Am Mittwoch ging das Verwaltungsgerichtsverfahren über den Polizeieinsatz am „Schwarzen Donnerstag“ im Stuttgarter Schlossgarten 2010 in eine neue Runde. Der Vorsitzende Richter wertete die Demo als Versammlung – damit wäre der Polizeieinsatz rechtswidrig.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Die Richter des Verwaltungsgerichtes haben am Dienstag klare Worte gefunden: Ihrer ersten Einschätzung zufolge ist der Polizeieinsatz vom 30. September 2010 rechtswidrig gewesen. Das gelte auch für den Einsatz der Wasserwerfer und das Vorgehen gegen Demonstranten mit Schlagstöcken und Pfefferspray, sowie für erteilte Platzverweise. Denn die Juristen schätzten die Ansammlung der Stuttgart-21-Gegner an jenem Tag als Versammlung ein, legte der Vorsitzende Richter Walter Nagel dar.

 

Es war den Richtern schon am ersten Verhandlungstag schwergefallen, über den „Schwarzen Donnerstag“ zu sprechen, ohne das Wort Versammlung in den Mund zu nehmen. Beim zweiten Termin der Verhandlung über die Rechtmäßigkeit des aus dem Rider gelaufenen Polizeieinsatzes machten sie sich nun nicht mehr die Mühe, das Wort zu vermeiden oder gar mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft zu malen, wenn sie es dennoch aussprachen. In dem Verfahren klagen sieben Demonstranten, die der Ansicht sind, dass der Einsatz nicht rechtmäßig war.

Es ist noch kein Urteil, was die Richter kundtaten. Doch ist es am Verwaltungsgericht üblich, dass die Kammer ihre Sicht der Dinge darlegt und den Parteien Gelegenheit gibt, dazu Stellung zu nehmen.

Unterscheidung zwischen Versammlung und Blockade

Die Kammer erläuterte ihre Einschätzung mit Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses unterscheide genau zwischen Versammlungen und Blockaden. Eine Versammlung habe das Anliegen, der öffentlichen Meinungsbildung zu dienen, sagte der Vorsitzende Richter, Walter Nagel. Das sehen die Richter bei den Protesten im Schlossgarten als gegeben. Den Teilnehmern sei es nicht darum gegangen, die Ankunft der Polizei im Park zu blockieren, sondern gegen Stuttgart 21 und den Beginn der Bauarbeiten zu demonstrieren. Die Blockade der Polizeifahrzeuge, welche die Beamten mit Schlagstöcken, Wasserwerfern und Pfefferspray auflösen wollten, könne demnach auch unter den Begriff der Versammlung fallen, so Nagel. Sie habe daher unter dem Schutz des Versammlungsrechts gestanden. Die Polizei hätte gegen einzelne Straftäter, nicht aber gegen die ganze Versammlung vorgehen können, so der Richter. Es gebe nur einen Fall, in dem das Bundesverwaltungsgericht eine Blockade nicht als Versammlung gewertet habe. Das sei nur dann der Fall, wenn die Blockierer eigene Interessen durchsetzen wollten.

Nagel und seine Kollegen sehen zudem den Einsatz der Wasserwerfer als unverhältnismäßig an. Der Vorsitzende erklärte diese Einschätzung mit einer Lektion, die er als 15 Jahre alter Lehrling im Stuttgarter Rathaus gelernt habe. Damals habe er sich schwer getan, den Begriff der Verhältnismäßigkeit zu verstehen. Man habe ihm erklärt, dass man nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen dürfe. Dieser Vergleich sei ihm immer wieder durch den Kopf gegangen, wenn er sich mit dem Einsatz im Schlossgarten befasste: „Da waren Rentner und Jugendliche. Da wurde mit Kanonen auf Spatzen geschossen.“ Die Polizei habe die höchste Stufe des Wasserstrahls auf die Demonstranten gerichtet. Das sei unverhältnismäßig gewesen.

Der Richter gab dem Land beziehungsweise dessen Anwalt und einem Vertreter des Innenministeriums noch eine Gelegenheit, einzulenken: Ob man die Fehler nicht anerkennen wolle, die damals geschahen. Auch deswegen, weil nun einer der schärfsten Kritiker des Einsatzes, Winfried Kretschmann (Grüne), Regierungsverantwortung trage. Der Anwalt lehnte ab. Das Land wolle die Streitfrage mit einer Gerichtsentscheidung geklärt wissen. Diese verkündet die Kammer am Dienstag, 18. November.

Eine Multimedia-Reportage zum fünften Jahrestag des "schwarzen Donnerstag" finden Sie hier!