Schüler der Klasse 10 b des Göppinger Freihof-Gymnasiums machen einen Film über eine Begegnung mit Inge Auerbacher, einer Überlebenden des Holocaust. Im Kreismedienzentrum erfahren sie, dass vor dem Schnitt sehr viel überlegt werden muss.

Göppingen - Filme anzugucken ist das eine, einen Film selbst zu machen, das ist dann doch etwas ganz anderes. Diese Erfahrung machen Zehntklässler des Göppinger Freihof-Gymnasiums zurzeit bei einem ehrgeizigen Projekt. Sie begleiteten Inge Auerbacher während der interkulturellen Wochen in Göppingen durch die Stadt und auf verschiedenen Veranstaltungen. Inge Auerbacher überlebte das Konzentrationslager in Theresienstadt und lebt seit dem Jahr 1946 in den USA. Außerdem befragten die Schüler Passanten über den Holocaust. Vier Stunden Material sind auf diese Weise zusammengekommen. Jetzt soll daraus ein 25-minütiger Film werden.

 

„Was für einen Film wollt ihr machen, habt ihr das schon überlegt?“ Der Filmemacher Gerhard Stahl hilft den Schülern auf die Sprünge, die an diesem Nachmittag im Kreismedienzentrum mit fragenden Blicken vor einem großen und einem kleineren Bildschirm sitzen. Sie sollen mit dem Schneiden des Materials anfangen. Doch das ist leichter gesagt, als getan. „Wenn wir jetzt noch kreativ wären“, witzeln die sechs Jungs und bedauern, dass keines der Mädchen ihrer Klasse da ist. „Die sind da besser“, sagen sie.

Ein zündender Einstieg fällt nicht vom Himmel

Doch die kleinen grauen Gehirnzellen kommen rasch in Schwung. „Wir sollten nicht nacherzählen, was Inge Auerbacher bei der Veranstaltung in der Schiller-Turnhalle erzählt hat. Das wäre die gleiche Geschichte wieder und wieder“, sagt Nico entschieden und trifft damit in den Augen der anderen den Nagel auf den Kopf. „Wir sollten dokumentieren, was sie hier gemacht und wie sie Fragen beantwortet hat“, sinniert der 16-Jährige laut weiter. Gerhard Stahl, der nebenher für ein Making-of filmt und der ihnen das kleine Einmaleins des Filmens gezeigt hat, ist begeistert.

Doch es gilt noch andere Grundsatzfragen zu klären: Mit welcher Sequenz wollen die Schüler einsteigen? Braucht der Film einen Kommentator oder erklärt er sich selbst? Wie könnte ein Arbeitstitel lauten? Die sechs Gymnasiasten stöhnen, Gerhard Stahl lässt nicht locker. Er möchte schon bei diesem ersten Schneidetermin ein handfestes Resultat. Doch ein zündender Einstieg fällt nicht vom Himmel, das merken die Nachwuchs-Filmemacher schnell. „Vielleicht sollten wir mit der Schillerschule beginnen“, überlegt Kai (15). Dorthin hat ein Kamerateam Inge Auerbacher im Oktober begleitet. In der Turnhalle schilderte diese, wie sie als kleines Mädchen an eben diesen Ort gebracht wurde, um von dort in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert zu werden. Die Schüler schauen sich diese Filmsequenz noch einmal an – und verwerfen diese Idee. Eine Frau, die in der Turnhalle herumlaufe, sage den Zuschauern womöglich nichts, befürchten sie.

Der Film soll Mitte Dezember fertig sein

Nach einigem Hin und Her sind sich alle einig: Die Straßenbefragung soll am Anfang stehen. Auch das hat seine Tücken. Im lauten Verkehr gehen viele Antworten unter, und nicht jede Antwort ist informativ oder interessant. Außerdem ist das Schneiden so eine Sache. „Der Technik-Tim muss her“, fordern die Jungs. Tim ist ein ehemaliger Schüler und hat Erfahrung mit der Bearbeitung von Filmmaterial. Flugs fügt er ein paar Szenen aneinander. Das Filmteam ist begeistert und überrascht, dass diese erste Sequenz nur eine Minute lang ist. Beflügelt von diesem Erfolg fällt den Gymnasiasten nun doch noch ein Arbeitstitel ein: „Ein Stern“, frei nach Inge Auerbachers Buch „Ich bin ein Stern“, in dem sie ihre Erinnerungen an ihre Kindheit in der NS-Zeit festhielt. Bis sich die Jugendlichen das nächste Mal treffen, soll „Technik-Tim“ schon mal weiter schneiden. „Sonst dauert das zu lange“, sagt Gerhard Stahl. Mitte Dezember soll der Film fertig sein.

Rundum spannend finden die Schüler das Projekt. Sie durften entscheiden, ob sie eine Aufgabe in der Redaktion, als Kameramann oder Cutter übernehmen wollten, und sie suchten auch die Drehorte aus. Im Gedächtnis wird ihnen auch die Begegnung mit Inge Auerbacher bleiben. „Das war Geschichte aus erster Hand, das ist etwas anderes als in der Schule“, sind sich die Schüler einig. „Das geht einem näher.“

Botschafterin des Friedens

Als fünfjähriges Mädchen ist Inge Auerbacher im Jahr 1939 zusammen mit ihren Eltern nach Jebenhausen gezogen. Als Achtjährige wurde sie in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Sie überlebte. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs wanderten sie und ihre Eltern in die USA aus. 1986 erschienen ihre Kindheitserinnerungen in dem Buch „Ich bin ein Stern“. Sie kommt noch immer häufig nach Göppingen, um an den NS-Terror zu erinnern. Als „Botschafterin der Versöhnung, der Toleranz und des Friedens“ wurde sie mehrfach ausgezeichnet.

Ermöglicht hat das Filmprojekt die Stadt Göppingen. Mit an Bord ist der Dokumentarfilmer Gerhard Stahl. Ferner wurde die 10 b unterstützt von den Lehrern Marion Welz und Andreas Förschler sowie dem Schulsozialarbeiter Harald Maas.