Am 30. September 2010 sind bei einem gewaltsamen Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten Hunderte Demonstranten verletzt worden. Am Freitagabend haben Menschen an den Schwarzen Donnerstag erinnert.

Der Schwarze Donnerstag, der Polizeieinsatz am 30. September 2010, bei dem im Stuttgarter Schlossgarten Sicherheitskräfte aus ganz Deutschland mit Wasserwerfern gegen S-21-Gegner vorgegangen waren, ist auch zwölf Jahre nach den Ereignissen nicht vergessen. Mit einer Protestkundgebung erinnerten am Freitagabend vor dem Hauptbahnhof mehrere Hundert Demonstranten an das damalige Geschehen. An der Kundgebung nahm auch der 78-jährige Dietrich Wagner teil, der bei dem Polizeieinsatz schwerste Augenverletzungen erlitt.

 

Im Leben von jedem gebe es Tage, an denen sich die Zeit teile in ein Davor und ein Danach, sagte die Theologin und Stadträtin Guntrun Müller-Enßlin bei ihrer Rede vor den Demonstranten. „Der 30. September 2010 war so ein Tag.“ Die Ereignisse um den Schwarzen Donnerstag, bei dem mehrere Hundert Demonstranten verletzt worden seien, bezeichnete Müller-Enßlin als „zivilisatorischen Rückfall“. Der ehemalige Richter Dieter Reicherter berichtete auf dem teilweise gesperrten Arnulf-Klett-Platz von seiner Einsichtnahme in lang geheim gehaltene Akten. Unter dem damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) sei „ein Klima der Denunziation, der Überwachung und Bespitzelung entstanden“. Dieter Reicherter bezeichnete die Vorgänge im Herbst 2010 als „Rechts- und Verfassungsbruch“.

Direkt im Anschluss an die Demonstration vor dem Hauptbahnhof diskutierte dann im Stadtpalais der Leiter des Museums, Torben Giese, mit dem stellvertretenden Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, Reinhold Weber, über das unmittelbare mediale und politische Echo, das der Schwarzen Donnerstag auslöst hatte.

Das Ereignis wirkt bis heute bundesweit nach

Giese betonte, dass mit Blick auf die Nachrichten, die noch am Nachmittag des 30. September 2010 auf den Internetportalen der regionalen und bundesweiten Zeitungen zu lesen waren, auffalle, wie dezidiert sich zu diesem Zeitpunkt bereits Politiker aller Parteien zu dem Polizeieinsatz äußerten. Die raschen politischen Reaktionen sieht Weber in Verbindung zu den damals anstehenden baden-württembergischen Landtagswahlen. „Der politische Druck war enorm“, sagte Weber.

Bemerkenswert ist nach Ansicht der Historiker auch, dass bereits mit der Berichterstattung am frühen Abend des 30. Septembers die Legitimation des gewaltsamen Einsatzes an Glaubhaftigkeit eingebüßt habe. Um 18.05 Uhr, so berichtete Torben Giese, sei an diesem Tag der Beitrag eines Online-Portals mit der Überschrift „Schülerdemo endet am Wasserwerfer“ erschienen. Mit dem Wissen, dass sich der Polizeieinsatz auch gegen Schüler und Schülerinnen gerichtet habe, sei in der öffentlichen Wahrnehmung die „moralische Schuld“ auf die Seite der Polizei und der politisch Verantwortlichen gewechselt. Dies sei ein „Schlüssel“ für das, so Giese, was später dann passieren sollte.

Der Historiker Reinhold Weber betonte in diesem Zusammenhang, dass die politisch Verantwortlichen damals nicht verstanden hätten, wie breit die Protestbewegung gegen S 21 war und welche Folgen sich daraus ergeben würden. Torben Giese interpretierte die Geschehnisse deshalb gar als „Scharnierpunkt“, an dem die repräsentative Demokratie „ihre Selbstverständlichkeit verloren hat“. Es war ein „Initialpunkt“, bestätigte auch Weber, „der das Verhältnis zwischen Bürgergesellschaft und Regierenden infrage stellte“. Die Ereignisse von damals wirkten bis heute bundesweit nach.