Skitouren rund um Davos sind auch für Anfänger möglich. Abseits des Pistentrubels ist das Naturerlebnis besonders intensiv.

Davos - „Don’t be gent, it’s a rent“, sagt Marco Benz mit einem verschmitzten Lächeln. Langsam schiebt er seine Skier über die Geländekante, hinter der der sanfte Hang in eine schroffe, von alten Baumstümpfen gesäumte Buckelpiste übergeht. Das Wortspiel heißt frei übersetzt „Stell dich nicht so an, es ist ja sowieso nur ein Leihski“. Englische Skitouristen benutzen ihn mit Vorliebe, wenn es irgendwo in einer Tiefschneeabfahrt haarig wird und man besser darauf achten sollte, sich selbst und nicht das Material zu schonen. Und die Kante, an der der 30-jährige Bergführer jetzt tastend seine Skier nach vorn schiebt, ist so eine Stelle. Wie ein Abfahrtsläufer im Starthäuschen legt Benz seinen Oberkörper nach vorn und kippt dann langsam in den Hang. Erst nach rechts, dann nach links reißt er die Skier, mitten durch das unwegsame Gelände, an dessen Rand im Sommer Wanderer Heidelbeeren pflücken. Sekunden später ist er zwischen den dicht stehenden Fichten und Wurzelblöcken verschwunden. Wer im Davoser Land auf Skitour geht, sollte mit seinen Kräften haushalten.

 

Nicht selten kommt nämlich die schwierigste Stelle ganz zum Schluss der Tour. Dabei ist die Region im schweizerischen Kanton Graubünden eigentlich für ihren in alpinen Maßstäben eher sanften Charakter bekannt. Die Gipfel sind hier nicht ganz so schroff wie in der weiter nördlich gelegenen Silvretta oder im Engadin im Süden. Wer vom Tal aus aufsteigt, stößt nicht selten auf kleine, urige Weiler, die, vor Jahrhunderten gegründet, heute noch bewirtschaftet sind. In manchen von ihnen wird auch im Winter die Schweizer Flagge gehisst - ein untrügliches Zeichen, dass innen ein Vesper auf die Bergsteiger wartet. Heute führt Benz eine Gruppe auf den Chummerhubel. Das Wetter ist mäßig. Eine 20 Zentimeter dicke Neuschneedecke hat sich über den vereisten Altschnee gelegt, und es schneit immer noch weiter.

Die meisten Gipfel sind locker zu erreichen

Die Landschaft oberhalb des Landwassertals südlich von Davos verschwindet in einem milchigen Weiß, hin und wieder durchbrochen von aus dem Dunst auftauchenden Bäumen und Büschen. Erst geht es auf den Steigfellen der Skier über verschneite Waldwege in Kehren nach oben; dann kommen Almen in Sicht, bevor sich nach Osten sanfte Hänge öffnen. Mit knapp 850 Meter Höhenunterschied gehört die Tour auf den „Hubel“, wie Benz den Berg nennt, nicht zu den ganz großen Routen in der Region. Die richtig hohen Berge wie das Flüela Wisshorn oder das Älplihorn, beide über 3000 Meter hoch, sind heute nicht drin. Zu diesig ist die Sicht, zu unabwägbar die Schnee- und Lawinensituation. Der Chummerhubel mit seinen gut 2400 Metern ist dagegen charakteristisch für dieses Stück der Schweiz. Wer es als Skitourengeher erkunden will, muss sich nicht vor quälend langen Aufstiegen fürchten. Die meisten Gipfel sind vom knapp 1600 Meter hoch gelegenen Davos aus in einem Vormittag locker zu erreichen.

500 bis 800 Höhenmeter - für Geübte bedeutet das Gehzeiten von zwei bis drei Stunden - und man kann unter dem Gipfelkreuz sein Butterbrot auspacken. Bei einigen Touren ist auch Liftunterstützung möglich - der vielen Skigebiete wegen. Kurze Aufstiege, lange Abfahrten, so beschreiben Führer denn auch das Gebiet um den Schweizer Kurort. Besonders in schlechten Skitourenwintern, in denen widrige Verhältnisse das Skibergsteigen oft erschweren oder unmöglich machen, spielt die Region rund um Davos ihre Stärken aus. „Hier bei uns ist das Wetter meist besser als anderswo“, sagt Benz. Wind und Böen seien selten, dabei die Schneelage meist gut, da Schnee sowohl von Norden als auch von Süden kommen könne. „Davos ist eines der vielseitigsten Gebiete der Alpen“, sagt der Bergführer. Auch bei angespannter Lawinensituation seien hier fast immer Touren möglich. Insgesamt gibt es in der Davoser Region und dem nördlich angrenzenden Prättigau wohl um die 40 bis 60 Skitouren, schätzt Benz, der schon auf fast allen 4000ern der Schweizer Alpen gestanden ist. Auf Skiern die Nachbarorte Klosters oder Arosa zu erreichen, stellt ebenso wenig ein Problem dar, wie vom benachbarten Sankt Antönien aus ins österreichische Montafon hinabzugleiten.

Bei gutem Wetter kann man bis ins Engadin blicken

Sogar Einstiege in die „Bündner Haute Route“, eine der klassischen Skidurchquerungen der Ostschweiz, sind an mehreren Stellen möglich. Nach zweieinhalb Stunden Aufstieg ist die Gruppe auf dem „Hubel“ angelangt. Mit Bedacht hat Benz die Gruppe um ein, zwei unsicher erscheinende Engstellen mit gefährlichen Triebschneeansammlungen herumgeführt. Nach dem Gipfel-Strip - viele Skibergsteiger wechseln oben angelangt ihre durchnässten T-Shirts, um ein Auskühlen zu verhindern - gibt es eine Ess- und Trinkpause. Bei gutem Wetter könnte man nun bis ins Engadin blicken. Heute entscheidet sich Benz für einen schnellen Abstieg. Mit einem beherzten Ruck zieht er die Steigfelle von seinen Skiern und verstaut sie im Rucksack. Sekunden später klacken die Skibindungen. Abfahrbereit.

Dass der Chummerhubel seinen Namen nicht, wie oft fälschlicherweise berichtet, vom deutschen Wort „Kummer“ ableitet, sondern auf eine Alp weiter unten im Tal hindeutet, wird schnell klar. Trotz mäßiger Sicht ist die Abfahrt von dem Davoser Gipfel nämlich der Höhepunkt des Tages: Hunderte Höhenmeter gleichmäßig steiles Tiefschneevergnügen. Bei jedem Schwung stiebt der Schnee. Sogar Bergführer Benz, der rund 180 Tage im Jahr in den Bergen verbringt, kommt auf seine Kosten. Der Lohn des schweißtreibenden Aufstiegs - heute ist er besonders groß.

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