Konfrontative Anti-Mobbing-Methoden dürfen in Baden-Württemberg nur noch unter strengen Voraussetzungen angewandt werden. Damit reagierte die Schulaufsicht auf gravierende Probleme.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Das baden-württembergische Kultusministerium will die Schulen landesweit für die Risiken konfrontativer Anti-Mobbing-Methoden sensibilisieren. Solche Verfahren stellten an die Anwender „hohe Anforderungen“ und müssten „von besonders erfahrenen und qualifizierten Experten begleitet werden“. Ein entsprechender Passus soll nach Angaben des Regierungspräsidiums Stuttgart im Lauf des Jahres in die Broschüre „Roter Faden Prävention“ aufgenommen werden, die über Möglichkeiten zur Gewalt- und Suchtprävention informiert. Zu der geforderten Qualifikation gehörten unter anderem eine achtsame Haltung gegenüber den Betroffenen und eine „hohe Expertise in der Gesprächsführung“.

 

Mit der Überarbeitung des Leitfadens reagiert die Kultusverwaltung auf einen Fall im Regierungsbezirk Stuttgart, den die Stuttgarter Zeitung öffentlich gemacht hatte. Dort war die sogenannte Farsta-Methode (siehe Infokasten), die eigentlich für schwere Mobbingfälle vorgesehen ist, bei einem zwölfjährigen Gymnasiasten in einer schwierigen Klasse angewandt worden. Obwohl selbst nach Einschätzung der Schulaufsicht kein Mobbing vorlag, war der Schüler überraschend aus der Klasse geholt und einer Art Verhör durch drei Lehrer unterzogen worden, an dessen Ende er sich per Vertrag zu einem Jahr Wohlverhalten verpflichten musste. Dem völlig verstörten Jungen wurde vom Kinderarzt daraufhin ein psychischer Ausnahmezustand bescheinigt, noch Monate danach litt er unter der traumatisierenden Erfahrung; inzwischen hat er die Schule verlassen.

Gymnasium darf Verfahren nicht mehr anwenden

Das von den Eltern eingeschaltete Regierungspräsidium hat sowohl im Einzelfall als auch übergeordnet inzwischen diverse Konsequenzen gezogen. An dem betroffenen Gymnasium darf die Farsta-Methode bis auf weiteres nicht mehren angewandt werden; sie wurde aus dem Sozialcurriculum gestrichen. Der Vorfall wurde nach Angaben eines Behördensprechers mit dem Schulleiter und den beteiligten Lehrkräften besprochen, in einer der nächsten Dienstbesprechungen dort solle er noch einmal mit einem Präventionsexperten aus dem Präsidium erörtert werden. Die Schule sei auch zu der von den Eltern gewünschten „umfassenden Entschuldigung“ bereit. Ein Treffen, bei der diese ausgesprochen werden könne, sei aber leider nicht zustande gekommen.

Bisher hatte sich der Schulleiter nur dafür entschuldigt, dass die Eltern über die geplante Anwendung der Farsta-Methode und die vorausgegangenen Probleme monatelang nicht informiert worden waren. Die künftige Anwendung der Farsta-Methode macht das Präsidium von verschiedenen Kriterien abhängig. Voraussetzungen seien unter anderem „ausreichende Erfahrung“ damit, eine „wertschätzende Haltung allen Beteiligten gegenüber“ und die Möglichkeit einer Supervision. „Die Methode sollte in der Schule verankert sein“, verlangt die Aufsichtsbehörde ferner: Lehrer, Eltern und Schülern müsse klar sein, wann sie zum Einsatz komme. Zudem müssten die Verantwortlichen vorher „ein differenziertes Bild über die Vorfälle haben” und immer überlegen, ob Täter und Opfer nach der Anwendung von Farsta „gut und ohne Gesichtsverlust integriert werden können“. Schulpsychologen würden derzeit intensiv im Umgang mit Mobbingsituationen qualifiziert; sie seien auch in der Lage, konfrontative Methoden wie Farsta einzusetzen. In der Ausbildung von Beratungslehrern setze man hingegen mehr auf die nicht-konfrontative Methode No-Blame-Approach (siehe Infokasten).

Lob für die Beschwerde der Eltern

Positiv äußerte sich das Präsidium über die Beschwerde der Eltern. „Es war für uns wichtig zu erfahren, dass es im Regierungsbezirk Stuttgart offenbar zum ersten Mal ein Problem mit der Anwendung der Farsta-Methode gegeben hat.“ Somit hätten die Eltern „über den bedauerlichen Einzelfall hinaus dazu beigetragen, dass Maßnahmen ergriffen wurden und werden, die eine unsachgemäße und nichtverhältnismäßige Anwendung zukünftig hoffentlich verhindern werden“. Umgekehrt hätten die Eltern dem Präsidium für dessen Einsatz gedankt. Die Eltern bestätigten dies, bedauerten aber, dass „der erhoffte Schlusspunkt bis heute nicht gefunden” worden sei. Nach wie vor hielten sie eine Entschuldigung bei dem Schüler für das Mindeste, um die Angelegenheit abzuschließen.

Zwei Anti-Mobbing-Methoden

Farsta
Die aus Schweden stammende Methode gilt laut der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) als offensives Vorgehen und soll nur bei akuten Mobbingfällen eingesetzt werden. Zunächst wird mit dem Opfer gesprochen und das genaue Geschehen recherchiert. Dann werden die Täter nacheinander aus dem Unterricht geholt, zu Einzelheiten befragt und mit ihrem Verhalten konfrontiert. So will man sie in die Verantwortung nehmen und dafür gewinnen, gemeinsam die Situation des Opfers zu verbessern. Wichtig sei, dass die Methode „sorgsam vorbereitet und organisiert” werde.

No-Blame-Approach
Hierbei handelt es sich um eine Methode, die ohne Schuldzuweisungen (blame) auskommt und besonders für jüngere Schüler geeignet ist. Auch sie soll laut BpB nur in akuten Mobbingfällen angewandt werden. Das Vorgehen besteht aus drei Schritten: Zunächst wird bei den Opfern um Vertrauen in die Methode geworben. Dann wird eine Unterstützergruppe aus Schülern gebildet, der der Mobber selbst, Mitläufer und Unbeteiligte angehören. Sie trägt die Verantwortung dafür, dass das Mobbing aufhört. Nach einigen Tagen folgen Einzelgespräche mit allen beteiligten Schülern, um den Erfolg zu kontrollieren.