Eine Pädagogische Hochschule am Rand der Provinz – geht das? In Baden-Württemberg schon, wie ein Besuch in Oberbettringen deutlich macht.
Oberbettringen im Winter, das hat schon alles, was die Schwäbische Alb prägt: zugigen Wind, karge Felder und schöne Talblicke, die sich leider nur noch selten öffnen. So bleibt im Nebel manchmal wochenweise die Sicht auf das tiefer gelegene Stadtzentrum von Schwäbisch Gmünd und die Drei-Kaiser-Berge auf der anderen Talseite verborgen. Vorübergehend liegt ein Kapital brach, das für diesen Lehr- und Lernstandort so wichtig ist. „Studieren im Grünen und trotzdem großstadtnah“, heißt ja ein Werbeslogan der Pädagogischen Hochschule. Doch jetzt fegt erst einmal das Laub über den leeren Campus und norgendwo ist eine nahe Szenekneipe in Sicht, in der sich nach dem Lernen die Kälte aussitzen ließe.
Was soll’s, könnte sich die Hochschulleitung sagen – die Hörsäle platzen aus den Nähten, ganz im Trend der Zeit. Gut 2700 Studierende sind hier in Gmünd eingeschrieben, mehr als dreimal so viele wie zur Zeit der Jahrtausendwende. Sie wollen Grund-, Haupt-, Real-, Werkreal-, Gemeinschafts- oder Berufsschullehrer werden. Oder sie absolvieren Bachelor- und Masterstudiengänge zur Kindheitspädagogik, Integration, Gesundheitsförderung und Bildungswissenschaft.
Die Studiengänge sind rappelvoll
Auf einen Studienplatz in den Fächern Gesundheitsförderung und Grundschullehramt sind vor diesem Wintersemester ein Dutzend Bewerbungen eingegangen, teilt die Rektorin Astrid Beckmann mit. Zum ersten Mal sei außerdem die Hälfte der Erstsemester in Bachelor- und Masterstudiengängen eingeschrieben.
Weshalb auch in den aktuellen Studiengängen für das Grundschullehramt wieder fast ausschließlich junge Frauen sitzen, könnte womöglich einmal Gegenstand einer gesonderten Untersuchung in Oberbettringen sein. Kinder haben schon vom Krippenalter an fast ausschließlich mit Pädagoginnen zu tun, erleben in der Grundschule wieder fast nur weibliche Ansprache und sind überwiegend schon zehn Jahre alt, bis sie in der weiterführenden Schule zum ersten Mal einen leibhaftigen Lehrer an der Tafel vor sich sehen.
Frauen seit jeher in der Überzahl
Hochschulsprecher Bert von Staden hat dafür zweierlei Erklärungen: Zum einen spiele wohl eine kulturelle Gewohnheit eine große Rolle für dieses Ungleichgewicht in der Lehramtsausbildung. Männer seien oft karriereorintierter, strebten Gymnasiallaufbahnen mit erweiterten Aufstiegsmöglichkeiten an, während Frauen häufig der Spaß an der Lernstoffvermittlung wichtiger sei.
Die PH, so der Eindruck, muss sich nur noch der Bestenauslese widmen. Aber da erhebt der Sprecher Bert von Staden Einspruch. Aufgabe sei es nicht nur, Musterstudenten heranzuziehen, sondern solche, die später auch bereit seien, in eine der Ostalb-Schulen einzutreten. Das ist die strukturpolitische Aufgabe dieser Hochschule. „Wir sind ein Teil der regionalen Entwicklung“, sagt von Staden.
Am leichtesten lassen sich Junglehrer für den Berufsstart auf dem Land verführen, wenn sie von dort stammen. Das gelingt offenbar. „Viele kommen aus Ostwürttemberg – und bleiben auch“, sagt der Sprecher. In erster Linie seien es die Masterstudenten, die eine spätere Promotion oder Habilitation bereits im Hinterkopf hätten, die auch vom Norden der Republik in die Stauferstadt zögen. Die PH hat schließlich Universitätsstatus.
Immerwährendes Ringen um die besten Kräfte
Wenn die Hochschule auf ihrer Homepage damit wirbt, sie biete die Kombination eines attraktiven Umfeldes „im Grünen mit den kulturellen Angeboten einer Großstadt“, so spricht sie damit in erster Linie Lehrkraftbewerber an. Stuttgart mit seinem „erstklassigen Kultur-, Sport- und Veranstaltungs-Angebot ist nur etwas mehr als 50 Kilometer entfernt“, wird versprochen.
„Man muss als Hochschule im ländlichen Raum immer mehr ackern als in den Ballungsräumen“, sagt Sprecher von Staden. „Wir müssen Experten in die Region kriegen.“ Das zu schaffen brauche bei Gesprächen mit Bewerbern „viel Vermittlung“. Neben der grünen Landschaft führt die Hochschulleitung die geringeren Lebenshaltungskosten gegenüber Standorten wie Stuttgart, Freiburg oder Heidelberg ins Feld. Vor allem aber auch die in Oberbettringen herrschende „persönliche Atmosphäre“. Von Staden: „Hier kann man einfach den Flur langgehen, klopfen und sich mit dem Professor unterhalten.“ Konflikte innerhalb des Lehrkörpers könnten ebenfalls auf kurzem Weg angesprochen und bereinigt werden. „Woanders braucht man oft ein Gremium dafür.“
Über Kooperationen an die Fördertöpfe
Wo Gmünd zumal im Wettbewerb mit den Universitäten im Hintertreffen liegt, das liegt auf der Hand. „Eine Uni kann neuen Professoren versprechen: Sie haben zehn Mitarbeiter. Das haben wir nicht“, bedauert der Sprecher. Zumindest im Kleinen wird trotzdem an einer Verbesserung der Forschungsbedingungen gearbeitet. Der Prorektor Hans-Martin Haase verspricht, die Hochschule habe neue Förderformate eingerichtet, um speziell die Arbeitsbedingungen der Nachwuchswissenschaftler zu verbessern. Es geht vor allem um die finanzielle Unterstützung von Vortragsreisen oder Fortbildungen.
Mehr Geldmittel lassen sich am unmittelbarsten durch Drittmittelgeber beschaffen. Um wirkungsvoller an die Fördertöpfe der Europäischen Union oder der Deutschen Forschungsgesellschaft heranzukommen, bildet sich Gmünd gerade in einem Projekt zur Qualitätsverbesserung der „innerorganisatorischen Prozesse der Forschungsförderung“ fort. Die Fortbildung hat 2014 das Wissenschaftsministerium angestoßen. Auch die Hochschulen Karlsruhe und Ludwigsburg nehmen teil. Gerade der Mangel an wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen sei ein Problem, heißt es an der Gmünder Hochschule.
Die Ehepartner entscheiden mit
So lange nicht deutlich mehr Forschungsgelder fließen, wird sich die Hochschulleitung über den Dächern Schwäbisch Gmünds weiter der liebevollen Pflege so genannter weicher Standortfaktoren widmen müssen.
Dazu gehört, möglichst auch den Ehepartnern wissenschaftlicher Spitzenkräfte, die man haben will, eine Berufsperspektive in Aussicht zu stellen. Besonders leicht gelingt das, wenn es sich um technische Berufe handelt, schließlich siedeln in Ostwürttemberg eine ganze Reihe von technisch orientierten Weltunternehmen. Zu den meisten pflegt die Hochschule langjährige Kontakte. Im Gegenzug hat es schon studentische Forschungsprojekte zur Gesundheitserhaltung von Mitarbeitern gegeben, das Ganze nennt die PH „Fachkräfteallianz“. Bleiben noch eventuell vorhandene Kinder. „Es wird immer wichtiger, dass man ein Paket für die ganze Familie macht“, sagt Sprecher von Staden. Darum hat jetzt direkt vor der Haustür, in unmittelbarer Campusnähe, eine brandneue Kita nebst Kindergarten eröffnet. Der Gartenspielbereich biete den vermutlich schönsten Blick der Stadt, sagt von Staden. Spätestens, wenn das Frühjahr wieder kommt.