Janine Wissler, Chefin der Linken, will Hausaufgaben abschaffen, um Familien zu entlasten. Was Eltern, Lehrer und Schüler dazu sagen.
Vokabeln lernen, Dreisatzaufgaben lösen und dann noch eine Präsentation vorbereiten, so sieht für die meisten Kinder der späte Nachmittag und Abend nach der Schule aus. Sind Hausaufgaben einzig und allein das Outsourcing schulischer Aufgaben in die Familie und gehören deshalb abgeschafft? Janine Wissler, die Bundesvorsitzende der Linken, beantwortet beide Fragen mit einem deutlichen Ja. Oder sind Hausaufgaben doch eine sinnvolle Ergänzung zum Schulunterricht, wie andere sagen? Wie sehen es die Gewerkschaften? Und wie Lehrer und Schüler, die von einer solchen Änderung betroffen wären?
„Gäbe es ein gutes Angebot in Form von Ganztag- oder Gemeinschaftsschulen, in denen Hausaufgaben unter Begleitung gemacht werden könnten, hätte sich auch das Thema vermutlich erledigt“, sagt Matthias Schneider, Geschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg. Langfristig kann er dem Vorschlag Wisslers durchaus etwas abgewinnen. „Aber sicher nicht von heute auf morgen.“ Im Idealfall – der nicht Realität sei – seien Eltern dann nicht mehr für die Hausaufgaben zuständig.
Er spricht lieber nicht von Hausaufgaben, sondern von einer Übungsphase oder Selbstlernphasen, in welchen der Lernstoff vertieft werde. Die müsse es für jeden Schüler und jede Schülerin geben. Die Frage sei nur, wo das geschehen soll – in der Schule oder zu Hause, wo nicht alle die gleiche Unterstützung bekommen können? Fürs Zuhause und die momentane Schulsituation gilt: „Es muss ein gutes Verhältnis gefunden werden, zwischen dem, was Kinder üben müssen, und der Zeit, die sie dafür aufbringen müssen.“
Für Ralf Scholl vom Philologenverband Baden-Württemberg steht ebenfalls außer Frage, dass es Selbstlernphasen und Zeit für das Üben geben muss. Er sieht Parallelen zum Sport. „Bestimmte Dinge muss man drillen, bis sie automatisiert sind. Nichts anderes macht der Sportler beim Training: Er optimiert und automatisiert bestimmte Abläufe.“ Vokabeln oder das kleine Einmaleins sind für ihn solch grundlegende Dinge. „Wenn ich etwas automatisch kann, habe ich das Gehirn frei für neue Dinge.“ Man könne dieses Lernen jedoch nicht an die Schulen delegieren.
Elternvertreter für Lernzeiten
Michael Mittelstädt, Vorsitzender des Landeselternbeirats Baden-Württemberg und selbst Vater dreier Kinder, weiß, dass das Einüben und Vertiefen von Lerninhalten zur Schule gehört. Er plädiert für Ganztageskonzepte. Das könnten Ganztagsschulen oder Schulen mit integrierter Lernzeit oder Hausaufgabenbetreuung sein. „Eltern sind nicht immer die besten Lehrer für ihre Kinder.“ Zudem müsse das Angebot unabhängig von den sozialen Verhältnissen des Kindes sein. „Wir müssen die Kinder im Auge behalten und wie sie optimal gefördert werden können“. Im Endeffekt gehe es darum, niemanden für die Zukunft abzuhängen.
Hausaufgaben nicht Elternaufgabe
Mario Zecher, Rektor des Stuttgarter Eberhard-Ludwig-Gymnasiums, ist gegen die generelle Abschaffung der Hausaufgaben. Er führt mit seinen Schülerinnen und Schülern jedoch Feedbackgespräche zum Thema. Zechers Wunschvorstellung wäre eine Schule, die bei den Hausarbeiten individuelle Lösungen bis hin zu begleitetem Lernen zu Hause mit sogenannten Lernprofis anbietet. Leistbar ist das jedoch aus personellen Gründen nicht.
Sind also doch die Eltern in der Pflicht? Zecher findet es fatal, wenn Eltern die Hausaufgaben ihrer Kinder machen, sei die geleistete Arbeit doch auch Rückmeldung, ob der Lernstoff verstanden wurde. Eltern sind nach Zechers Überzeugung vielmehr dafür zuständig, ihre Kindern durch einen ruhigen Arbeitsplatz, dem Einüben einer regelmäßiger Routine in einem gesetzten Zeitrahmen bei den Hausaufgaben zu unterstützen. Nicht aber inhaltlich.
Hausaufgaben überbewertet
Manfred Birk, Sprecher der Stuttgarter Gymnasialrektorinnen und -rektoren, hält Wisslers Vorschlag für puren Populismus. Er ist überzeugt: kein Schulsystem der Welt könne ohne Vertiefung auskommen. In die Schule verlagerte Lernzeit betrachtet der Pädagoge lediglich als einen Kompromiss, der an der Realität des Mangels an Fachkräften scheitere. Außerdem sei es eine Illusion, dass ein fester Zeitrahmen dem individuellen Lernbedarf einzelner Schüler gerecht werde. Er stimmt seinem Kollegen Zecher zu, wenn er sagt: Hausaufgaben sind so gedacht und sollten auch so gestellt werden, „dass sie auf der Basis des im Unterricht Gehörten und Gelernten, erledigt werden können.“ Hausaufgaben seien keine Aufgaben für Eltern. In der Leistungsbewertung spielten sie zudem eine nachgeordnete Rolle. „Deshalb ist es mit einer Allinklusiv-Hausaufgaben-Lösung nicht getan.“
Für Ulrich Göser, Rektor des Ferdinand-Porsche-Gymnasiums, ist die generelle Abschaffung von Hausaufgaben eine zu pauschaler Ansatz. Angesichts des vielen Nachmittagsunterrichts im Rahmen von G 8 sage er seinem Lehrerkollegium jedoch öfters mal: „Seid ein bisschen zurückhaltend mit Hausaufgaben!“
Schülervertreter gegen Abschaffung
Und wie denken die Schülerinnen und Schüler über Wisslers Vorschlag? Berat Gürbüz, der Vorsitzendes des Landesschülerrats Baden-Württemberg, sieht sehr wohl, dass Hausaufgaben der Vertiefung des Unterrichtsstoffes dienen. Sie generell abzuschaffen, hält er für den falschen Weg. „Wir halten an dem Prinzip fest“, sagt Gürbüz. Er plädiert stattdessen dafür, Schülerinnen und Schülern beim Vertiefen des Stoffes mehr Eigenverantwortung zuzugestehen, damit sie auch für die Zukunft lernen.
Infos
Schwierigkeit
Hausaufgaben, so sagt es eine Verordnung des baden-württembergischen Kultusministerium, müssen in innerem Zusammenhang mit dem Unterricht stehen und sind so zu stellen, dass sie der Schüler ohne fremde Hilfe in angemessener Zeit erledigen kann.
Dauer
Es gibt Empfehlungen, nach denen Erst- und Zweitklässler nicht mehr als eine halbe Stunde Hausaufgaben machen sollen, Dritt- und Viertklässler 60 Minuten, Fünft- und Sechstklässler 90 Minuten.