Die Amtsperiode von Oberbürgermeister Wolfgang Schuster war eine gute Zeit in der Stadt für die Kultur. Hier ist viel neu erstanden, während in anderen Städten gestrichen wurde. Doch die Distanz zur Szene ist in jüngerer Zeit gewachsen.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Es ist schon ein wenig bitter: Ausgerechnet in den Kulturkreisen der Stadt – worunter wir hier sowohl die Kulturschaffenden als auch die rein Kulturinteressierten zählen – dürfte der Oberbürgermeister Wolfgang Schuster am Ende seiner zweiten Amtszeit einen besonders schweren Stand haben. Dabei gibt es nur wenig andere Themen, um die er sich in seinen 16 Jahren im Chefzimmer des Rathauses so kontinuierlich gesorgt und gekümmert hat, wie just um die Kultur. Denn ja, es gibt da eine tiefe Zuneigung von Schuster. Aber die Beziehung ist schwierig.

 

Der Hauptgrund für die Kühle der Kulturszene gegenüber Schuster heißt natürlich Stuttgart 21. Der Protest gegen das Großbauprojekt war von Anfang an maßgeblich ein Kulturprotest. Seine Visionen moderner Stadtentwicklung auf den frei werdenden Gleisflächen konnte er paradoxerweise gerade in jenen Kreisen nur schlecht vermitteln, die eigentlich für stadtkulturelle Projekte besonders empfänglich sein müssten.

Kein spritziger Ideenverkäufer

Dass dies so kam, hängt sicher auch mit dem zweiten Grund zusammen, warum die Kulturszene mit dem Stuttgarter Oberbürgermeister häufig fremdelte: ein glanzvoller Redner und spritziger Ideenverkäufer ist Wolfgang Schuster bekanntlich nie gewesen. Gebot es irgendein Anlass dem OB dennoch, einen Preis zu verleihen oder auch nur eine Willkommensrede zu halten, so waren Schusters Redebeiträge vom Publikum eher gefürchtet als sehnsüchtig erwartet. Um es vorsichtig auszudrücken: für intellektuelles Feuerwerk ist Schuster einfach zu trocken. Auf dem Kulturparkett ist er ein ganz anderer Politikertyp als, sagen wir mal, Lothar Späth.

Der Vergleich mit dem früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten ist mit Bedacht gewählt. Dessen Ära von 1979 bis 1991 gilt bis heute und auch in jüngsten Handbüchern als große Zeit der Kulturpolitik, in der die Gelder nur so sprudelten und eine neue Institution nach der anderen entstand. Dass sich dies im kollektiven Bewusstsein so niedergeschlagen hat und auch vom politischen Gegner anerkannt wird, hängt nicht nur von der Sache ab, sondern auch von der Performance – Späth genoss es, sich als Kulturstifter zu inszenieren und suchte energisch die Nähe der Kreativen.Für die Stuttgarter Kultur sind die Schuster-Jahre von 1997 bis 2013 summa summarum ebenso wichtig wie die Ära Späth. In einer Zeit, da andernorts aufgrund des permanenten Spardrucks auf die öffentlichen Finanzen die Kultur zusammengespart wurde, ist die Landeshauptstadt Baden-Württembergs an Kultur erheblich reicher geworden. Doch um sich mit Trophäen zu schmücken und mit Günstlingen zu umgeben, was der Ex-Ministerpräsident nie scheute, ist Schusters Wesen wohl schlicht zu unbarock.

Die Landeshauptstadt ist an Kultur reicher geworden

Das Bosch-Areal mit dem Literaturhaus, das neue Theaterhaus auf dem Pragsattel, das Theaterzentrum am Tagblattturm mit dem neu gegründeten Jungen Ensemble Stuttgart als städtisches Kinder- und Jugendtheater, das Kunstmuseum am Schlossplatz, die neue Stadtbibliothek an der Heilbronner Straße – erst, wenn man alle diese Orte hintereinander liest, wird einem bewusst, was Stuttgart in Schusters Jahren kulturell erreicht hat. Das ist eine Bilanz, die andernorts schlicht undenkbar war. Kulturpolitiker, die Wünsche in dieser Zahl in Hamburg, Berlin oder Köln vorgetragen hätten, wären verhöhnt worden.

Dabei reden wir noch gar nicht über jene Kultureinrichtungen, die Stadt und Land dezidiert gemeinsam tragen wie etwa die Staatstheater, die in dieser Zeit ja häufig sogar internationalen Glanz ausstrahlten. Und wir erwähnen nur kurz ein weiteres Großprojekt, das Schuster maßgeblich angestoßen hat und 2016 die städtischen Kulturinstitutionen ergänzen wird: das neue Stadtmuseum im Wilhelmspalais.

Die Kultur ist eines von Schusters „Lieblingskindern“, so klagten insgeheim immer wieder Stuttgarter Gemeinderäte, wenn sie den Eindruck hatten, der OB fülle den Kultur-Schaffenden schon wieder das Glas, während andere zentrale städtische Belange wie Straßen, Schulen oder Sport darben mussten. Und ab und zu haben sie ihm dann auch mal die Suppe versalzen, etwa beim 32-Millionen-Euro schweren Neubau der John Cranko-Schule an der Werastraße, dessen Kosten die Stadt zur Hälfte tragen muss, weswegen die kommunalen Abgeordneten lange Zeit kräftig auf die Bremse traten. Da musste es erstmal eine Reihe von Ortsbegehungen der Rathausfraktionen in der alten Cranko-Schule geben, damit die Volksvertreter doch noch einsehen konnten, was ihr Oberbürgermeister schon lange wusste: dass es für Stuttgart als eine der Hauptstädte der internationalen Tanzszene schlicht peinlich ist, wenn Eltern in aller Welt ihre Kinder zur Ballett-Ausbildung an den Neckar schicken, um dann festzustellen, dass die alten Klassen- und Übungsräume mehr oder weniger baufällig sind. Also, noch ein Schuster-Erfolg: 2016, Einweihung der neuen Cranko-Schule.Was unterscheidet Wolfgang Schuster von den meisten anderen kommunalen Spitzen in Deutschland? Kurz und knapp: er ist kulturaffin. Normalerweise ist für einen Rathauschef die Kultur ein Thema unter vielen und noch dazu in der Regel sehr anstrengend. Zuständig sind Kulturdezernenten und Kulturamtsleiter, die dem Stadtfürsten mit ihren ständigen Klagen auf die Nerven gehen. Das ist bei Schuster völlig anders. Und das weniger, weil er selbst ein Schöngeist wäre. Sondern weil er die Kultur als Instrument städtischer Entwicklung auffasst. Man muss sich immer klar machen: Schuster war schon drei Jahre Kulturbürgermeister in Stuttgart gewesen, bevor er 1996 die Wahlen zum Oberbürgermeister gewann.

Kultur als ein Instrument städtischer Entwicklung

Der städtische Raum darf nicht allein kommerziellen Zwecken dienen, das ist einer von Schusters kommunalpolitischen Grundsätzen. Und auch, wenn seine Kritiker ihm vorwerfen, diesen Grundsatz allzu oft sträflich missachtet zu haben, es gibt eben auch Orte in Stuttgart, wo dies mustergültig gelungen ist: das Bosch-Areal mit dem Literaturhaus kündet ebenso davon wie, prominenter geht es ja kaum, das Kunstmuseum am Schlossplatz auf halber Höhe der Kommerzmeile Königstraße. Und gerade in diesen Wochen, da im Riesenareal an der Heilbronner Straße langsam die Mauern der künftigen Einkaufsparadiese und Büropaläste in die Höhe wachsen, wird deutlich, dass mitten in diesem Ozean an Kommerz die neue Stadtbibliothek wie eine Burg das Recht der Stuttgarter wahrt, nicht überall in der Stadt nur als Geldverdiener oder Geldausgeber Zutritt zu erhalten.

Im Grunde gab es in 16 Schuster-Jahren nur eine Zeit, als es eng für die Kultur zu werden drohte – im Herbst 2009, als im Rahmen einer Sparrunde die Gemeinderäte 1,9 Millionen Euro bei den Künsten streichen wollten (bei einem Kulturgesamtetat von 75 Millionen Euro). Die Kulturschaffenden organisierten damals eine „Artparade“, einen Demonstrationszug nebst vielen Aktionen in der Stadt.

Wieder lohnt der überregionale Vergleich: In Städten wie Berlin, Hamburg, Duisburg oder Frankfurt gab es in der gleichen Zeit sehr viel öfter Anlässe für solche kulturpolitischen Proteste. In Stuttgart aber hat der Protest nicht nur Erfolg, die Kürzungen wurden weitgehend zurückgenommen. Und das Rathaus trat mit den Künstlern sogar in einen Dialog über die Grundsätze zukünftiger Kulturpolitik ein. Man stelle sich solche Verhältnisse in Berlin vor.

Wolfgang Schuster war als Oberbürgermeister ein erfolgreicher Kulturmanager. Es ist offensichtlich, dass sich viele Kulturschaffende sich politisch nun auf seinen Nachfolger Fritz Kuhn freuen. Doch eines sollte klar sein: Anders als Schuster 1997 kommt Kuhn im Januar 2013 kulturpolitisch weitgehend unbeleckt ins Amt. Da kann es dann schnell so zugehen, wie überall sonst auch. Die rot-grüne NRW-Regierung will gerade 16 Millionen Euro in der Kultur kürzen.