Minister Peter Hauk (CDU) will und muss den Tierschutz in der Schweinehaltung verbessern. Er fordert aber eine Übergangsfrist von 20 Jahren für die Bauernhöfe.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Boxberg - Die Schweine in Boxberg (Main-Tauber-Kreis) haben es so schön wie selten welche: In der Aufzuchtstation der Landesschweinezuchtanstalt dösen die Ferkel in einer Höhle, in der es 32 Grad warm ist. Sie dürfen mit Wonne im Stroh wühlen und haben einen Auslauf an der Sonne. Statt der gesetzlich vorgeschriebenen 4,5 Quadratmeter für eine riesige Muttersau und ihre bis zu 15 Ferkel gönne man den Tieren in der Boxberger Zuchtanstalt (LSZ) 12,5 Quadratmeter, sagt deren Leiter Hansjörg Schrade. In dem Bildungs- und Forschungszentrum versucht man täglich die Quadratur des Kreises: Wie soll man Schweine zugleich tiergerecht, umweltgemäß, im Sinne des Verbrauchers und wirtschaftlich halten?

 

Agrarminister Peter Hauk (CDU) hat nun bei der LSZ seine Ideen zum Tierschutz in der Schweinehaltung vorgestellt – ein Thema, das die Landwirte wegen einer aktuellen Gerichtsentscheidung umtreibt. Tatsache ist eben immer noch: Muttersauen dürfen fast die Hälfte ihres Lebens in sogenannten Kastenständen gehalten werden, wo sie sich nicht umdrehen können und sollen. Männliche Ferkel können und werden noch bis zum 1. Januar 2019 ohne Betäubung kastriert. Oft werden die Ringelschwänze abgeschnitten. Und die Haltung auf Gitterböden, ohne Stroh, ist die Regel. Während der Mast stehen einem Schwein 0,75 Quadratmeter zu.

Landwirte wollen die Schweine vor Verletzungen bewahren

Die Bauern tun das ganz sicher nicht, weil sie gerne Tiere quälen – im Gegenteil, sie fühlen sich selbst gequält und wollen die Tiere vor Schaden bewahren. Der Fleischpreis sei im Keller, die globale Konkurrenz gewaltig und die Kosten stiegen laufend, sagt Marco Eberle vom Landesbauernverband: „Fleischlieferanten aus Dänemark und den Niederlanden sind sehr aggressiv auf dem Markt.“ Seit Jahren gibt es auch in Baden-Württemberg eine Konzentration der Betriebe. Hintergrund: Nur wer wächst und Kosten spart kann überleben.

Zudem argumentieren die Landwirte selbst mit dem Tierschutz. Muttersauen kommen in den Kastenstand, weil sie in der Rauschzeit aggressiv sind und andere Tiere verletzen könnten; und nach dem Wurf könnten sie Ferkel mit ihrem Gewicht erdrücken. Schwänze werden kupiert, weil die Tiere sie sich sonst gegenseitig abfressen: „Wir wollen ein Blutbad im Stall verhindern“, so Eberle. Und Ferkel werden kastriert, weil Eberfleisch einen starken Eigengeruch hat und nicht gekauft wird – und weil Eber schwierig zu halten sind. Laut Marco Eberle ist die gängige Praxis derzeit: Die Ferkel werden unbetäubt kastriert, aber sie erhalten Schmerzmittel. Wie man bis 2019 ein neues Verfahren einführen will, das praktikabel ist und ohne hohe Tierarztkosten auskommt, ist selbst für den Experten Eberle ein Rätsel. Eine neue Immunotherapie wird erwogen. Züchtungen aber, bei denen das Fleisch weniger riecht, gibt es bisher nicht.

Ein Urteil stellt den Kastenstand in Frage

Nun setzt ein Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg die Bauern zusätzlich unter Druck: Ein Kastenstand im Deckzentrum müsse mindestens so hoch wie das Schultermaß des Schweins sein und so breit, dass es seine Füße ohne Behinderung ausstrecken kann. Der Bund ist deshalb dabei, seine Nutztierhaltungsverordnung zu überarbeiten. Hessen hat sich bereits festgelegt: Wer künftig vom Veterinäramt kontrolliert werde, müsse innerhalb eines Jahres ein neues Konzept zur Gruppenhaltung der Sauen vorlegen.

Peter Hauk will in Baden-Württemberg einen anderen Weg gehen. Mehr Tierschutz sei der Trend der Zeit, sagt Hauk, und darauf müssten sich die Bauern einstellen: „Der Aufenthalt in den Kastenständen muss reduziert werden.“ Diese Mahnung ist schon viel für einen Minister, der sich sonst bedingungslos vor seine Landwirte stellt. Aber: Man brauche, wie das Österreich schon festgelegt habe, eine Übergangszeit von 20 Jahren. Denn sonst geschehe das Gleiche wie vor einiger Zeit beim Käfigverbot für Hühner: Viele Halter seien schlicht ins Ausland abgewandert – der Verbraucher habe jetzt ein gutes Gefühl, weil sein deutsches Frühstücksei aus Freilandhaltung stamme; es sei ihm aber egal, dass die gewaltige Menge an Flüssigei unter schlechten Bedingungen im Ausland produziert werde. Doppelmoral nennt Hauk das. Mit langen Fristen könne man verhindern, dass die deutschen Schweinezüchter kaputt gingen. Die LSZ hat jetzt 365 000 Euro vom Land erhalten, um Alternativen zum Kastenstand zu erforschen.

Tierschützer fordern neues Haltungssystem

Es gibt diese Alternativen schon, wie Hansjörg Schrade gerne zeigt. In offenen Ställen mit viel Platz, Spielzeug, Stroh und Rückzugsecken, ist die Aggressivität der Schweine geringer und die Zahl der geborenen Ferkel höher. Eine Haltung in Gruppen ist deshalb, von wenigen Situationen abgesehen, ohne Bisse und Rangkämpfe möglich. Doch das kostet Platz, Geld und Personal – der normale Bauer kann das kaum verwirklichen. Viele Halter ärgern sich deshalb sogar über die LSZ, weil den Bürgern dort Möglichkeiten vorgegaukelt würden, die nur Visionen seien. So aber werde der Tierhalter zum Fortschrittsverweigerer abqualifiziert, schimpft ein Leser in der „Agrarzeitung“: „Wenn der derzeit eingeschlagene Weg nicht ganz schnell verlassen wird, gibt es bald keine relevante Schweinehaltung mehr“, schreibt er. Schrade hält dagegen: „Wenn die Gesellschaft eine bessere Haltung will, dann muss sie auch mehr dafür bezahlen.“

Martina Klausmann vom Tierschutzverband Baden-Württemberg sieht das ähnlich. Sie glaubt, dass die deutschen Bauern sich abkoppeln müssten vom internationalen Fleischpreis, diesen Wettbewerb könnten sie sowieso nicht gewinnen: „Mehr Qualität und mehr Tierschutz – das muss die Linie sein“, sagt Klausmann. Mit dem derzeitigen Weg, immer mehr Schweine pro Betrieb zu halten, laufe man dagegen „mit Karacho an die Wand “. Der Grundsatz sei für sie klar: „Wir müssen nicht die Tiere dem Haltungssystem anpassen, sondern die Ställe an die Tiere.“

Seit 1961 hat sich die weltweite Produktion von Fleisch fast verfünffacht auf 320 Millionen Tonnen. In Deutschland wurden 2016 knapp 60 Millionen Schweine geschlachtet. Baden-Württemberg ist das Bundesland mit dem viertgrößten Bestand an Schweinen und Ferkeln in Deutschland.