Eine Mutter muss bei der Geburt im Krankenhaus nicht ihren Namen nennen, wenn sie es nicht will. Die so genannte „Vertrauliche Geburt“ hat aber ihre Tücken, wie ein Fall aus Stuttgart zeigt.

Stuttgart - Seit gut einem Jahr haben Frauen in Notlagen die Möglichkeit, ihr Kind im Krankenhaus zur Welt zu bringen, ohne ihre Identität preisgeben zu müssen. Vertrauliche Geburt nennt sich das Verfahren. Dazu gehört auch, dass an zentraler Stelle ein Umschlag gelagert wird, in dem die Herkunft des Kindes verzeichnet ist. Die vertrauliche Geburt wurde eingeführt, um den Frauen eine geregelte Alternative zur Babyklappe zu bieten.

 

Noch gibt es wenig Erfahrungen mit der vertraulichen Geburt, aber viele Nachbesserungswünsche an den Gesetzgeber. In Stuttgart hat Gertrud Höld von der Schwangerenberatung der Evangelischen Gesellschaft (Eva), bisher einen Fall begleitet, der als vertrauliche Geburt begonnen hat, von dem aber noch nicht klar ist, ob er als solcher auch enden wird – oder ob sich die Frau doch noch für ihr Kind entscheidet. Die Frau meldete sich beim Hilfetelefon „Schwangere in Not“ erst zu einem Zeitpunkt, als die Wehen bereits eingesetzt hatten. Und sie meldete sich mit dem Hinweis, dass sie eine vertrauliche Geburt wünsche und deshalb wissen wolle, was sie tun müsse. „Die Frau hatte an einer Tankstelle die bundesweite Werbekampagne zur vertraulichen Geburt gesehen“, erzählt Gertrud Höld. Die Beraterin gab der Hochschwangeren klare Anweisungen: Sie solle angesichts der weit vorangeschrittenen Wehen einen Notarzt rufen, während der Fahrt aber auf keinen Fall ihre Versichertenkarte zeigen, auch wenn alle darauf bestehen würden. Gemeinsam mit der Frau suchte sie ein Pseudonym, mit dem sie im Kreißsaal und gegenüber den Behörden auftreten sollte. „Die Hochschwangere hat im Rettungswagen gebetsmühlenhaft auf die vertrauliche Geburt hingewiesen und sich nicht beirren lassen“, erzählt Höld.

Das Jugendamt setzt sofort einen Vormund ein

Im Kreißsaal des Robert-Bosch-Krankenhauses sah sich Gertrud Höld einer schwierigen Situation gegenüber. Als Schwangerenberaterin, der der Gesetzgeber in dem Verfahren die Lotsenfunktion zugeschrieben hat, ist sie verpflichtet, die Frau vor der Geburt über die gesetzlichen Vorgaben aufzuklären. „Eine ausführliche Aufklärung war nicht möglich, die Geburt war schon in vollem Gange.“ Sie verabschiedete sich, verabredete sich mit der Frau für den nächsten Tag und nahm ihr das Versprechen ab, sich nicht unbemerkt aus dem Krankenhaus zu schleichen.

Die Frau war tatsächlich noch da. Sie hatte inzwischen ein gesundes Kind zur Welt gebracht, das gleich nach der Geburt von ihr getrennt wurde. „Die elterliche Sorge ruht nach der Geburt. Ein vom Jugendamt eingesetzter Vormund trifft die Entscheidungen“, erklärt die Beraterin. Die Mutter kann das Kind auf Wunsch zwar sehen, aber versorgt wird es auf der Kinderstation. „Die Frau wollte keinen Kontakt zum Kind“, erzählt Höld. Gemeinsam mit der Frau suchte sie einen Vornamen für das Kind und füllte den Herkunftsnachweis aus, für den die Frau ihre Identität genau einmal preisgeben muss, damit das Kind 16 Jahre später erfahren kann, wer seine leibliche Mutter ist. Höld informierte die Frau über die anstehende Adoption und wählte mit ihr eine Vermittlungsstelle aus.

Inzwischen ist es offen, ob die Beraterin den Herkunftsnachweis an das Bundesamt für Familien und zivilgesellschaftliche Aufgaben überhaupt abschicken wird, da die Mutter sich vorstellen kann, ihr Kind doch zu behalten. „Die vertrauliche Geburt räumt diese Möglichkeit ausdrücklich ein“, sagt Höld.

Zum Wohle des Kindes?

Wäre der Stuttgarter Fall nach der reinen Lehre verlaufen, dann wäre das Kind zunächst für etwa acht Wochen in eine Bereitschaftspflegefamilie gekommen und danach in eine Adoptionsfamilie. Die Mutter hätte dann noch etwa ein Jahr Zeit gehabt, ihre Entscheidung zu revidieren, solange, bis die Adoption vom Familiengericht rechtskräftig bestätigt worden ist. „In einem solchen Fall müsste dann das Familiengericht entscheiden, was zu tun ist“, erklärt Karena Weiper-Zindel von der Adoptionsstelle der Stadt Stuttgart. Weiper-Zindel hofft, so einen Fall nie zu erleben. Für die Adoptionsexpertin kommt die vertrauliche Geburt den Frauen zu weit entgegen – zu Lasten der Kinder. „In einem Adoptionsverfahren gibt die Mutter ein Kind üblicherweise acht Wochen nach der Geburt notariell bekundet zur Adoption frei. Mit der Unterschrift ist klar, dass das Kind bei den Adoptiveltern bleibt.“ Nach Ansicht von Weiper-Zindel ist es nicht zum Wohl des Kindes, wenn dieses nach einer längeren Zeit bei den Adoptiveltern wieder herausgerissen werde. Sie hofft, dass das Gesetz entsprechend geändert wird.

Die Adoptionsstelle der Caritas Rottenburg-Stuttgart mit Sitz in Stuttgart hat unterdessen bereits nach einer vertraulichen Geburt im Raum Bodensee ein Kind an Adoptiveltern vermittelt. Auch die Beraterin Sigrid Zwergal findet, dass der Gesetzgeber nicht genug an die Kinder gedacht habe. „Wir haben ein Paar ausgewählt, das viel Gottvertrauen mitbringt und nicht bei jedem Anruf von uns zittert, jetzt das Kind wieder abgeben zu müssen“, so Zwergal.

Viele werdende Mütter sind in höchster seelischer Not

Für Carola Strauß, die Leiterin des Weraheimes und Mitinitiatorin der Stuttgarter Babyklappe, ist die vertrauliche Geburt eine sinnvolle Ergänzung zur Babyklappe, aber kein Verfahren, das diese ersetzen kann. „Viele Frauen sind überfordert, soweit in die Zukunft zu blicken. Sie wollen ihre Identität auf keinen Fall offenlegen.“ Strauß geht deshalb nicht davon aus, dass die Fallzahlen an der Klappe zurückgehen werden. Seit 2002 sind 33 Kinder in der Stuttgarter Babyklappe abgegeben worden, drei waren es im vergangenen Jahr, eines in diesem. Sechs Mütter haben ihre Kinder wieder zurückgeholt.

„Die Frauen, die ihr Kind abgeben, haben das Gefühl, dass ihnen in ihrer Verzweiflung niemand helfen kann.“ Viele würden ihre Schwangerschaft bis zum Schluss verbergen oder verdrängen. „Eine der Frauen, die ihr Kind zurückgeholt haben, war einen Tag vor der Entbindung in einer Apotheke, um sich ein Mittel gegen Blähungen geben zu lassen.“ Strauß ist daran gewöhnt, dass die Babyklappen immer wieder in Frage gestellt werden. Schlimm ist für sie der Vorwurf, es den Frauen zu leicht zu machen, ihr Kind los zu werden. „Keine Frau gibt ihr Kind leichtfertig ab.“

Schwangerenberatungen als Lotsen

Seit Mai 2014 wurden bundesweit 128 vertrauliche Geburten beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben registriert. Dort werden die Herkunftsnachweise der Frauen gesammelt. Mit 16 Jahren können die Kinder auf die Daten zugreifen. In sechs Fällen haben sich die Frauen fürs Kind entschieden.

Den Schwangerenberatungen kommt bei der vertraulichen Geburt eine Lotsenfunktion zu. Sie halten den Kontakt zu den anderen beteiligten Stellen wie Kliniken, Jugendamt, Adoptionsstellen. In Stuttgart gibt es fünf Beratungsstellen für Schwangere: die städtische Beratungsstelle, Pro Familia, den Sozialdienst katholischer Frauen, Donum Vitae und die Schwangerenberatung der Eva. Unter der Nummer 0800/4040020 ist ein kostenloses Hilfetelefon Schwangere in Not 24 Stunden geschaltet.

Seit 2002 besteht die Babyklappe am Weraheim im Oberen Hoppenlauweg, Träger ist die kirchliche Stiftung Zufluchtsstätten in Württemberg. Die Babyklappen werden geduldet, rechtliche Regelungen gibt es nicht. In Stuttgart wurden bisher 33 Kinder abgegeben, in sechs Fällen haben die Mütter ihre Kinder wieder geholt.