US-Präsident Barack Obama ruft nach dem furchtbaren Schulmassaker Amerika dazu auf, den laxen Umgang mit Waffen zu beenden. Doch ausgerechnet ein Beispiel aus Newtown zeigt, wie ideologisiert die Debatte in den USA ist.

Newtown - Zum vierten Mal im Verlauf seiner Präsidentschaft musste Barack Obama die Opfer von wahllosen Schießereien trösten, und er hatte davon genug. Die schockierenden Taten von Colorado, Tucson, Oak Creek – und nun der Amoklauf an der Sandy-Hook-Grundschule: „Wir dürfen das nicht mehr tolerieren“, sagte Obama auf einer Trauerfeier in dem Städtchen Newtown. „Diese Tragödien müssen aufhören. Wir müssen uns verändern“, so der US-Präsident.

 

Das klang kämpferisch. Doch die konkreten Maßnahmen gegen die Waffenverbreitung in den USA, die er anschließend skizzierte, waren nicht weniger schwammig als seine Stellung in diesem Punkt seit Beginn seiner Amtszeit. Er wolle Bürger und Polizei, Psychologen, Eltern und Erzieher zusammenbringen, um darüber nachzudenken, wie man solche Tragödien in Zukunft verhindern kann, sagte er.

Eine wirklich harte Linie gegen den Waffenbesitz ist nicht zu erkennen

Das klang nicht gerade nach einem Durchbruch in der Bekämpfung der Waffengewalt. Es klang eher so, wie das, was Obama zu dem Thema bereits in der zweiten Wahldebatte gegen seinen Widersacher Mitt Romney hatte verlauten lassen. Nach einem langen Bekenntnis zum zweiten Zusatzartikel der Verfassung, der das Recht zum Waffenbesitz garantiert, sowie zur amerikanischen Tradition des Jagens und Sportschießens gelobte Obama damals die existierenden Waffengesetze besser durchzusetzen und ein Verbot von Kriegswaffen im Zivilleben wieder einzuführen, das 2004 ausgelaufen war.

Eine wirklich harte Linie gegen den Waffenbesitz ist das nicht. Dabei war Obama einst ein vehementer Waffengegner gewesen, der sich nicht im Geringsten um die Jagdtradition in Amerika scherte. Als er 1996 als Sozialarbeiter auf den Straßen von Chicago unterwegs war, sprach sich Obama ganz unmissverständlich dafür aus, jegliche Herstellung, Verkauf und Besitz von Handfeuerwaffen zu verbieten. Doch um ein höheres politisches Amt zu erlangen und zu behalten, das musste Obama in der Zwischenzeit lernen, ist diese Position nicht tragbar.

Ein Sheriff musste sich gegen die Waffenlobby geschlagen geben

Wie schwer man es in den USA hat, wenn man sich gegen die Waffenlobby stellt, mussten in den vergangenen Monaten schmerzlich die Ordnungshüter in Newtown erleben, jenem Ort, der in den vergangenen Tagen zum Synonym für sinnloses Sterben durch Schusswaffen wurde. Newtown ist eine Hochburg für Waffennarren. Die umliegenden Wälder sind voller Jäger und Leuten, die einfach nur herumballern. Wanderer und Mountainbiker müssen um ihr Leben fürchten. Die zahlreichen Schießanlagen in der Gegend sind so beliebt, dass sie teilweise monatelange Wartezeiten haben.

Um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten, hat der Polizeichef von Newtown, Michael Kehoe, im vergangenen Sommer eine Eingabe bei der Gemeinde gemacht, den Waffengebrauch zu regulieren. Alles, was er wollte, war die Befugnis, das Schießen im Umkreis von 200 Metern einer Behausung zu unterbinden und die Tageszeiten des Schusswaffengebrauchs zu begrenzen. Doch der gute Mann handelte sich einen Feuersturm der Entrüstung ein. Die nationale Vereinigung von Sportschützen schickte einen Vertreter nach Newtown, um gegen die mögliche Beschränkung der individuellen Freiheit zu protestieren. Die Waffenbesitzer der Stadt gingen auf die Barrikaden. „Waffen sind der Grund, warum wir frei sind in diesem Land“, sagte bei der Debatte Scott Ostrovsky, der Besitzer einer Schießanlage. Der Sheriff musste sich schließlich geschlagen geben.Das Beispiel zeigt, wie ideologisiert die Debatte über Waffen in den USA ist: Die Rechte stilisiert das Recht auf Waffenbesitz zum Garanten der Freiheit des Einzelnen und zum Schutz gegen eine obergriffige Regierung. Dabei beruft man sich auf den Ursprung des zweiten Verfassungszusatzes von vor 220 Jahren, der aufgenommen wurde, um die junge Demokratie gegen Tyrannei und Kolonialherrschaft zu schützen. Eine bewaffnete Bürgermiliz sollte jederzeit dazu in der Lage sein, eine Regierung zu stürzen, die ihre hart erkämpften demokratischen Rechte nicht achtet.

Argument des bewaffneten Rechtsschutzes als Selbstrechtfertigung

Die Linke in den USA hält eine solche Lesart in der heutigen Zeit freilich für einen „perversen Anachronismus“, wie es am Samstag der Chefredakteur des „New Yorker“ in einem flammenden Kommentar zu Newtown auf der Website des Magazins formulierte. Im Amerika des 21. Jahrhunderts bedroht keine tyrannische Regierung mehr die demokratischen Grundrechte, jedenfalls nicht auf eine Art und Weise, an der eine bewaffnete Bürgermiliz etwas ändern könnte.

Das Argument des bewaffneten Rechtsschutzes ist nichts anderes als eine fadenscheinige Selbstrechtfertigung der Waffenlobby. Eine, die von Waffennarren im ganzen Land freilich nur allzu gerne übernommen wird. Mit der Knarre in der Hand kann sich auch noch der letzte arbeitslose Farmer oder Bauarbeiter im Westen, in den Appalachen oder in Texas fühlen wie seine Vorfahren, die sich frei und selbstbestimmt die Weite dieses Landes eroberten.

Dieses Denken, unermüdlich befeuert von den rechten Ideologen und der Waffenindustrie ist mächtig in den USA. Eine harte Gegenposition zu formulieren ist ein hohes politisches Risiko. Ein Risiko, das US-Präsident Obama anscheinend noch immer nicht einzugehen bereit ist.