Der Stuttgarter Osten bekommt einen rosa Farbtupfer. In den Gemäuern des alten Schlachthofs eröffnet jetzt ein Schweinemuseum.

Stuttgart - Der größte Saustall der Welt zieht um. Auf den Umzugskartons steht nicht "Küche", "Bad" oder "Wohnzimmer", sondern "Sparschweine mit Zierschleife" oder "Bunte Sau". Seit einigen Wochen rollen die Umzugswagen vor das neue Schweinemuseum im Alten Schlachthof.

Sie haben knapp siebzig Kilometer zurückgelegt von ihrer alten Museumsheimat in Bad Wimpfen an der Burgenstraße bis in den Stuttgarter Osten in ein recht unromantisches Gewerbegebiet, das von Samstag an um eine Ausstellungsattraktion bereichert wird. Noch trocknet die Farbe an den Wänden der einstigen Jugendstilvilla, noch brüllen die Bohrer in dem benachbarten Biergarten, und der Kopf eines Plüschferkels ragt aus einer der Kisten heraus.

Im Osten heißt es künftig: nächste Ausfahrt Miss Piggy. Damit geht für Erika Wilhelmer ein Traum in Erfüllung, für dessen Verwirklichung sie fast zwei Jahrzehnte lang hartnäckig gekämpft hat. Die Geschichte vom Schweinemuseum in Stuttgart ist so windungsreich wie ein Ringelschwänzchen, weil beileibe nicht jeder Lokalpolitiker davon überzeugt war, dass dieser grelle Farbtupfer der Stadt guttun würde.

"Meine Mutter ist ein Markenzeichen"


Hinter Erika Wilhelmer quiekt es. Die 70-Jährige steht mit ihrem Sohn Michael vor einer in sattem Walddunkelgrün gestrichenen Wand in einem der 28 Themenräume des Museums. Das Grunzen aus den Lautsprechern steigert sich zu einem eindringlichen Tremolo, während die Wilhelmers die Fortschritte in ihrem rosafarbenen Reich begutachten. Mutter und Sohn trennen nicht nur dreißig Jahre Altersunterschied, die beiden sind auch optisch ein ungleiches Paar: Er trägt die Haare seriös zurückgekämmt im Naturton, sie punktet hingegen mit einem kräftigen Pumuckl-Orange; er kommt in Jeans und sportlichem grauem Sakko zum Ortstermin, sie trägt ein orangefarbenes Tuch und darauf farblich abgestimmte Strümpfe.

Der 40-jährige Michael Wilhelmer, der inzwischen den Ton angibt im familiären Gastrobetrieb, erinnert sich noch genau an den Moment, als er seine Mutter vor 13 Jahren erstmals in deren orangefarbener Phase erlebte. "Ich kam in die Weinstube, sah meine Mutter und erschrak." Sie hatte sich den Farbton bei einer Bekannten abgeschaut und weigerte sich beharrlich, ihrem Sohn zu versprechen, dass alles nur ein kurzfristiger Scherz sei. "Ich hatte anfangs allergrößte Probleme mit ihrem Outfit", sagt er. "Ich war nie fürs Normale, ich habe mir immer meine eigene Welt geschaffen", sagt sie. Inzwischen sieht der Sohn die mitunter skurrilen Eigenheiten seiner Mutter gelassen. "Sie ist ein Markenzeichen, ein Original in der Stuttgarter Gesellschaft." Er selbst ist nicht so flippig, seine Wohnung gänzlich schweinefrei.

Im Alten Schlachthof, der anno 1909 erbaut und im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, regiert die Sau in allen nur denkbaren Größen und Farben: Hier findet sich die Metzgerei im Puppenstubenformat, gleich nebenan kugeln sich die Ferkel vergnügt über die Glasfront eines Spielautomaten. Die Borstentiere erleben auch in den mehr als tausend Büchern, die Erika Wilhelmer in den vergangenen Jahrzehnten gesammelt hat, ihre Abenteuer. In dem Themenraum "Schwein global" können die Besucher balinesische Masken neben niederländischen Porzellanschweinen mit aufgemalten Windmühlen bewundern.

Kunst trifft Kitsch im Schweinemuseum


Das Schweinemuseum funktioniert nach dem "K.u.K."-Prinzip: Kunst trifft auf jede Menge Kitsch. In den vergangenen Tagen ist so manche schöne Scheußlichkeit aus den Containern des Umzugsunternehmens ans Tageslicht gekommen. Die Schaukelschweine im ersten Stock dämmern indes noch friedlich vor sich hin, in bester Gesellschaft ihrer Artgenossen, die Salzstreuer, Kartenspiele, Aschenbecher, Korkenzieher und Rauchverzehrer verzieren. Die Fachfrau Erika Wilhelmer bezeichnet diese Exemplare als "Funktionsschweine".

Die Stuttgarter Agentur Extrastern hat sich der Herausforderung gestellt, den Wildwuchs von 41000 Sammelstücken aus dem Besitz von Erika Wilhelmer in einer Ausstellung so zurückzuschneiden und zu ordnen, dass kein Chaos entsteht.

Im Museum wird ein historisches Bild zu sehen sein, das die Metzger im Alten Schlachthof in Stuttgart zeigt - getreu dem Spruch "Das Ende des Schweins ist der Anfang der Wurst". Der Besucher erfährt, wie der Mensch das Schwein vor Tausenden von Jahren aus dem Wald lockte, mit Abfällen anfütterte und bald zum Fressen gern hatte. Die Schweineschau erzählt eine tierische Kulturgeschichte, die auch hässliche Kapitel hat: Schweine werden mit Medikamenten gemästet, fallen der industriellen Massentierhaltung zum Opfer und geraten als Überträger von gefährlichen Krankheitserregern in Verdacht.

Erika Wilhelmer hat Schwein im Leben


Erika Wilhelmer gefallen die heiteren Seiten besser. "Schweine sind witzig und eigensinnig", sagt sie und nestelt an einer Goldkette, an der ihr Lieblingstier als Anhänger baumelt. Sie geht durch das Museum, vorbei an einer Ahnengalerie, in der das "Schwäbisch-Hällische Modeschwein" gewürdigt wird, vorbei am stets wildschweintollen Obelix, an zahlreichen Miss Piggys und einem Hinweis auf die erste Folge von "Schweine im Weltall" in der "Muppet-Show".

Erika Wilhelmer sieht sich mit Kennerblick Teile ihrer Sammlung an, sorgt sich zwischendurch darum, ob die Mitarbeiter auch vorsichtig genug mit den zerbrechlichen Motiveiern umgehen und gelangt schließlich in den Tresorraum, wo sich der Betrachter hinter einer nachgebauten Panzertür einen ganzen Armee von Sparschweinen hinter Glas gegenübersieht: "Da fehlen aber einige!"

Die Wilhelmers hoffen darauf, dass ihr Stuttgarter Neuschweinstein ordentlich was abwirft. Das Familienunternehmen betreibt das Stäffele und die Ampulle, Michael Wilhelmer mischt beim Aer-Club mit und betreibt seit dem vergangenen Jahr mit der "Schwabenwelt" sein eigenes Zelt auf dem Cannstatter Volksfest. Mit dem Alten Schlachthof steigt das Duo jetzt in die Themengastronomie ein.

Ihr Geld wollen sie nicht mit dem Museum, sondern mit dem Lokal und der Gartenwirtschaft verdienen. Was sie in den beiden oberen Stockwerken zeigen, kommt im Erdgeschoss auf den Tisch: Spanferkel, Krustenbraten und ein Gulaschkarussell mästen künftig das familieneigene Konto. In die Renovierung des denkmalgeschützten Gebäudes hat das Gastronomieunternehmen 3,2 Millionen Euro investiert.

"Eine Wohnung ganz in Schwein"


Die Schweine sind Erika Wilhelmer in den vergangenen Jahren fast über den Kopf gewachsen. Dabei fing alles ganz harmlos an: Vor fast 30 Jahren lernte die Wirtin eine in Deutschland lebende Amerikanerin kennen, "deren Wohnung ganz in Schwein war". Selbst das Butterdöschen hatte einen Ringelschwanz, und wenn Gäste kamen, legte die Frau ihre Beine bequem auf ein ledernes Ferkel. Erika Wilhelmer war infiziert. Seitdem sammelt sie einfach alles Säuische, fotografiert jedes neue Stück, katalogisiert es im Computer, lässt sich ganze Sammlungen von anderen Schweineverrückten vermachen und kommt auch im Urlaub nie an Neuerwerbungen vorbei.

Bis Samstag soll jede Sau endgültig in dem Museum gelandet und ihren Platz gefunden haben. Eine Blasmusikkapelle wird aufspielen, wenn Mutter und Sohn gemeinsam das rosa Band zur Eröffnung durchschneiden. Man kann davon ausgehen, dass den Gästen bei den Reden die Schweinemetaphern nur so um die Ohren fliegen werden.

Auch für die sprachlichen Verwurstungen des Tiers gibt es im Museum einen eigenen Themenraum: "Sauklaue, Schweinepriester, Schweinsgalopp, Sauhund, gesengte Sau". Erika Wilhelmer nickt anerkennend. "Dem Schwein", sagt sie, "haben wir wirklich sehr viel zu verdanken."