse, die andere Schwester, überlebte in den USA. Der Vater, Benjamin Rosenfeld, war 1937 gestorben. Im Stuttgarter Westen laufen zudem seit längerem Bemühungen von Bürgern, den Bismarckplatz in Betty-Rosenfeld-Platz umzubenennen.