Wenn in Raunächten böse Geister vertrieben werden, ist heutzutage große Party. Traditionalisten tun sich schwer mit der neuen Fasnet-Kultur.

Donaueschingen - Am Stadtbrunnen in Donaueschingen stehen zwei Monster. Wutverzerrte Gesichter, von Narben entstellt. Aufgerissene Mäuler mit spitzen großen Zähnen. Sie tragen Fell, es riecht nach Ziege. Eine Frau zückt ihre Handykamera und fragt ihre Enkelin: „Willst du mit aufs Bild?“ Das Mädchen schüttelt den Kopf. Ein anderes Kind erklärt: „Die sind nicht böse, das sind Menschen.“

 

Hinter den martialischen Masken stecken Mitglieder des Fasnetsvereins „Tartaros Perchten Donaueschingen“. Jorge Valero hat die Gruppe gegründet. Der 40-Jährige aus dem Nachbarort Blumberg ist Chef der Perchten und seit seiner Kindheit begeistert von der Fasnet. Als Bub faszinierten ihn die Donaueschinger Hanseln, edle Weißnarren mit Rokoko-Glattmaske und Blumenkranz, das Leinenkostüm mit Fuchs und Hase bemalt.

Mit Anfang 30 trat er einer Narrenzunft bei. Er wurde Hexer. „Im Alltag hocken wir wie die Vollidioten im Büro, müssen 14 Stunden am Tag unseren Job machen.“ Valero arbeitet als Programmierer und Produktionsleiter in einer Schweizer Firma. „An Fasnet kannst du mal was sein, was du sonst nicht sein kannst.“

Der Trend geht zu immer gruseligeren Fratzen

Aber Hexen gibt es viele. Wie die Teufel gehören sie seit Anbeginn zur Fasnet. Lange Nase, Warzen im Gesicht. Valero wollte etwas Besonderes, Dämonisches sein und suchte im Internet nach einer geeigneten Sagenfigur. In den Alpen wurde er fündig: Die Perchten, vor allem im bayrisch-österreichischen Raum bekannte Dämonen, treten gewöhnlich in den Raunächten auf und vertreiben böse Geister.

Mit ein paar Freunden ließ sich Valero in Österreich Kostüme zeigen: Fell, das in Fetzen vom Leib hängt, meterlange Hörner an gruseligen Masken. „Das ist zu brutal für unsere Region“, dachte sich Valero zunächst, „aber geil.“ Die Idee einer eigenen Perchtengruppe ließ ihn nicht mehr los. Mit ein paar Freunden beschloss er, einen Verein zu gründen. Die Masken sollte der Schwarzwälder Holzbildhauer Simon Stiegeler schnitzen. Er ist bekannt dafür, dass er individuelle Wünsche erfüllt.

In seiner Werkstatt in Grafenhausen im Hochschwarzwald wird Stiegeler immer häufiger mit Sonderwünschen konfrontiert. Der Trend geht zu immer gruseligeren Fratzen. An der Wand hängen Holzmasken aus den vergangenen Jahrzehnten. Stiegeler deutet auf ein freundliches, braunes Gesicht mit roten Backen. Die Arbeit stammt noch von seinem Vater, auch ein bekannter Schnitzer. „Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die Menschen fröhliche Motive.“ Doch je besser es den Narren im echten Leben ging, desto furchteinflößender mussten offenbar ihre Masken werden.

Glasaugen, LED-Pupillen und künstliche Wunden

Was Jorge Valero sich vorstellte, bereitete dem Holzschnitzer ein paar schlaflose Nächte. Glasaugen oder LED-Pupillen, mit Spachtelmasse modellierte Wunden und tropfendes Blut – was in Österreich typisch ist, kam für Stiegeler nicht in Frage. Er sieht sich in der Tradition der Holzbildhauerei. „Zum Horrorgenre ist es ein schmaler Grat“, sagt Stiegeler. Er will nicht, dass seine Masken „einfach nur schockieren“. Viele seiner Kunden wünschen sich Nachbildungen von Monstern aus dem Internet wie die Orks aus „Herr der Ringe“.

Schließlich gab Valero nach und ließ den Schnitzer die Masken traditionell aus Holz herstellen. Nur auf LED-Augen wollte Valero nicht verzichten. Die montierte er später selbst, genauso wie die Widderhörner und das Fell, das Kopf und Hals versteckt. Ein Bauhelm gibt Halt, mit einer Schaumstoffpolsterung passt sich die Maske an das Gesicht an. 2000 Euro kostete das Kostüm am Ende.

Als er die Maske seinem Bekanntenkreis zeigte, seien viele begeistert gewesen und hätten auch mitmachen wollen. „Sobald ich die Maske aufhabe, bin ich voll in meinem Element“, erzählt ein Vereinsmitglied. „Ich kann Leute erschrecken, machen, wofür ich mich unter dem Jahr schämen würde.“

Beim Sonntagsumzug dürfen sie nicht mitmachen

Fremdes Brauchtum in der Fasnet, noch dazu Masken mit aufgerissener Haut und zugetackerten Narben – dass Jorge Valero damit bei den zahlreichen traditionellen Vereinen auf Ablehnung stoßen würde, war ihm gleich bewusst. Als er den Narrenverein im vergangenen Juli gründete, bekam er kurze Zeit später einen Brief. Absender: die Narrenzunft Frohsinn, gegründet im Jahr 1853. Darin gab die Zunftleitung den neuen Narren deutlich zu verstehen, dass sie nicht willkommen seien. Beim Sonntagsumzug, den Frohsinn organisiert, dürften sie nicht mitmachen.

Michael Hügle, 69, berät als Brauchbeauftragter seiner Zunft in Donaueschingen den Narrenrat, der über die Einladungen entscheidet. „Jeder Brauch ist in sich abgeschlossen, aber der Perchtenverein nimmt nur einen Teil heraus, das Häs, und holt das in die Fasnet rein. Das gehört da aber nicht hin“, sagt er. Michael Hügle ist auch in der Vereinigung der schwäbisch-alemannischen Narrenzünfte als Beirat im Präsidium aktiv. Vor einem guten Jahr hat der Narrenverband bei der Unesco den Antrag gestellt, die Fasnet als Weltkulturerbe anzuerkennen.

Bei dem Brief der Narrenzunft Frohsinn blieb es nicht. Auf einer überregionalen Versammlung polterte der Präsident der Schwarzwälder Narrenvereinigung, Gerd Kaltenbach, die Tartaros Perchten hätten kein Recht, sich gemeinnützig zu nennen. „Die haben uns öffentlich den Krieg erklärt, richtig brutal“, sagt Jorge Valero. Das Finanzamt in Villingen-Schwenningen gab den Perchten recht. Gemeinnützig sei ein Verein, der das Brauchtum pflege. Welches, sei nach deutschem Steuerrecht egal.

Party statt Tradition

Der Präsident Kaltenbach hat den rund 50 Mitgliedszünften der Schwarzwälder Narrenvereinigung empfohlen, die Perchten und ähnliche Gruppen bei ihren Veranstaltungen nicht mitgehen zu lassen. „Deshalb gibt es immer mehr neue Umzüge, auch nachts. Eine renommierte Zunft würde da niemals mitlaufen“, sagt Kaltenbach. Bei den nächtlichen Umzügen könnten die Perchten „richtig aufdrehen“, erzählt Jorge Valero. Rennen, miteinander rangeln, gegen die Absperrungen springen. Kinder bekämen höchstens Angst, wenn ihre Eltern sie beiseiteschieben würden, meint er. Eine Fünfjährige habe sogar mal gefragt, ob sie ihn streicheln dürfe, erzählt einer der Vereinskollegen: „Da war ich beleidigt.“

Wenn Kaltenbach die Perchten auf der Straße sieht, fragt er sich: „Warum machen die nicht bei uns mit, den traditionellen Vereinen? Wir haben so viele tolle Zünfte. Warum bringen die sich nicht in die Gemeinschaft ein?“ Arbeit hätten sie genug. Stattdessen wollten die jungen Gruppen „Party machen“, sagt Kaltenbach. Viele der neuen Vereine treten nicht nur in ihrem Heimatort auf, sondern auch in anderen Städten. „Die schwäbisch-alemannische Fasnet findet zuallererst in der eigenen Dorfgemeinschaft statt“, sagt Kaltenbach. „Das müssen wir uns bewahren. Sonst blutet die ganze Gemeinde aus.“

„Fasnet ist mehr als nur Laufen. Fasnet will auch gestaltet werden“, sagt Michael Hügle. In Donaueschingen zieht er mit seiner Narrenzunft Frohsinn von einer Wirtschaft zur nächsten, trägt traditionelle Mundartlieder und selbst gedichtete Stücke in Schüttelreimen vor. Die jungen Gruppen hingegen liefen nur von Umzug zu Umzug, sagt er. Einige sind nach Dreikönig jedes Wochenende unterwegs. „Da bleibt keine Zeit zum Dichten.“

Jorge Valero plant gerade die Umzüge für die kommende Saison. Mehr als 40 Einladungen haben die Perchten schon erhalten, auch aus Österreich und Bayern. Einige Vereine böten inzwischen sogar schon Geld an, damit sie kommen – als „Eyecatcher“. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass da jetzt so ein Hype ausbricht“, sagt Valero. Sie bereiten den Weg für immer mehr Perchten, davon ist er überzeugt: „Wir setzen jetzt den Meilenstein.“