Wenn die werdende Mutter an Diabetes erkrankt ist, kann dies schwerwiegende Folgen für das noch ungeborene Kind haben.

Stuttgart - Der Schwangerschaftsdiabetes (Gestationsdiabetes, kurz GDM) zählt zu den häufigsten Komplikationen während der Schwangerschaft. Im Jahr 2010 wurden etwa 24 000 Betroffene diagnostiziert. Bisher blieb die Erkrankung oft unerkannt. Zwar soll der Nüchternblutzuckerwert laut Leitlinie bei der Erstvorstellung beim Gynäkologen gemessen werden, um einen bis dahin unerkannten Diabetes festzustellen. Da dies in den Mutterschaftsrichtlinien nicht steht, wird jedoch nicht jede Schwangere getestet. „Und viele Frauen, die später an Schwangerschaftsdiabetes erkranken, haben keine erhöhten Nüchternblutzuckerwerte“, berichtet Frank Reister, Leiter der Sektion Geburtshilfe am Universitätsklinikum Ulm.

 

Auch der bislang während der Schwangerschaft durchgeführte vierwöchige Streifentest auf Zucker im Urin reicht nicht. „Weniger als ein Drittel aller Schwangeren mit Schwangerschaftsdiabetes hat irgendwann mal Zucker im Urin“, so der Ulmer Geburtshelfer. Diabetesexperten forderten schon lange, das Screening auf Schwangerschaftsdiabetes zu verbessern. Seit März ist nun ein Blutzuckersuchtest mit 50 Gramm Glukose (Glukose-Challenge-Test, kurz GCT) verbindlich als Kassenleistung in die Mutterschaftsrichtlinien aufgenommen. Jede Schwangere wird in Zukunft zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche mit einem GCT getestet, also in der Zeit, während der sich ein Schwangerschaftsdiabetes entwickelt.

Die zu dieser Zeit ausgeschütteten Schwangerschaftshormone wirken nämlich als Gegenspieler von Insulin und führen zu einer verringerten Insulinwirkung und folglich einem Insulinmehrbedarf. Die Bauchspeicheldrüse jener Frauen, die einen Schwangerschaftsdiabetes bekommen, ist nicht in der Lage, das notwendige Mehr an Insulin zu produzieren. Der Blutzuckerspiegel steigt an. Ergibt der Suchtest Blutzuckerwerte ab 135 Milligramm pro Deziliter venösem Blutplasma bis 200 Milligramm pro Deziliter, dann sollte zeitnah zusätzlich ein oraler Glukosetoleranztest (oGTT) in nüchternem Zustand erfolgen. „Ein Schwangerschaftsdiabetes hat kurz- und langfristig Folgen für die Gesundheit von Mutter und Kind“, warnt Frank Reister. Zwar verschwindet er in der Regel nach der Geburt des Kindes wieder. Aber jede zweite betroffene Frau entwickelt in den folgenden acht bis zehn Jahren einen Typ-2-Diabetes – mitunter sind noch höhere Zahlen zu lesen. Auch das Risiko, in einer weiteren Schwangerschaft wieder einen Schwangerschaftsdiabetes zu bekommen, ist stark erhöht. Bereits während der Schwangerschaft kann es dadurch auch vermehrt zu Schwangerschaftsvergiftungen und Frühgeburten kommen. Außerdem treten häufiger Kaiserschnitte auf.

Insulinüberschuss kann das Kind gefährden

Erhöhte mütterliche Blutzuckerwerte lassen jedoch auch den Blutzuckerspiegel des ungeborenen Kindes ansteigen. Die Bauchspeicheldrüse des Ungeborenen produziert dann ebenfalls mehr Insulin. „Der Insulinüberschuss kann indirekt die Reifung des Kindes stören, da es der reifungsfördernden Wirkung des Stresshormons Kortisol entgegenwirkt. Davon betroffen sind zum Beispiel die Leber und die Lunge“, erläutert Gynäkologe Reister. Häufig haben die Neugeborenen ein erhöhtes Geburtsgewicht, was die Notwendigkeit eines Kaiserschnittes erhöht. Zudem leiden sie oft an Unterzuckerung (Hypoglykämie) oder Trinkschwäche. Außerdem haben diese Kinder ein erhöhtes Risiko, in den ersten 20 Lebensjahren Übergewicht, eine Störung des Zuckerstoffwechsels und Bluthochdruck zu entwickeln.

Eine angemessene Behandlung mildert nachweislich die Folgen für Mutter und Kind. „Oftmals reicht bereits eine Diabetesdiät sowie mehr körperliche Aktivität, um die Blutzuckerwerte zu senken“, rät Frank Reister. Sollten die genannten Änderungen des Lebensstils nicht reichen, ist eine Insulintherapie notwendig. Auch wenn sich die Blutzuckerwerte nach der Geburt des Kindes zumeist wieder normalisieren, ist es im Hinblick auf das erhöhte Risiko für eine spätere Diabeteserkrankung wichtig, dass die Betroffenen die neuen Gewohnheiten beibehalten und gegebenenfalls auch ihr Gewicht reduzieren. „Dadurch kann das Risiko für einen Typ-2-Diabetes deutlich abgesenkt werden“, sagt der Mediziner.