Schulen in Baden-Württemberg Stuttgart, nein danke! Wohin bewerben sich Lehrkräfte?

Die angehende Grundschullehrerin Mareike Möller will am liebsten in Geislingen an der Steige unterrichten. Foto: Nadia Köhler/Nadia Köhler

Heidelberg, Freiburg, Karlsruhe – diese Städte stehen bei angehenden Lehrkräften hoch im Kurs. Stellen im Großraum Stuttgart landen dagegen auf der Resterampe. Warum eigentlich? Vier Referendare berichten.

Nachrichtenzentrale: Nadia Köhler (nl)

Welche Grundschulkinder sich vom nächsten Schuljahr an auf Mareike Möller freuen können, hängt ganz wesentlich von einem Fahrrad ab. Genauer von einem handgefertigten Gefährt aus afrikanischem Bambus, mit dessen Kauf sie eine Schule in Ghana mitfinanziert hat.

 

Mit diesem Rad will Mareike jeden Morgen zu ihrer zukünftigen Arbeitsstelle fahren, länger als 20 Minuten sollte die Anfahrt nicht dauern. „Ob die Schule auf einem Berg oder in einem Tal liegt, ist egal“, sagt die Grundschulreferendarin aus Geislingen an der Steige, „es ist ein E-Bike!“ Ihr Auto will die 26-Jährige für den Weg zur Arbeit nicht nutzen, zu teuer, zu schlecht für das Klima.

Für unbeliebte Schulstandorte gibt es jetzt eine lebenslange Jobgarantie

Lehrkräfte sind in Baden-Württemberg ein rares Gut, vor allem in der Grundschule225 Stellen sind im aktuellen Schuljahr bei den Kleinsten unbesetzt. Angehende Grundschullehrerinnen und -lehrer können sich quasi aussuchen, wo sie arbeiten wollen. Die Folge: In den Landkreisen Biberach, Calw, Freudenstadt, Rottweil, Sigmaringen, Tuttlingen, Waldshut und im Schwarzwald-Baar-Kreis fehlt es nach Angaben des Kultusministeriums an Bewerberinnen und Bewerbern. Und auch der Großraum Stuttgart zieht Lehrkräfte nicht gerade magisch an. Das Ministerium reagiert darauf und hat nun erstmals schulartübergreifend vorab mehr als 1000 Stellen für diese sogenannten Engpassregionen ausgeschrieben. Lehrkräfte, die sich auf einen dieser unbeliebten Schulstandorte einlassen, bekommen eine lebenslange Jobgarantie.

Auch Mareike Möller verschwendet keinen Gedanken daran, zurück nach Stuttgart zu gehen, obwohl sie dort lange gelebt und Abitur gemacht hat. In Geislingen, am Rande der Schwäbischen Alb, fühlt sie sich wohl, hier will sie bleiben, der Liebe wegen und wegen der erschwinglichen Mietpreise: „Ich habe lieber drei Zimmer statt eines, und ich will meine Familie auf dem Land gründen, wo meine Kinder einen Garten haben können.“ Eine heile Familienwelt findet sie an der Uhlandschule, wo sie gerade ihr Referendariat ableistet, nicht vor. Als Brennpunktschule mit mehr als 90 Prozent Migrationsanteil beschreibt Möller ihren Einsatzort. Für sie ist das die perfekte Herausforderung, weil sie sich auch als Seelsorgerin und Begleiterin für die Kinder sieht. Hier sei sie auf Gleichgesinnte getroffen. Grenzen überwinden, Brücken bauen und Kulturen vereinen – mit dem Kollegium an ihrer Ausbildungsschule scheint ihr das möglich, darum träumt sie von einer Festanstellung an der Uhlandschule.

Lieber Karlsruhe als Stuttgart

Auch Rouven Gross betreibt an seiner Ausbildungsschule in Schwäbisch Gmünd viel Integrationsarbeit. Der angehende Grundschullehrer musste schnell lernen, dass Kindern Addieren, Subtrahieren oder Dividieren beizubringen dort nicht im Vordergrund steht. „Wir müssen den Kindern hier erst einmal Regeln vermitteln“, sagt Gross. Viele seiner Kinder haben Probleme, an der Schule herrscht ein wildes Sprachgemisch, deutsche Sätze sind selten. Und trotzdem, es gefällt ihm an seiner Gmünder Schule: „Ich mag meine Rolle hier und merke, wie dringend gerade diese Schülerschaft männliche Vorbilder braucht.“ Aber will er das für immer? Da sei er sich noch nicht sicher, sagt Gross. Er weiß, dass ihm als Mathelehrer an der Grundschule die Welt offensteht, in seinem 16-köpfigen Referendariatskurs am Seminar in Schwäbisch Gmünd ist Rouven Gross der einzige Mann. Italien könnte er sich eines Tages vorstellen, da hat er familiäre Wurzeln. Oder endlich mal eine richtige Großstadt. Stuttgart? Nein! „Karlsruhe“, sagt Gross „das wäre so eine Stadt, für die ich Schwäbisch Gmünd untreu werden würde.“

Damit folgt Gross einem Trend. Die Regionen um Karlsruhe, Freiburg oder Heidelberg sowie der Bodenseekreis erfreuen sich bei den Lehramtsbewerberinnen und -bewerbern laut Ministerium großer Beliebtheit. Genauso wie die Standorte der pädagogischen Hochschulen im Land, wie eben Schwäbisch Gmünd. So berichtet etwa Kristina Schmid, die Leiterin des dortigen Ausbildungsseminars für Grund-, Haupt-, Real- und Gemeinschaftsschullehrer, dass sich mehr Referendare nach Schwäbisch Gmünd wünschen, als sie aufnehmen kann. Bei ihrer Kollegin Eva Rucktäschel vom Seminar in Rottweil sieht das anders aus. Sie ist Anfang Dezember immer mit dem Trösten der jungen Leute beschäftigt, die ungewollt zur Ausbildung nach Rottweil geschickt wurden. Doch Rucktäschel weiß, dass nach dem Referendariat dann viele, die erst gar nicht kommen wollten, an ihren Ausbildungsschulen im Rottweiler Einzugsgebiet kleben bleiben. Denn die Schulen haben aus der Not eine Tugend gemacht, sie engagieren sich sehr stark in der Ausbildung und Betreuung ihrer Auszubildenden.

Oliver Reif will zukünftig gerne am liebsten an einer Realschule arbeiten. Foto: privat

Wie stark der Klebeeffekt an einer Ausbildungsschule für die spätere Jobentscheidung sein kann, zeigt auch das Beispiel von Oliver Reif. Der angehende Lehrer für Werkreal-, Haupt-, Real- oder Gemeinschaftsschule war zunächst etwas enttäuscht, als ihm mit dem evangelischen Schulzentrum Michelbach bei Schwäbisch Hall zur Ausbildung eine private Realschule zugewiesen wurde. Reif wollte eigentlich unbedingt an einer Brennpunkt-Gemeinschaftsschule lernen. Nun sitzen in seiner Klasse vor allem Kinder aus gut verdienenden Familien.

Und dennoch: „Ich war, was die Gemeinschaftsschule angeht, ziemlich naiv. Schon hier ist die Heterogenität in meiner Klasse so riesig. Ich weiß nicht, ob ich auf der Gemeinschaftschule, in der ich ja zusätzlich auch noch auf drei unterschiedlichen Niveaus unterrichten müsste, nicht überfordert wäre.“ Darum steht für Reif fest, dass er sich auf eine reine Haupt- oder Realschule bewerben wird – und das sicher nicht im heterogen geprägten Großraum Stuttgart. Was ist, wenn ihn die Eltern auf einer Brennpunktschule im Elterngespräch nicht verstehen? Wer übersetzt dann für ihn? „Das wäre mir im Anschluss an meine ,heile Welt‘ hier einfach zu riskant. Ich bewerbe mich lieber auf etwas, was ich kann, bevor ich irgendwo völlig überfordert bin, dort dann aber mindestens drei Jahre festsitze“, sagt Reif.

Canel Kaya wäre gern Lateinlehrer in Stuttgart. Foto: privat

Canel Kaya hingegen wird die Chance, die ihm das Ministerium jetzt erstmalig bietet, wohl ergreifen. Der angehende Gymnasiallehrer für Latein und Gemeinschaftskunde will sich auf Stellen in Stuttgart, Ludwigsburg oder Göppingen bewerben. Zum einen hängt er an seinem familiären Umfeld, und zum anderen ist er nicht in einer so komfortablen Situation wie andere: „Ich habe eine Bekannte an der Grundschule, die hatte sechs Stellenzusagen. Ich bin froh, wenn es überhaupt sechs Stellen gibt, auf die ich mich bewerben kann!“

Eine feste Stelle und die damit verbundene Verbeamtung, das hat für den 25-Jährigen, der in Tübingen studiert hat, absolute Priorität. „Ich kenne viele, die sich von Vertretung zu Vertretung hangeln, nur um in Freiburg oder Tübingen zu sein. Für mich wäre die Sicherheit immer wichtiger als der Traumstandort“, sagt er.

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