Die Aufrufe zur Grippeimpfung häufen sich: Laut Experten ist jetzt die beste Zeit, um sich für die nächste Erkrankungswelle zu wappnen. Doch gerade bei älteren Menschen zeigt die Impfung Schwächen. Ob sich die Immunisierung dennoch lohnt, klären Experten.

Berlin/Stuttgart - Die Grippesaison hat begonnen – und pünktlich mit den ersten gemeldeten Fällen rufen allerlei Vertreter aus dem Gesundheitswesen und der Politik zur alljährlichen Grippeimpfung auf: So auch jüngst baden-württembergs Sozialminister Manne Lucha (Grüne). Die Influenzaviren breiten sich bereits seit September im Land aus, allerdings noch mit sehr niedriger Geschwindigkeit. Insgesamt weiß man von sieben gemeldeten Fällen. Von einer „nahenden Erkrankungswelle“ warnt auch Hartmut Hengel, Leiter des Instituts für Virologie am Uniklinikum Freiburg. „Jeder, der sich gegen Grippe impfen lassen kann, sollte das daher tun“, so Hengel, der auch Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) am Robert Koch-Institut ist, Deutschlands höchste Instanz, wenn es ums Impfen geht.

 

Diesen Aufruf richtet sich vor allem an Menschen mit geschwächter Immunabwehr – sprich: Schwangere, chronische Kranke wie Asthmatiker oder Diabetiker, sowie Patienten mit Herz-, Leber- oder Nierenleiden. Bei ihnen kann die Grippe einen besonders schweren Verlauf nehmen. So sterben laut Stiko-Statistik in einem durchschnittlichen Winter in Deutschland 8000 Menschen an den Folgen einer Grippe. Darunter auch viele Senioren. Weshalb sich nach den Empfehlungen der Impfkommission auch alle Personen, die älter als 60 Jahre sind, dringend immunisieren lassen sollten.

Stiftung Warentest hält Grippeimpfung für Senioren für nicht sinnvoll

Doch hier erhält das Gremium Widerspruch – von der Stiftung Warentest. Sie hat zusammen mit Experten die aktuellen Studien zur Impfung gegen Grippe und zu verfügbaren Impfstoffen ausgewertet. Das Ergebnis der Expertenrunde, zu der unter anderem der Gesundheitsökonom Gerd Glaeske sowie Fachapotheker, Ärzte und Infektologen aus ganz Deutschland gehören: „Die generelle Impfung von über 60-Jährigen halten wir als Impfstrategie für wenig sinnvoll.“ Denn gerade das altersbedingt schwächer werdende Immunsystem verhindere, dass die Impfung optimal wirke. Sie biete also keinen zuverlässigen Schutz. Besser wäre es, Kinder und Jugendliche zum Arzt zu schicken. Nicht nur, weil deren Immunantwort besonders gut ist, sondern auch aus Gründen des Herdenschutzes – dem Schutz auch ungeimpfter Menschen durch eine weitestgehend geimpfte Bevölkerung.

Dass es keinen hundertprozentigen Grippeschutz für Senioren gibt, bestätigen auch andere Experten wie beispielsweise Andreas Thiel von der Berliner Charité. Die Grippeimpfung sei eine aktive Impfung, so der Leiter des Berlin-Brandenburger Centrums für Regenerative Therapien . Der Impfstoff enthält abgetötete Erreger oder auch nur Bruchstücke, die selbst keine Erkrankungen mehr verursachen können. Sie aktivieren aber das Immunsystem der geimpften Person, sodass diese im Falle einer tatsächlichen Infektion geschützt sind. „Doch bei mindestens einem Drittel der über 60-Jährigen wirkt diese aktive Grippe-Impfung nicht oder nicht ausreichend gut“, sagt Thiel.

Mit dem Älterwerden schwinden auch die Abwehrzellen

Zusammen mit seinem Team hat er nach den Ursachen für die mangelnde Schutzwirkung geforscht – und auch eine mögliche Erklärung gefunden: So sind bei älteren Menschen deutlich weniger Abwehrzellen im Blut als bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen. Diese sogenannten T-Zellen sind aber wichtig für die Immunantwort des Körpers, wenn er von Krankheitserregern angegriffen wird. Diese Abwehrzellen werden im Thymus hergestellt, einem Organ oberhalb des Herzens. Doch dieses bildet sich nach der Pubertät zurück und kann immer weniger neue T-Zellen bilden. Laut Thiel könne dies erklären, warum das Immunsystem bei älteren Personen nicht mehr angemessen auf die Impfung reagieren kann.

Lieber wenig Schutz als gar kein Schutz

Allerdings ganz auf die Grippeimpfung zu verzichten, halten Experten des Paul-Ehrlicher-Instituts (PEI) für einen großen Fehler: „Eine echte Grippe-Erkrankung kann bei älteren Menschen gerade aufgrund ihres nicht mehr ganz so aktiven Immunsystems lebensbedrohlich werden“, sagt die Sprecherin Susanne Stöcker. Auch wenn bei Älteren der Impfstoff weniger gut anschlägt als bei Jüngeren, so sei es doch eine fragwürdige Sicht, den Schutz ganz wegzulassen. „Wenn es stark regnet und man hat nur einen Regenschirm mit Löchern zur Hand, so wird man ihn dennoch aufspannen, um nicht komplett nass zu werden.“ Auch bei der Impfung sei ein möglicherweise geringer Schutz besser als gar kein Schutz.

Es bleibt also erst einmal bei den gewohnten Empfehlungen der Stiko. Zumal sich der Rat der Warentester, besonders Kinder und Jugendliche zu immunisieren, nur schwer durchsetzen lassen würde, heißt es beim RKI. Denn in Deutschland gibt es keine Impfpflicht. Sprich: Der Impfschutz wird stets löchrig bleiben, weil es immer Eltern geben wird, die ihre Kinder nicht durchimpfen lassen wollen. Daher sollten sich Ältere auf den Herdenschutz nicht verlassen – und sich lieber selbst impfen lassen.