Eine 58 Meter lange Pumpe aus Baden-Württemberg soll dabei helfen, den Super-Gau im Atomkraftwerk Fukushima zu verhindern

Reportage: Robin Szuttor (szu)

Fukushima - Ein Bild aus dem Inferno: Die nach einer Explosion teils bis aufs Gerippe entblößte Kraftwerksaußenwand hängt in Fetzen, überall klaffen Löcher, oben ist alles aufgerissen. Wie ein riesiger Insektenfühler ragt ein roter, schlanker Mast 50Meter an der Reaktorruineempor, macht einen Knick in die Waagrechte und lässt nonstop Meerwasser auf die trocken liegenden Brennstäbe regnen. Durch die Unschärfe der Aufnahme scheint die tödliche Strahlung förmlich sichtbar.

 

Ingenieurskunst aus Baden-Württemberg soll nun helfen, den Super-Gau im Atomkraftwerk Fukushima zu verhindern. In diesem Fall ist die zur Wasserspritze umfunktionierte Hightechmaschine der Firma Putzmeister auch ein Zeichen von Hilflosigkeit, bloßes Werkzeug zum Herumwursteln. Der Kampf gegen die Kernschmelze als moderne Zauberlehrlings-Geschichte: alles ist aus dem Ruder, nichts mehr beherrschbar. Am Ende bleibt einem hochtechnologisierten Land wie Japan nichts anderes übrig, als Menschen zu opfern und auf günstige Winde zu hoffen.

Japanische Regierung will die Pumpe aus Aichtal

Gerald Karch, der Geschäftsführer von Putzmeister, sitzt 10.000 Kilometer entfernt in seinem Aichtaler Büro. Auf einem Regal stehen ein Dutzend Modelle von Putzmeistermaschinen. Großmastbetonpumpen, wie sie in Japan eingesetzt werden, als Sonderedition im Minimaßstab. Was in Wirklichkeit passiert, was zurzeit in Fukushima genau vor sich geht, darüber weiß Karch so viel wie jeder andere: nichts. Auch wenn das Unglück ihm in den vergangenen Wochen recht nahe gekommen ist.

Eine Woche nach der Katastrophe am 11.März meldet sich ein Manager der AKW-Betreiberfirma Tepco bei Putzmeister. Die japanische Regierung hat den Kontakt offenbar mit Nachdruck gewünscht. "Wer da aber genau aktiv wurde, ist für uns schwer nachzuvollziehen", sagt Karch. Gemeinsam sucht man nach der schnellstmöglichen Lösung: das ist eine auf 58 Meter Höhe ausfahrbare Betonpumpe, die gerade im Hafen von Yokohama angekommen und für eine Baufirma in Vietnam bestimmt ist. Man einigt sich mit den Vietnamesen, weist die Tepco-Leute zwei Tage in den Betrieb ein, die dann die Maschine in das 300 Kilometer entfernte Fukushima fahren.

160.000 Liter Wasser pro Stunde

Seit 22.März spuckt die Betonpumpe Wasser in Reaktor 4. Der war zum Zeitpunkt des Erdbebens zwar schon abgeschaltet, trotzdem sehen Experten in ihm immer noch mit die größte Gefahr. 160.000 Liter Wasser - drei Mal so viel wie die eingesetzten Feuerwehrgeräte - kann das Aggregat aus Aichtal pro Stunde in den Reaktor pumpen. Dass jeder Tropfen kontaminiert wird, scheint im Moment noch das kleinste Übel. Tepco hat vier weitere Pumpen bestellt. Die erste wurde vergangene Woche im Bauch einer Antonov von Stuttgart nach Japan verfrachtet, die nächste geht am 13. April ins Strahlenbad.

Zwei bis drei Monate dauert die Herstellung einer Pumpe in Aichtal. Die nächste wäre in vier Wochen fertig. So lange kann Japan nicht warten. Die ersten beiden Geräte, jeweils 62 Meter lang, hatte Putzmeister nach der Finanzkrise und dem Zusammenbruch der spanischen Bauindustrie noch als Überkapazitäten auf Lager. Die beiden anderen, mit einem fünfgelenkigen 70-Meter-Arm versehen und damit die weltweit größten überhaupt, sind Leasinggeräte und werden vom Flughafenbau in Atlanta und einem Brückenprojekt in Los Angeles abgezogen. 80 Tonnen wiegt so ein Gigant inklusive zehnachsigem Sattelauflieger mit 500 PS starker Zugmaschine. 

Schwäbische Firma war auch in Tschernobyl dabei

"Unsere M70-5 ist die beste Lösung, die wir anbieten können", sagt Karch. Der Mast des Riesen kann sich ab dem letzten Gelenk 15 Meter waagrecht bis über die Mitte des Reaktorgebäudes schieben. "Direkt darunter lagern offenbar die Brennstäbe", sagt Karch. Eine gezieltere Kühlung der Problemröhren im Abklingbecken ist zurzeit nicht möglich. "Theoretisch können unsere Maschinen auch zähflüssiges Material wie Harz, von dem man jetzt oft liest, in den Reaktor pumpen. Aber wir kennen die Tepco-Pläne nicht."

Klar ist dagegen, dass die Spezialpumpen auch angeschafft wurden, um vielleicht irgendwann das gesamte havarierte Kraftwerk in Beton zu beerdigen. Das kann Putzmeister. Elf schwäbische Pumpen waren es, die vor 25 Jahren den Unglücksreaktor von Tschernobyl in einen Betonsarg einschlossen und über einen 600 Meter langen Tunnel eine Betonplatte unter das Atomkraftwerk gossen. Die sollte das Absinken von verseuchtem Material bis ins Grundwasser stoppen.

Vom Studenten-Betrieb zum Katastrophenhelfer

Putzmeister, der Katastrophenhelfer. Doch was macht die Firma, wenn ihre Apparate gerade keine zerstörten Reaktoren zukleistern oder Brennstäbe kühlen müssen? Was ist das für ein Betrieb, der mit 1000 Beschäftigten und neun Fertigungshallen das Industriegebiet Aichholz dominiert? Angefangen hat alles mit Karl Schlecht, Spross eines Filderstädter Gipsermeisters, dem 1932 der Mörtel quasi schon in die Wiege gelegt wird. Noch als Student gründet er seine Firma, entwickelt 1965 mit dem "Gipsomat" die erste automatische Gips-Verputzmaschine der Welt. Der Höhenflug beginnt - bis zum Weltrekord 2008 am Burj Khalifa in Dubai, dem höchsten Bauwerk der Welt. Putzmeister fördert für den Wolkenkratzer Beton bis in 606 Meter Höhe - "in einem Rutsch", wie Gerald Karch sagt. Die restlichen 200 Meter bis zur Spitze wurden als Stahlkonstruktion verbaut.

Heute ist Putzmeister Weltmarktführer mit 2800 Mitarbeitern, einer halben Milliarde Euro Jahresumsatz, Töchtern auf allen Kontinenten. Die vergangenen zwei Jahre waren Krisenjahre, erstmals mussten Mitarbeiter gehen. Nun scheint das Unternehmen wieder auf festerem Fundament zu stehen. Karl Schlecht hat sich längst aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, schaut aber noch fast jeden Morgen vorbei.

Bei den großen Projekten mit von der Partie

Wo im großen Stil gebaut wird, sind seine Leute dabei: bei der Öresundbrücke, beim Tunnel unter dem Ärmelkanal, bei der Verbreiterung des Panamakanals. Die Brücke über den Colorado River am Hoover Staudamm, mit 323 Meter Spannweite eine der längsten Betonbogenbrücken der Welt, ist auch ein Putzmeisterprojekt. 165 Meter unter New York betonierte Putzmeister die Tunnelschalungen für ein 100 Kilometer langes Trinkwasserstollensystem, eines der größten und teuersten Bauprojekte in der Geschichte New Yorks.

In Birma bauten die Profis und weitere 5000 Arbeiter das gigantische Wasserkraftwerk von Yeywa, allein der 197 Meter hohe Staudamm besteht aus 2,8 Millionen Kubikmeter Beton. Die Sutong-Brücke über den Jangtsekiang, mit 8200 Meter die längste Schrägseilbrücke der Welt, wurde mit Putzmeistermaschinen errichtet. Für den Nagoya-Airport in Japan förderten schwäbische Mammutpumpen neun Millionen Kubikmeter Meeresschlamm an den Tag und schütteten damit 470 Hektar neues Land auf. Der Bau der Eisenbahnverbindung Golmud-Lhasas von China nach Tibet war auch eine Putzmeister-Leistung. Für den mehr als 1000 Kilometer langen Gleisbau auf dem Dach der Welt mussten 286 Brücken und Tunnel gebaut werden. Nebenbei kämpften Mensch und Maschine mit extremer Kälte, Permafrostböden, Orkanen, Sandstürmen, Erdbeben. 

Radioaktive Strahlung kann Kurzschluss verursachen

Wie lange seine Pumpen den Einsatz in Fukushima aushalten, dazu kann Gerald Karch keine Prognose abgeben. Werksgarantie gibt es in diesem Fall jedenfalls nicht. "Das Problem ist die Elektronik: radioaktive Strahlung ionisiert die hoch integrierten Schaltungen. Steigt die Spannung zu hoch an, kommt es zu einer Art Kurzschluss wie bei einer statischen Entladung", sagt der Geschäftsführer. Jetzt tüftelt Putzmeister zusammen mit Tepco und japanischen Kernforschungsexperten an der Ummantelung von Sensoren und Steuerungsteilen. Alle Tschernobyl-Erfahrung nutzt da wenig: die Elektronik heutiger Maschinen ist mit damaliger Technik kaum vergleichbar. Vorsorglich geht mit jedem Pumpenexport auch gleich eine Ladung Ersatzteile raus.

Ein noch größeres Problem ist der Schutz der Fahrerkabinen vor radioaktiver Strahlung. Zwar sind sämtliche Pumpen, die jetzt geliefert werden, mit Videokameras ausgerüstet und fernsteuerbar. Doch der Sattelschlepper, der sie trägt, muss immer noch von Menschenhand an den Reaktor gefahren werden. "Die Japaner müssen uns sagen, wie hoch die Strahlungswerte sind, gegen die sie das Fahrerhaus panzern wollen - dann können wir sagen, was machbar ist. Eine mit tonnenschweren Bleiplatten verstärkte Führerkabine verändert natürlich die Statik der Geräte", sagt Karch. Eine Lösung scheint noch in weiter Ferne. Kurzfristiges Ziel ist jetzt zunächst, die maximale Reichweite der Fernsteuerung von ein paar hundert Metern auf vier Kilometer zu vergrößern. Aber auch vier Kilometer können bei einem kaputten AKW sehr wenig sein. Putzmeister-Mitarbeiter gehen jedenfalls nicht so nah an den Reaktor.

Tepco-Mitarbeiter können rund um die Uhr in Aichtal anrufen

Wie verstrahlt die Geräte nach dem Einsatz sind, ob sie jemals wieder anderweitig eingesetzt werden können, kann Karch nicht einschätzen. "Aber wir werden, auch wenn wir nicht mehr Eigentümer sind, schon darauf achten, was mit ihnen passiert." Die Tschernobyl-Maschinen waren nach dem monatelangen Einsatz im nuklearen Brennpunkt alle unbrauchbar. Eine Luftaufnahme von damals zeigt die Pumpen, die von oben wie kleine weiße Würmer ihren Brei in die Trümmer ausscheiden. Heute lagern sie auf einem riesigen Schrottplatz in der Nähe der Kraftwerksruine. Davon geht Gerald Karch zumindest aus. Damals war er 23 und noch Student.

"Das wichtigste in Fukushima ist jetzt, den geschlossenen Kühlkreislauf wiederherzustellen und mit unserer Hilfe die Zeit bis dahin zu überbrücken. Alles andere ist zweitrangig", sagt er. In Aichtal ist eine 24-Stunden-Hotline für die Tepco-Leute an der Pumpe eingerichtet. In Tokio hat Putzmeister eine kleine Schwesterpumpe aufgestellt. An ihr kann das Personal Reparaturen üben und Probleme durchspielen.

Eventuelle Entschädigungsforderungen müssen die Firmen, deren Pumpen nun in Japan laufen und denen Putzmeister kleinere Ersatzmaschinen zur Verfügung stellt, mit Tepco selbst aushandeln. Putzmeister hält sich da raus, ans Geschäft will man hier nicht denken. Karch verkauft die Pumpen, die auf dem Markt bis zu zwei Millionen Euro kosten, zum Selbstkostenpreis nach Japan. "Wir wollen", sagt er, "an diesem Unglück keinen Cent verdienen."