Gleich zwei herausragende Pianisten - Dina Ugorskaja und Piotr Anderszewski - haben Robert Schumanns selten zu hörende „Gesänge der Frühe“ eingespielt.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Natürlich: dass Robert Schumann ein Werk namens „Gesänge der Frühe“ komponiert hat, das weiß man, wenn man sich ein bisschen mit dem Komponisten beschäftigt hat. Aber: wer kennt dieses geheimnisvolle Opus 133, das er wenige Monate vor seinem seelischen Zusammenbruch komponiert hat? Wer hat schon die Motive parat oder ein paar Harmonien daraus im Kopf?

 

Preisverdächtige Aufnahmen

Zwei außergewöhnliche Musiker, eine Frau und ein Mann, beide etwa gleich alt, haben die Gesänge auf CD vorgelegt. Sie, Dina Ugorskaja, Jahrgang 1973, er, Piotr Anderszewski, Jahrgang 1969. Und preisverdächtig, noch eine Gemeinsamkeit, sind beide; Dina Ugorskaja wurde bereits für den International Classical Music Award nominiert.

Keine Viertelstunde dauern die fünf späten Stücke der Frühe, die pianissimo und „in ruhigem Tempo“ mit einer aufsteigenden Quint anfangen, in deren Folge sich ein kontrapunktisch und harmonisch komplexer Choral entwickelt. Anderszewski (bei Virgin Classics), sonst eher der schnellere der beiden, geht ruhiger ans Werk, auch leiser. Dina Ugorskaja (Bei Cavi/Harmonia Mundi) bleibt im Metrum gleichmäßiger, sie bringt die Mittelstimmen organischer zur Geltung, ihr Forte ist im Gegensatz zu Anderszewski voluminöser (aber nicht lauter, schon gar nicht scharf), ihre Melodieführung stets wärmer.

Seufzende Reminiszenz

Was für die Nummer eins gilt, zieht sich so fast durch das ganze Werk. Am deutlichsten in Nummer vier (“Bewegt“), das Anderszewski fast ein bisschen desinteressiert in zwei Minuten und elf Sekunden durcheilt, während Ugorskaja 43 Sekunden länger braucht - und auch eine seufzende Reminiszenz an das Konzertstück Opus 134 herausarbeitet. Auch in der Nummer zwei (“Belebt, nicht zu rasch“) steht sich der polnische Pianist mit seinem ins Mechanische tendierenden Rubato selbst im Wege. Nur die Nummer fünf (“Im Anfange ruhiges, im Verlauf bewegtes Tempo“) gelingt Anderszewski von Anfang an geheimnisvoller, die verhangenen murmelnden Sechzehntel berückender. Aber am Ende sind mit seinem ungewöhnlichen Sekundvorhalt auf den Schlussakkord beide Musiker wieder auf einem - unterm Strich außergewöhnlich hohen - Niveau.

Frühe und mittlere beziehungsweise späte Schumann-Werke haben die Künstler dem Opus 133 zur Seite gestellt: Piotr Anderszewski hat die Humoreske Opus 20 und die von ihm selbst bearbeiteten Studien für Pedalflügel Opus 56 ausgewählt, Dina Ugorskaja die Kreisleriana Opus 16 und die Sieben Klavierstücke in Fughettenform. Nicht zu vergessen die nachgelassenen Geistervariationen, für deren aufblühende Nummer drei (“Etwas belebter“) sie allein einen Preis verdient hätte.