"Der Einsatz ist völlig chaotisch gelaufen“, das hieß es am Mittwoch vor dem Amtsgericht oft. Ein Polizist musste sich dort wegen eines Schlagstockeinsatzes am Schwarzen Donnerstag verantworten. Er wurde wegen Körperverletzung im Amt zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung verurteilt.  

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Nur in einem Punkt sind sich die Verfahrensbeteiligten weitgehend einig gewesen. „Der Einsatz ist völlig chaotisch gelaufen“, das hieß es am Mittwoch vor dem Amtsgericht oft. Ein Polizist musste sich wegen eines Schlagstockeinsatzes im Schlossgarten am 30. September 2010, dem Schwarzen Donnerstag, verantworten. Er hatte einen Mann, der auf eine laufende Polizeigruppe zugerannt war, zunächst mit dem Stock weggeschoben und ihm dann noch einen Schlag versetzt. Der Polizist wurde wegen Körperverletzung im Amt zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, sie ist zur Bewährung ausgesetzt. Zudem muss er 3000 Euro an gemeinnützige Organisationen zahlen. Der Verteidiger forderte einen Freispruch, weil sein Mandant sich bedroht gefühlt und den Mann deswegen weggedrängt habe. 

 

An jenem Donnerstag vor zwei Jahren waren Tausende in den Park gekommen, um gegen die Baumfällarbeiten der Bahn für den Bau des Grundwassermanagements zu protestieren. Der Zwischenfall, über den nun vor Gericht gestritten wurde, ereignete sich zu einem sehr frühen Zeitpunkt, noch bevor die Polizei mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Pfefferspray die Masse der Demonstranten zurückzudrängen versuchte, wobei etliche Menschen verletzt wurden. Die „Einsatzmittel des unmittelbaren Zwangs“ waren zu dieser Zeit, gegen 10.50 Uhr, von der Einsatzleitung noch nicht freigegeben.

Parkschützer-Alarm

Der 49-jährige Mann, den der Schlag traf, kam vom Amtsgericht, wo er als Anwalt zu tun hatte. Entgegen seiner Gewohnheit stieg er nicht am Hauptbahnhof aus der Stadtbahn aus, sondern schon an der Haltestelle Staatsgalerie. Da bekam er mit, dass im Schlossgarten Unruhe herrschte. Es war kurz nach 10.30 Uhr, die Parkschützer hatten über Handy die Meldung verschickt, dass die Polizei unterwegs war, um den Baustellenbereich abzusperren. Dieser Alarm hatte auch eine Schülerdemo gegen Stuttgart 21 erreicht, die durch die Lautenschlagerstraße zog. Im Nu strömten die Jugendlichen in den Schlossgarten. „Ich wollte nachschauen, ob meine Tochter bei der Demo dabei ist“, sagte der

Als er sah, wie eine Polizeigruppe in den Park rannte, lief er in die gleiche Richtung. „Sie rannten auf einen besetzten Baum zu, und ich dachte, da passiert jetzt was.“ Dieses Rennen in die gleiche Richtung nahm der Polizeibeamte von der Göppinger Bereitschaftspolizei als Bedrohung wahr: „Ich dachte, der rennt gleich einen von uns um“, sagte der 33-jährige, der als Gruppenführer für sieben Kollegen zuständig war. Die Gruppe war allein auf weiter Flur: Die Beamten sollten mit anderen Kollegen eine Kette bilden. Die Verstärkung aus Bayern kam aber nicht, so dass die Gruppe allein auf der Wiese im Park stand.

Einen weiteren Schlag versetzt

„Ich habe den Mann mit meinem ,Räum- und Abdrängstock’ zunächst zur Seite geschoben“, sagte der Beamte. Da der Mann dann wieder auf ihn zugekommen sei, habe er im einen weiteren Schlag versetzt, „ich meine, ich habe den Aktenkoffer damit getroffen.“ Das glaubte ihm die Richterin nicht. „Das schöne an diesem Fall ist, dass alles videografiert ist“, sagte sie. Ein Amateur hielt den Zwischenfall fest. Erst als er erfahren hatte, dass diese Aufnahmen existieren, erstattete der Anwalt Anzeige. Ursprünglich hätte der 33-Jährige für die Körperverletzung eine Geldstrafe von 3600 Euro zahlen sollen, bestehend aus 90 Tagessätzen. Weil er dagegen Einspruch erhob, kam es zur Verhandlung. Die Staatsanwältin beantragte in ihrem Plädoyer eine doppelt so hohe Strafe von 180 Tagessätzen. Sie ging dabei von einem minderschweren Fall von Körperverletzung aus, weil die Zustände im Schlossgarten so chaotisch gewesen seien. Die Richterin teilte diese Einschätzung nicht. Für sie ist es kein minderschwerer Fall gewesen, deswegen kam sie zu der achtmonatigen Freiheitsstrafe. „Sie hätten ja auch stehen bleiben oder ausweichen können“, sagte sie. Der Beamte habe „die Grenzen, an die Sie sich gerade als Polizeibeamter halten müssen, nicht eingehalten.“

Der Stockschlag und die möglichen Folgen

Vorbestraft: Eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von bis zu 90 Tagessätzen wird nicht in das Bundeszentralregister
eingetragen. Der Verurteilte darf sich weiterhin als unbestraft bezeichnen. Hätte der Polizist im vorliegenden Fall den Strafbefehl akzeptiert, hätte diese Regelung für ihn gegolten. Wird jedoch das Urteil rechtskräftig, gilt der Beamte als vorbestraft.

Konsequenzen: Bei im Amt begangenen Straftaten müssen Polizeibeamte mit einem Disziplinarverfahren rechnen. Darüber entscheidet die jeweilige Dienststelle, im vorliegenden Fall also die Bereitschaftspolizei Göppingen, sobald das Urteil rechtskräftig ist. Ab einem Strafmaß von einem Jahr Freiheitsstrafe verliert ein Polizeibeamter seinen Beamtenstatus.

Schwarzer Donnerstag: Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ermittelt nach wie vor gegen mehrere Polizeibeamte – unter ihnen auch Wasserwerferfahrer – wegen des Einsatzes am 30. September 2010. Bisher wurde erst ein Polizist wegen der Verwendung von Pfefferspray zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Beamte hat den Strafbefehl über 6000 Euro akzeptiert.