„Sie sind doch sicher einverstanden, wenn wir einen Klassensatz Workbooks beschaffen – das Geld geben Sie Ihrem Kind dann mit.“ Nicht überall wird Eltern eine Alternative zum Kauf geboten – doch die steht ihnen zu.

Stuttgart - In Baden-Württemberg gilt zwar die Lernmittelfreiheit, doch mit der Umsetzung tun sich manche Schulen und Lehrer immer noch schwer. „Gleich am zweiten Schultag haben wir schon die ersten Mails gekriegt“, berichtet Sabine Wassmer, die Vorsitzende des Stuttgarter Gesamtelternbeirats (GEB). Immer wieder fühlten sich Eltern überfahren bis genötigt, wenn es um die Beschaffung von Dingen gehe, die eigentlich unter die Lernmittelfreiheit fallen. „Es gibt Eltern, die nicht wissen, wo sie’s hernehmen sollen.“ Und wer traue sich schon, am Elternabend aufzustehen und zu sagen: „Ich kann mir das nicht leisten.“ Nun dringt der GEB erneut auf die Einhaltung des Landesgesetzes. Eine Erhöhung des Schulbudgets für Lernmittel fordert er schon seit Jahren.

 

„Manchmal wissen die Schulleiter auch nicht, was die Lehrer machen“, vermutet Wassmer. So hätten die Eltern von Siebtklässlern im Eberhard-Ludwigs-Gymnasium ein Schreiben ausgehändigt bekommen, auf dem sie ankreuzen und unterschreiben mussten, ob sie bereit seien, auf eigene Kosten ein Workbook für den Englischunterricht anzuschaffen, das vom Lehrer als „sehr empfehlenswert“ eingeschätzt werde. Kostenpunkt: 9,95 Euro, mit CD und CD-ROM 16,95 Euro. Alternativ könnten die Schüler das Workbook auch ausleihen, dürften aber „dieses nicht beschreiben“, sondern müssten es „in einwandfreiem Zustand zurückgeben“. Bonuscard-Familien durften für die Abrechnung ein eigenes Kreuzchen machen.

Ministerium: Workbooks sind zum Reinschreiben gedacht

Das kam nicht nur den betroffenen Eltern merkwürdig vor. Auch Wassmer sträubten sich die Haare. So ein Schreiben sei schon aus Datenschutzgründen fragwürdig, meint die GEB-Vorsitzende im Blick auf den diskriminierungsfreien Umgang mit Bonuscard-Kindern. Und zum Thema Workbook versicherte eine Sprecherin des Kultusministeriums: „Workbooks sind zum Reinschreiben gedacht und gehören nicht zu den notwendigen Lernmitteln.“ Entscheide sich eine Schule dafür, müsse sie diese auch über das Schulbudget finanzieren, wenn Eltern diese nicht selbst anschaffen wollten.

Doch dies war im Ebelu weder dem Fachlehrer noch der Schulleiterin Karin Winkler bekannt: „Wir dachten, wir könnten die Workbooks noch mal verleihen“, erklärt Winkler der StZ. Erst durch den Hinweis der GEB-Vorsitzenden habe man den Fehler erkannt. Man werde das beim nächsten Schreiben entsprechend ändern. Dabei halte sie es für eine gute Sache, dass die Schule die Eltern überhaupt darüber informiere, dass es bei der Beschaffung Wahlmöglichkeiten gebe und der Lehrer begründe, weshalb er dieses oder jenes Workbook beschaffen wolle. Und man achte darauf, dass nur der Lehrer erfahre, wer die Bonuscard in Anspruch nehme. „Früher“, so Winkler, „war Usus: die Lehrer bestellen, die Eltern nicken ab, und die Schüler bringen das Geld mit.“

Schulen sparen für Möbel und neue Schulbücher

Dennoch hält die Schulleiterin eine völlige Lernmittelfreiheit für illusorisch: „Wenn alle Eltern alles bezahlt haben wollten, würde das das System sprengen, und unsere Schulbudgets würden nicht ausreichen.“ Dass man dennoch Rücklagen bilde und das Budget für Lernmittel nicht ausschöpfe, habe mehrere Gründe. So komme mit dem erwarteten neuen Bildungsplan „eine nicht ganz berechenbare Größe“ an Bestellungen neuer Bücher auf die Schulen zu. Außerdem sparten viele Schulen für Investitionen bei Umbau und Sanierung – auch das Ebelu. „Keine Schule wird ihre Polster völlig runterfahren“, so Winkler.

Laut Karin Korn, der Leiterin des Schulverwaltungsamts, bekommen die Schulen zwar gesonderte Budgets für Lernmittel, für Lehrmittel, für Bürobedarf, für Einrichtung und Verbrauchsmittel, doch diese seien gegenseitig deckungsfähig. Tatsächlich sei die Summe der nicht ausgegebenen Mittel in den letzten Jahren gestiegen. Nehme man alle Schulen zusammen, so hätten diese von 2013 auf 2014 einen Betrag von 5,6 Millionen Euro übertragen. Keine Schulart habe ihr Gesamtbudget oder ihr Budget für Lernmittel überzogen, letzteres hätten die Schulen sogar um bis zu 20 Prozent nicht ausgeschöpft.

„Diese 20 Prozent werden in der Regel von den Eltern gegenfinanziert“, meint Sabine Wassmer – das Budget gründe nicht auf realistischen Zahlen. Derzeit bekommen die Schulen zwischen 34,30 Euro (Grundschulen) und 65,95 Euro (Gymnasien) pro Schüler und Jahr für Lernmittel.

Schulleiterin: Budget reicht nicht für jede Lektüre

Doch auch die geschäftsführende Schulleiterin der Gymnasien, Barbara Graf, räumt ein: „Wir sind nicht in der Lage, jede Lektüre als Verbrauchsmaterial zu finanzieren – dazu reicht unser Budget nicht. Aber es darf auch keine Verpflichtung geben, dass Eltern diese anschaffen.“ Sie selber empfehle den Lehrern anzuregen, dass sich Jugendliche solche Ganzschriften als Grundstock für eine persönliche Bibliothek anschaffen. Bei Arbeitsheften habe man festgelegt: wenn sich Gesamtlehrerkonferenzen für bestimmte Klassenstufen zum Einsatz solcher Hefte entscheiden, „sind solche Hefte als Verbrauchsmaterialien über den Schuletat zu finanzieren“. Graf räumt jedoch ein, es sei nicht einfach, dies allen Lehrern klarzumachen. Laut Kultusministerium ist jedoch auch ein Mehrheitsbeschluss von Eltern über den Kauf von Workbooks keinesfalls für alle Eltern oder die Schule rechtlich verbindlich.

Im Übrigen erhalte jede Schule ein Budget für die Bonuscard-Kinder – pro Schüler 50 Euro im Jahr. Diese Mittel könnten neben Ausflügen oder Exkursionen auch für Schulmaterial eingesetzt werden, das nicht unter die Lernmittelfreiheit falle – „auch Lektüren dürfen darüber abgerechnet werden“, so Graf. Karin Winkler verweist darüber hinaus auf weitere Unterstützungssysteme für bedürftige Familien – etwa den Förderverein.