Kritiker sagen, man könnte auch 100-Euro-Scheine aus dem Flugzeug werfen, es käme das gleiche heraus wie beim sogenannten Impfen von Gewitterwolken. Andere sind vom Nutzen der Hagelflieger überzeugt, die den Mittleren Neckar bei heftigen Gewittern schützen sollen.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Stuttgart/Waiblingen - Die Kritiker – etwa der Wettermann Jörg Kachelmann – sagen sinngemäß, man könnte genauso gut 100-Euro-Scheine aus dem Flugzeug werfen. Es würde das gleiche Ergebnis erzielt wie beim sogenannten Impfen von Gewitterwolken mit Silberjodid. Die Spezialflugzeuge, die seit 34 Jahren den Rems-Murr-Kreis und einige angrenzende Kommunen vor schlimmen Hagelschäden schützen sollen, sind nicht unumstritten.

 

Der Landrat indes ist überzeugt von der Hagelabwehr, die sich die Projektpartner jährlich gut eine Viertel Million Euro kosten lassen. Johannes Fuchs verweist am Gründonnerstagnachmittag während der offiziellen Wiederinbetriebnahme der beiden Hagelflugzeuge auf dem Rollfeld des Airports in Stuttgart-Echterdingen auf mehrere wissenschaftliche Expertisen, die belegten, dass das Konzept greife. Fachleute des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) zum Beispiel hätten erklärt, die Hagelabwehr mit Hilfe von Silberjodid, das unter den Gewitterwolken versprüht werde, sei „grundsätzlich der richtige Ansatz“. Die „Hagelereignisse“ hätten signifikant abgenommen.

Aus potenziell großen Hagelkörnern kleine Körnchen machen

Es sei freilich nicht möglich, exakt festzustellen, wie groß die Schäden ausgefallen wären, wenn die Hagelflieger nicht aufgestiegen wäre. Oft gelinge es halt „nur“, aus potenziell großen Hagelkörnern kleine Körnchen zu machen. Zudem ist es nicht immer möglich, alle Gewitterwolken über der Region zu beeinflussen. Am 28. Juli 2013 zum Beispiel seien zwei Gewitter im Anmarsch gewesen. Die eine Wolke sei von den Piloten der beiden 40 Jahre alten, speziell umgebauten italienischen Flugzeugen vom Typ „Partenavia 68“ geimpft worden. Schlimmste Schäden speziell über dem Rems-Murr-Kreis seien verhindert worden. Das zweite Gewitter indes hat sich über dem Raum Reutlingen und über dem Ostalbkreis ausgetobt. Dort entstanden Schäden in dreistelligen Millionenhöhe.

Nun also sind die frisch durchgecheckten Hagelflieger und die Piloten wieder abwehrbereit – bis zum Ende der Hagelsaison Mitte Oktober. Bedingt abwehrbereit muss man wohl sagen, denn nicht alle Wengerter und Obstbauern, die sich eine Hagelabwehr wünschen, können auch geschützt werden. Dafür reiche schlicht das Geld nicht, erklärt Fuchs. Man sei aber in Gesprächen, speziell mit einigen Kommunalpolitikern in Reutlingen und mit den Weingärtnern im Raum Heilbronn. Sollten sich weitere Sponsoren finden, dann sei es grundsätzlich möglich, noch ein drittes Flugzeug zu betreiben. Man benötige dafür außer rund 150 000 Euro mindestens ein Jahr Vorlaufzeit.

Alle fünf Minuten aktuelle Informationen zum Wetter

Projektpartner bei der Hagelabwehr sind die Firmen Schopf und FK Aviation. Die Firmenchefs Frank Kasparek und Rainer Schopf haben beide den Pilotenschein, oft fliegen sie die Maschinen selbst. Sie berichten, dass der Karlsruher Niederschlagsradar bei Gewittervorhersagen alle fünf Minuten aktuelle Informationen zu dem Wetter auf die Smartphones liefere. Dann sitzen die Piloten längst auf dem Flughafen und sind startbereit.

Kasparek sagt, es gebe keine spezielle Ausbildung zum Hagelfliegerpiloten, aber Segelflugerfahrung sei von großem Vorteil. Und sein Kollege Schopf berichtet von den turbulenten Flügen unter Gewitterwolken, die er seit 1982 macht. Der Gurt, sagt er und grinst, müsse ganz eng angelegt werden, „damit du nicht ständig mit dem Kopf ans Dach knallst“. Da wird ein gewaltiger Aufwand betrieben, damit es den Bauern möglichst selten die Ernte verhagelt.

263 000 Euro für die Hagelabwehr

Methode
Das Verbrennen einer Silberjodid-Aceton-Lösung unter einer Gewitterwolke soll bewirken, dass sich viele sogenannte Kondensationskerne bilden. Nach dem Verbrennen sind also mehr Teilchen vorhanden, aus denen sich Hagelkörner entwickeln können. Die Körner werden aber viel kleiner, sind oft beim Aufkommen auf der Erde schon geschmolzen.

Kosten
Für die Hagelabwehr stehen heuer rund 263 000 Euro bereit. Neun Rems-Murr-Kommunen sowie Esslingen und Stuttgart zahlen 69 000 Euro, die Wengerter-Genossenschaften 90 000 Euro, private Wengerter 27 000 Euro, Firmen, Versicherungen ebenso 27 000 Euro, und der Landkreis gibt 50 000 Euro.