Per Luftschiff sind im Roman „Die Weltensegler“ 1908 schwäbische Professoren zum roten Nachbarplaneten gereist. Eine Bewegtbild-Ausstellung in der Stadtbibliothek tut nun so, als sei daraus auch die erste japanische Anime-Serie überhaupt in den fünfziger Jahren entstanden.

Stuttgart - Hallo, was ist denn hier los? Jede der einhundertfünfzig jährlichen VfB-Niederlagen brennt sich ins Stadtgedächtnis ein, aber dieses einmalige Ereignis konnte vergessen werden? Dass schon 1908 vom Cannstatter Wasen aus eine Expedition schwäbischer Ehrenmänner mit dem Luftschiff ins All aufbrach und die Völkerfreundschaft mit den Marsmenschen begründete?

 

Nun, ein kleines bisschen könnte diese Gedächtnislücke zur Not damit erklärt werden, dass die Raumfahrt nicht im VfB-Niederlagensinne wirklich und wahrhaftig passiert ist. Sie wurde vom in Cannstatt geborenen Autor Albert Daiber (1857-1928) im Jahr 1908 für seinen Roman „Die Weltensegler“ nur erfunden.

Aber einige andere Bücher und Fantasiegestalten aus der kaisertreuen Urgroßelternzeit sind fraglos oder halbwegs populär geblieben. Daibers Marsflug-Idee nicht. Woran liegt das? Diese Frage hat Tobias Wengert, den Kurator des jährlichen Stuttgarter Fantastikfestivals Dragon Days, und einige seiner Mitstreiter umgetrieben. Und sie sind auch tatsächlich (oder im Spaß) auf Daibers großes Pech gestoßen: Anders als „Heidi“, „Die wunderbare Reise des Nils Holgersson mit den Wildgänsen“ oder „Wickie und die starken Männer“ ist „Die Weltensegler“ nie von einem japanischen Zeichentrickstudio in eine global vermarktbare Anime-Serie verwandelt worden!

Urvater der Animes

Im Auftrag der Dragon Daysund der Stadtbibliothek hat sich der in Hamburg lebende Grafikdesigner und Filmemacher Jon Frickey also überlegt, wie so ein Anime, hätten die Produzenten Daibers Roman entdeckt, ausgesehen haben könnte. Weil Albert Daiber selbst ein utopischer Urvater ist, der lange vor „Star Trek“ und „Star Wars“ von den Sternen träumte, kam Frickey eine Urvatervariante des Animes in den Sinn. Die schwarz-weißen, am Computer entstandenen Trickfilmschnipsel, die nun bis zum 17. September auf den Wandbildschirmen der „Galerie b“ im Erdgeschoss der Stadtbibliothek als Ausstellung „Schwaben im All“ zu sehen sind, tun so, als seien sie gerettete Reste einer frühen, nein, der allerersten Anime-Serie der fünfziger Jahre.

Nicht jeder mag Animes, nicht jeder mag Science Fiction. Aber wer sie mag, findet hier etwas Besonderes. Bei der Ausstellungseröffnung in der Stadtbibliothek am Dienstag war das Publikum über Frickeys Bilder so amüsiert wie über das Fernweh des Cannstatter Weltenseglers Daiber, der während des Schreibens an seinem Roman übrigens längst als Arzt in Chile lebte, fröhlich erstaunt. Vorerst scheint die schwäbische Marsexpedition per Luftschiff vorm völligen Vergessenwerden also gerettet.

Ausstellung „Schwaben im All“ in der Stadtbibliothek Stuttgart. Täglich von 9 bis 21 Uhr, bis 17. September.