Die Schweizer wollen die Zuwanderung aus der EU beschränken. Das Ergebnis der jüngsten Volksabstimmung sorgt noch immer für Aufregung – auch weil es viele Fragen aufwirft. Schweizer Diplomaten bemühen sich derweil um Schadensbegrenzung.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Schweizer Diplomaten haben im Moment ein sehr großes Problem. Sie müssen den Nicht-Schweizern erklären, weshalb die Eidgenossen sich jüngst in einer Abstimmung für die Begrenzung der Zuwanderung von EU-Ausländer ausgesprochen haben. „Interpretieren Sie den Entscheid nicht als Zeichen der Abschottung oder der Fremdenfeindlichkeit“, ist Irene Flückiger, Schweizer Generalkonsulin in Stuttgart, um Schadensbegrenzung bemüht. Alles sei gar nicht so schlimm, lautet ihre Botschaft, sie muss allerdings auch eingestehen, dass die Situation eine „sehr große Herausforderung“ für die Regierung in Bern darstelle, schließlich stehe die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der gesamten EU auf dem Spiel.

 

Doch nicht nur die Politik sucht einen Ausweg aus der scheinbar verfahrenen Situation, vor allem auch die Schweizer Wirtschaft bewertet das Abstimmungsergebnis als ein fatales Signal. Für einen internationalen Standort wie Zürich werfe das natürlich sehr viele Fragen auf, sagt Balz Hösly. Der Rechtsanwalt ist einer der Repräsentanten der „Greater Zurich Area“, einer Organisation, die Marketing für den Standort Zürich und Umgebung macht.

Der Schweizer „Dichtestress“

Zuerst aber wirbt Hösly, der auf Einladung des Generalkonsulats in Stuttgart einen Vortrag über den Standort Schweiz hielt, für Verständnis. Die Eidgenossen hätten im Vorfeld der Abstimmung immer wieder über den „Dichtestress“ geklagt, sagt der Jurist. Dieses Wort könne man in Baden-Württemberg kaum verstehen. Also verdeutlichte er das einem Zahlenbeispiel. Rechne man die Einwohnerdichte des Kantons Zürich auf Baden-Württemberg um, dann hätte das deutsche Bundesland fast 30 Millionen Einwohner, von denen rund 7,5 Millionen Ausländer wären. Diese Zahlen ließen die Zuhörer erahnen, was die Schweizer unter Dichtestress verstehen. Auch Hösly unterstreicht, dass die Abstimmung keine Absage an die EU sei, sondern Kritik an unkontrolliertem und zu schnellem Wachstum, das den beschränkten Lebensraum noch weiter beschneide.

Auf Impulse von außen angewiesen

Aber auch er lässt keinen Zweifel daran, dass das Votum den Standort Schweiz vorübergehend schwächen werde. Gerade der Innovationsraum Zürich sei auf die Impulse von außen angewiesen. „Aber langfristig werden wir das überwinden“, sagt Hösly. Erstaunt hat ihn, dass die Jugend dem Urnengang praktisch fern geblieben ist. „Nur gerade 17 Prozent der 18- bis 29-Jährigen gaben ihre Stimme ab“, erklärt der Jurist. „Diese verwarfen die Initiative mit 58 Prozent Nein-Stimmen aber am deutlichsten.“ Ein offensichtliches Ärgernis ist für ihn, dass ausgerechnet die Universitäten, die über unzählige Forschungsprojekte eng mit dem Ausland verflochten sind, vor der Abstimmung nicht die Stimme erhoben haben. Als Hochschule sei man zur Neutralität verpflichtet, so die lapidare Erklärung der Dozenten für ihre Zurückhaltung. „Ich einer direkten Demokratie bei so einer zentralen Frage kann ich dieses Argument nicht nachvollziehen“, sagt Hösly.

Trotz aller Kritik unterstreicht der Jurist, „dass ein Volksentscheid zu akzeptieren ist, man darf ihn aber auch nicht mystifizieren“. Das heißt, dass das letzte Wort in der Sache Zuwanderung noch nicht gesprochen ist. Irene Flückiger formuliert es diplomatisch: „Es kann sein, dass der Souverän noch einmal an die Urne gebeten wird, wenn die Folgen der Entscheidung in Gänze abzusehen sind.“