Die Politik in der Schweiz konzentriert sich verstärkt auf den Ausbau der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften richtet nun einen Lehrgang ein, in dem die Stärken und Schwächen der so genannten kantonalen Außenpolitik analysiert werden sollen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Zurüch - Steht es so schlecht um die Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz? Zuerst ernennt die Regierung in Bern 2012 einen Sonderbeauftragten für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Und dann wird in diesen Wochen an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) am Standort Winterthur ein Lehrgang eingerichtet, in dem die Stärken und Schwächen der so genannten kantonalen Außenpolitik analysiert werden sollen.

 

Doch als „schlecht“ will Max Schweizer das Verhältnis zwischen den beiden Nachbarn auf keinen Fall bezeichnen. Allerdings gebe es genügend Themen mit großem Diskussionsbedarf. Er nennt den Fluglärm, die Steuerflüchtlinge, grenznahe Kernkraftwerke und Atommüllendlager. Schweizer ist ehemaliger Diplomat und leitet nun an der ZHAW den Lehrgang zur „kleinen Außenpolitik“. „Wir hätten sicher auch einen Studiengang über das Verhältnis zu Peking oder Washington ins Leben rufen können, aber wir wollen uns zuerst einmal um die Probleme vor der eigenen Haustüre kümmern“, sagt er.

Die „Kleine Außenpolitik“ ist oft von Bern abgekoppelt

Ein Mann mit großen Erfahrungen auf diesem Feld ist Reto Dubach, Regierungsrat des Kantons Schaffhausen. „Unser Kanton hat eine 185 Kilometer lange Außengrenze“, verdeutlicht er, „davon sind nur 34 Kilometer mit den Schweizer Kantonen, der Rest mit Baden-Württemberg.“ Deswegen seien die Außenbeziehungen zwangsläufig sehr vielfältig, berichtet Dubach aus seiner täglichen Praxis. Aus Erfahrung weiß er auch, dass die „kleine Außenpolitik“ im direkten Grenzbereich von der „großen Außenpolitik zwischen Bern und Berlin“ in der Regel abgekoppelt sei – allerdings gibt es auch Ausnahmen. Dubach musste in den vergangenen Monaten zähneknirschend erkennen, dass etwa der Fluglärmstreit inzwischen mit großer Vehemenz auf höchster Ebene zwischen den Hauptstädten ausgefochten wird und sich negativ auf regional wichtige Projekte wie die geplante Elektrifizierung der Hochrheinbahn ausgewirkt habe.

Nicht zuletzt die Auseinandersetzung um den Anflug auf den Zürcher Flughafen hat in Bern offensichtlich die Erkenntnis reifen lassen, das Augenmerk verstärkt auf die gute Zusammenarbeit in den Grenzregionen zu legen. Dieser Wandel in der Ausrichtung hat auch mit dem neuen Schweizer Außenminister Didier Burkhalter zu tun. Im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Micheline Calmy-Rey, die in vielen Krisenregionen dieser Erde ihre neutralen Dienste als Vermittlerin anbot, will sich Burkhalter mehr um die Beziehungen zu den unmittelbaren Nachbarn kümmern.

Bern soll die Erfahrungen der grenznahen Kantone nutzen

Hinzu kommt das große Selbstbewusstsein der Schweizer Kantone gegenüber der Zentralregierung in Bern. Fast eifersüchtig wachen sie über ihre Kompetenzen und so pochen immer wieder vor allem die Grenzregionen auf Artikel 55 der Schweizer Bundesverfassung. Dieser besagt, dass die Kantone „an der Vorbereitung außenpolitischer Entscheide mitwirken, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen“.

Eine Stärkung der „kleinen Außenpolitik“ liege in der Natur der Dinge, erklärt Peter Grünenfelder, der Leiter der Staatskanzlei des Kantons Aargau. Sein Argument: „Wirtschaftsräume nehmen keine Rücksicht auf politische Räume.“ Deutsche würden in der Schweiz arbeiten und umgekehrt, Tausende führen in ihrer Freizeit zum Einkaufen ins Nachbarland. Die Globalisierung finde direkt vor der Haustüre statt, sagt Grünenfelder. Der Staatsschreiber fordert, dass die Erkenntnisse aus der „kleinen Außenpolitik“ auch in Bern stärker genutzt werden sollten.

Auch Christian Blickenstorfer, ehemaliger Schweizer Botschafter in Deutschland, unterstreicht die Bedeutung der Pflege gut nachbarschaftlicher Zusammenarbeit. Bei der Frage um ein Schweizer Atomendlager in Grenznähe habe sich etwa positiv bemerkbar gemacht, als die deutsche Seite in die Diskussion mit einbezogen worden sei. „Ich konnte den Deutschen aber nicht versprechen, dass sie dann auch bei der Volksabstimmung in der Schweiz mitmachen dürfen“, erklärt der ehemalige Diplomat. So weit reiche die Freundschaft nun auch wieder nicht.