Schulpolitik GEW-Chefin: Reiche sollen höhere Steuern zahlen – für bessere Bildung

GEW-Chefin Maike Finnern fordert, die Schulen müssten finanziell besser ausgestattet werden. Foto: dpa/Sebastian Willnow

Um nach dem erneuten Pisa-Schock in deutschen Schulen etwas zu verbessern, brauche es mehr Geld. Das sagt die Chefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, im Interview. Sie macht dazu zwei konkrete Vorschläge.

Korrespondenten: Tobias Peter (pet)

Die deutschen Schüler haben bei der aktuellen Pisa-Studie so schlecht abgeschnitten wie noch nie. Die Chefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, weist den Vorwurf zurück, die Lehrkräfte trügen daran eine Mitschuld. Und sie wendet sich mit eindeutigen Forderungen an die Politik.

 

Frau Finnern, wer ist schuld an der Bildungsmisere in Deutschland und den schlechten Pisa-Ergebnissen in Deutschland?

Jahrzehntelang haben politisch Verantwortliche immer wieder den Ausweg gesucht, lieber wegzuschauen, statt Mängel wirklich zu beheben. Sie haben es versäumt, das Bildungssystem finanziell hinreichend auszustatten. Sie haben ignoriert, dass Lehrkräfte, die in künftigen Jahren gebraucht werden, auch rechtzeitig ausgebildet werden müssen. Und sie haben auch für die frühkindliche Bildung zu wenig getan.

Der Chef der Pisa-Studie, Andreas Schleicher, sieht auch eine Mitverantwortung der Lehrerinnen und Lehrer. Zu viele von ihnen sähen sich in erster Linie als Befehlsempfänger, die im Klassenzimmer statisch den Lehrplan abarbeiten. Ist da gar nichts dran?

Herr Schleicher macht es sich mit seiner Kritik an den Lehrkräften zu einfach. Richtig ist: Wir müssen dringend viel zu starre Lehrpläne überarbeiten. Die deutschen Schulen sind immer noch viel zu sehr darauf ausgerichtet, dass Schülerinnen und Schüler ein bestimmtes Wissen auswendig lernen. Wir brauchen mehr Freiraum für individuelle Förderung und kreatives Denken. Aber das kann nicht die einzelne Lehrkraft ändern. Sie ist nur Teil eines Systems, das nicht sie selbst, sondern nur die Politik aufbrechen kann.

Machen Sie es sich da selbst nicht etwas einfach?

Nein, überhaupt nicht. Natürlich gibt es auch immer Beispiele für Schulen, die erfolgreicher arbeiten als das System es zulässt. Aber dafür braucht es erstens enorm mutige Schulleitungen und zweitens eine flexible Schulaufsicht. Was nicht geht, ist die Verantwortung bei der einzelnen Lehrkraft abzuladen. Das ist durch und durch unfair sowie in der Sache falsch. Und es löst auch die Probleme nicht.

Der Kampf darum, wie viele Ressourcen Staat und Gesellschaft in welchen Bereich geben, verschärft sich. Die kommenden Jahre werden stark im Zeichen höherer Verteidigungsausgaben stehen. Gerät Bildung ins Hintertreffen?

Fragen der Bildungsfinanzierung sind immer kompliziert. Bildung ist Ländersache, erfordert gleichzeitig handlungsfähige Kommunen – und ohne Unterstützung des Bundes geht es nicht. Ich sehe eine riesige Gefahr, dass die Frage einer guten Bildungsfinanzierung etwa im Vergleich zu der nach höheren Verteidigungsausgaben immer weiter nach hinten durchgereicht wird. Dabei gibt es enormen Handlungsbedarf in den Schulen. Allein der Sanierungsstau bei den Gebäuden liegt bei rund 50 Milliarden Euro. Zudem darf die Unterstützung des Bundes für die Digitalisierung in den Schulen nicht auslaufen. Und wer will, dass es eine bessere individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler gibt, braucht auch das entsprechende Geld für Personal, um zum Beispiel Klassen zu verkleinern.

Entspannt sich die Lage womöglich dadurch, dass die Prognosen von einem sich immer weiter verschärfenden Lehrermangel gar nicht eintreffen? Eine Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm kommt – auf Grundlage des Geburtenrückgangs – für die Grundschulen zu diesem Befund.

Der Lehrkräftemangel in Deutschland ist dramatisch und wird es bleiben. Mit Blick auf die, auch ökonomisch notwendige, Zuwanderung müssen wir weiter mit hohen Schülerzahlen rechnen. Unvorhergesehene Ereignisse – wie es der Krieg in der Ukraine war – sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Dazu kommt: Wir brauchen sehr viel zusätzliches Personal für den Ganztag. Am schlimmsten ist der Lehrkräftemangel künftig nicht in den Grundschulen, er ist bereits in der Sekundarstufe I angekommen und wird sich dort weiter verschärfen.

Deutschland ist – trotz aller Probleme bei der Aufstellung des letzten Bundeshaushalts – eine reiche Gesellschaft. Braucht es höhere Steuern, um die Bildung besser zu finanzieren?

Die Reichen in der Gesellschaft müssen mehr beitragen, damit Bildung in Deutschland ausreichend finanziert werden kann. Ein geeignetes Instrument hierfür ist, hohe Erbschaften stärker zu besteuern. Wenn jemand eine gigantische Erbschaft macht, ist das für ihn ein Einkommen, das er nicht selbst erarbeitet hat. Wer viel erbt, hat bessere Chancen als andere. Deshalb wäre es richtig, wenn der Staat hier – zugunsten einer größeren Chancengleichheit – mehr umverteilt.

Diese Botschaft wird Erben nicht unbedingt freuen.

Um es klar zu sagen: Ich will nicht diejenigen belasten, die das kleine Einfamilienhaus der Eltern erben. Es geht um wirklich große Erbschaften. Es sind gigantische Summen, die zwischen den Generationen weitergereicht werden. Ein bisschen davon in mehr Bildungsgerechtigkeit zu investieren, wäre nur fair. Als Gewerkschaft halten wir auch einen höheren Spitzensteuersatz für mehr Bildungsinvestitionen für richtig. Die Kinder sind die Zukunft des Landes. In den Schulen ist das Geld gut angelegt, jeder investierte Euro bringt ein Mehrfaches an Rendite.

Das Jahr 2024 könnte der AfD große Wahlerfolge bringen – bei der Europawahl und bei drei Landtagswahlen im Osten. Müssen Lehrerinnen und Lehrer mit dem Thema AfD im Klassenzimmer so umgehen, wie sie das bei jeder anderen Partei auch tun würden?

Lehrerinnen und Lehrer schwören auf die Verfassung – und darauf, diese zu verteidigen. Die AfD ist eine mindestens in Teilen verfassungsfeindliche Partei. Das ist auch schon die Antwort. Viele Lehrkräfte haben Angst, sie könnten Ärger mit ihrem Dienstherrn bekommen, wenn sie auf Demos gegen rechts gehen. Das stimmt aber nicht. Lehrerinnen und Lehrer haben, wie andere Staatsbürgemr auch, das Recht gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Aus unserer Sicht haben sie sogar mehr als andere die Pflicht, sich für Demokratie und Vielfalt stark zu machen sowie ihre Stimme gegen Rechtsextremismus und verfassungsfeindliche Umtriebe zu erheben.

Und was bedeutet das nun für den Umgang mit dem Thema AfD im Klassenzimmer?

Noch mal: Die AfD ist eine Partei mit verfassungsfeindlichen Tendenzen. Das dürfen und sollen Lehrerinnen und Lehrer auch im Klassenraum so sagen. Am besten tun sie das, indem sie konkrete Aussagen und Vorgänge analysieren und mit den Schülerinnen und Schülern besprechen. Ich ermuntere Lehrkräfte nicht nur dazu, die Auseinandersetzung mit der AfD auch im Klassenraum zu suchen. Ich rufe sie auch ausdrücklich dazu auf. Landesschulgesetze und der Beutelsbacher Konsens, der vorsieht, die Schüler zu mündigen Bürgern heranzubilden, sind dafür die rechtliche Grundlage und geben den pädagogischen Rahmen vor.

Das größte Ziel: Chancengleichheit

Gewerkschaft
Maike Finnern, geboren im Jahr 1968, ist seit dem Jahr 2021 Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die GEW ist die größte Bildungsgewerkschaft Deutschlands.

Schule
Finnern hat als Realschullehrerin und Konrektorin gearbeitet. Als ihr größtes Ziel nannte sie bei ihrer Wahl zur Gewerkschaftschefin Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem.

Weitere Themen