Schuss-Serie in der Region Stuttgart Polizei will Jugendlichen zeigen: Ihr seid uns nicht egal

Im April 2023 wurde auf eine Shisha-Bar beim Bahnhof Plochingen gefeuert. Die Tat gehört zur Schuss-Serie – wegen der die Polizei ein spezielles Präventionsprogramm entwickelt hat. Foto: /SDMG / Kohls

Die Polizei macht Hausbesuche. So will sie junge Menschen davor schützen für schwere Straftaten vereinnahme zu werden. Polizeihauptkommissar Chris Hellerich berichtet von den Besuchen.

Böblingen: Anke Kumbier (ank)

Die Polizei setzt auf Ansprache statt Abschreckung – auch im Kreis Böblingen. Sie will damit verhindern, dass junge Menschen von kriminellen Gruppen zu schweren Straftaten animiert werden. Konkret geht es um die sogenannte Schuss-Serie im Großraum Stuttgart, die seit 2022 immer wieder Aufsehen erregt. Täter schießen dabei, teils am helllichten Tag, auf Menschen im öffentlichen Raum.

 

Ermittlungen des Landeskriminalamts (LKA) zufolge, instrumentalisieren diese Gruppen unter anderem junge Menschen, die dann in deren Namen schwere Straftaten verüben – oft aus dem Bedürfnis heraus dazuzugehören. Mit einem neuen Präventivprogramm will das LKA diese Dynamik durchbrechen. Das Konzept: Beamte besuchen junge Menschen, die aus ihrer Sicht gefährdet sind, reden mit ihnen und zeigen Alternativen auf.

Vor allem Jugendliche besucht

Mit dabei ist auch das Polizeipräsidium Ludwigsburg, das für die Kreise Ludwigsburg und Böblingen zuständig ist. Chris Hellerich vom Referat Prävention und seine Kollegen haben im Mai in beiden Kreisen insgesamt 30 Männer zwischen 16 und 31 Jahren besucht, die meisten von ihnen im Jugendalter. Eine einstellige Zahl der Besuchten wohne im Kreis Böblingen, so Hellerich. Es handle sich um junge Männer, die noch keine schweren Straftaten begangen haben, aber den Erkenntnissen der Polizei zufolge schon in die Gruppen involviert seien, erklärt der Polizeihauptkommissar.

Die Polizei habe Teams gebildet, je ein Beamter vom Referat Prävention und einer aus dem operativen Bereich. Sie seien auf gut Glück zu den Adressen gefahren, in der Hoffnung jemanden anzutreffen. „Wir haben uns schon gefragt, was da auf uns zukommt und ob wir überhaupt reingelassen werden“, sagt Hellerich, der bei neun Besuchen dabei war. Kein einziger hätte sie weggeschickt. „Wir haben direkt gesagt, dass keine Tat der Grund für unseren Besuch ist, um den jungen Menschen und den Eltern, die bei den meisten Gesprächen dabei waren, die Sorgen zu nehmen.“ Sie hätten über die Vorfälle im Raum Stuttgart aufgeklärt und den jungen Menschen die Gefahren aufgezeigt, die von diesen Gruppen ausgehen.

Individuelles Beratungsmaterial zusammengestellt

Doch die Polizei hat noch mehr getan. Als Vorbereitung auf die Besuche gab es Workshops mit den Jobcentern und Landratsämtern der beiden Kreise sowie mit Beratungsstellen. Das Referat Prävention hat daraufhin individuell zugeschnittene Unterstützungsangebote ausgearbeitet, um den jungen Männern Alternativen aufzuzeigen, berichtet Hellerich. „Wir haben uns bei jedem überlegt, was passen könnte.“ Das sei von Ratschlägen für die Jobsuche, über Tipps für eine Ausbildung bis hin zu Ideen für die Freizeitgestaltung gegangen.

Chris Hellerich arbeitet im Referat Prävention und war bei neun Hausbesuchen dabei. Foto: Polizeipräsidium Ludwigsburg

Vorerst soll es bei einem Besuch bleiben. Es gehe nicht darum, die Jugendlichen engmaschig zu betreuen. „Es war uns wichtig, dass sie mal hören: Wir machen uns Sorgen um euch und haben uns Gedanken gemacht“, sagt Hellerich. „Und dass sie wissen: Es gibt Auswege.“ Wie viel davon bei den jungen Menschen nachwirkt, lasse sich nur schwer messen. Der 35-Jährige hat aber ein gutes Bauchgefühl und sein Fazit fällt sehr positiv aus. „Unsere Besuche wurden echt gut aufgenommen.“

Ob es eine Neuauflage des Projekts gibt, weiß Hellerich noch nicht. „Für uns war das ein neuer Weg.“ Man wolle sich jetzt im Nachgang zusammensetzen, die Erfahrungen austauschen und überlegen, wie und ob sich Präventionsmaßnahmen dieser Art ins tägliche Polizeigeschäft einbinden und auf andere Bereiche ausweiten lassen.

Auseinandersetzung seit 2022

Schuss-Serie
 Seit Juli 2022 hält die sogenannte Schuss-Serie die Region in Atem. Am 8. April 2023 wurde ein junger Mann in Asperg (Kreis Ludwigsburg) erschossen, im Juni desselben Jahres wurden zehn Menschen bei einem Anschlag mit einer Handgranate in Altbach (Kreis Esslingen) verletzt.

Ermittlungserfolge
 Bislang wurden laut LKA 68 Tatverdächtige in Haft gebracht, über 180 Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt und 29 Schusswaffen sichergestellt.

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