Eine Woche lang wird das Gymnasium in der Glemsaue im Rahmen eines Planspiels zu einer ganz eigenen Welt. In „Glemstown“ sollen die Schüler lernen, was es heißt, einen Betrieb auf die Beine zu stellen.

Ditzingen - Mal riecht es süßlich nach Crêpes, mal pikant nach Knoblauchwurst, zwischendurch nach Sägemehl und am Ende des Gangs nach Seife. Die Düfte strömen aus insgesamt 80 (!) Läden, die in dieser Woche in den Klassenräumen des Ditzinger Gymnasiums in der Glemsaue den Betrieb aufgenommen haben. Zum dritten Mal findet an der Schule das Projekt „Schule als Staat“ statt. Knapp 660 Schüler haben ihren eigenen Staat namens „Glemstown“ ins Leben gerufen und verdienen dabei eine Woche lang ihr Geld.

 

Manche sind Staatsangestellte, andere betreiben Döner-Buden, wieder andere verkaufen gedruckte T-Shirts oder arbeiten bei der Post. Die Betriebe sind auf mehr als 40 Klassenräume verteilt, in denen die jungen Ladenbetreiber ihre Produkte und Dienstleistungen für „Ditcoins“ anbieten – so heißt die Währung, die jeder, der über die Zollgrenze an der Eingangstür des Gymnasiums tritt, eintauschen muss. Mit dem Euro lässt sich hier nichts erstehen.

Das erste Ehetrio wird verheiratet

Glemstown ist kein gewöhnlicher Staat, und seine jungen Bürger probieren sich in außergewöhnlichen Karrieren. Jan etwa war Anfang der Woche noch Koch im japanischen Restaurant „Tabemono“. Dann entschied er sich, Richter zu werden. Gerade erst hat er einen 13-jährigen Polizisten, der zum Bösewicht mutierte und mit einer Spielzeugpistole die staatliche Bank von Glemstown überfallen wollte, zum Putzdienst verdonnert. Sein ganzes Gehalt soll nun gepfändet werden. „Der verdient hier nichts mehr“, sagt der Richter.

Ein paar Schritte den Gang entlang findet eine Hochzeit in einem pompös dekorierten Klassenzimmer statt. Die Hochzeitsagentur „Magische Momente“ hat seit der Staatsgründung am Montag mehr als zehn Ehen geschlossen. Am Mittwochmorgen ist der ganze Raum voller Menschen, die Handykameras sind eingeschaltet. Drei junge Männer stehen aufgeregt vorne, einer hält einen Blumenstrauß in der Hand. Eigentlich sind Simon, Robert und Philipp Klassenkameraden, aber heute lassen sie sich von der Standesbeamtin zum ersten Ehetrio Glemstowns trauen. „Wir sind eben ein sehr offener Staat“, sagt Kevin Yuan, der Präsident von Glemstown.

Die Schreinerei zahlt bald Gewinnbeteiligungen

Der Zwölftklässler zieht mit seiner Außenministerin Luise Pfleiderer und vier weiteren Ministern die Fäden in Glemstown. Jeden Tag sieht er in den Gängen der Schule nach dem Rechten und interessiert sich besonders für die wirtschaftliche Lage der Betriebe. Die Schule ist groß und manche Läden, wie beispielsweise das Fitnessstudio, befinden sich in Ecken, in die sich nur wenige Kunden begeben. Deshalb verdienen sie auch weniger Ditcoins. Damit diese Betriebe überleben, greift die Regierung ihnen mit Geldzuschüssen unter die Arme. „Staatliche Subventionen“, nennt es Präsident Yuan.

Völlig frei von finanziellen Sorgen ist die Schreinerei im Erdgeschoss. Hier werden unter anderem die Ringe aus Sperrholz für die Hochzeiten hergestellt. Daneben finden sich hier auch Bilderrahmen für 200 Ditcoin, Handyladestationen für 75 Ditcoin und riesige Herzen, die sich ein Otto-Normal-Glemstowner kaum leisten kann. „Wir sind schon ein Betrieb für Reichere“, gibt Christian Hof, Lehrer für Mathe, Physik und Technik, zu. Er hilft den Schülern in der Schreinerei bei der Produktion. „Noch zahlen wir Mindestlohn – das sind zehn Ditcoin“, sagt er. Aber das Geschäft laufe so gut, dass man bald Gewinnbeteiligungen auszahlen werde.

Die jüngste Geschäftsführerin ist eine Sechstklässlerin

Vieles in Glemstown funktioniert wie im richtigen Leben. Schulleiter Wolfgang Zakrzewski sieht das Projekt Schule als Staat als einen „Mikrokosmos: Die Schüler sollen lernen, wie ein demokratischer Staat funktioniert. Erst in der Praxis erfahren sie, was Demokratie, Beteiligung und Verantwortung bedeutet“, sagt Zakrzewski.

Das gilt auch für die ganz Kleinen. Mia ist in der sechsten Klasse und eine der wenigen Betriebsleiterinnen in Glemstown – die meisten Chefs gehen mindestens in die achte Klasse. Sie betreibt mit Freundinnen einen Laden, worin sie selbsthergestellte Seife, Schlüsselanhänger aus Knete und Origami, japanische Faltpapierfiguren, herstellen. Wie jeder andere Bewohner Glemstowns arbeitet auch sie drei Stunden am Tag. „Manchmal ist es schon stressig“, sagt die Sechstklässlerin, „Eine Weile waren wir nur zu dritt, dann gab es sehr viel zu tun.“ Aber das Geschäft lohnt sich. Am Ende der Woche, wenn Glemstown schließt, werden die verdienten Ditcoin in Euro umgewandelt werden. Wie viel Mia bisher in der Kasse hat, weiß sie nicht. „Aber wir verdienen ziemlich gut“, sagt sie.