60 Meter lang und 90 Tonnen schwer: Ein Passagierflugzeug ist derzeit als Schwertransport auf der Autobahn in den Südwesten unterwegs. Wo soll es als Weihnachtsgeschenk landen?

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Geheimhaltung spielt bei der Bundeswehr eine große Rolle. Ganz besonders beim Kommando Spezialkräfte, der deutschen Elitetruppe zur Terrorbekämpfung in aller Welt, für die Geheimhaltung ein herausragende Rolle spielt. Doch diese Aktion wird sich kaum geheim halten lassen: Dieses Ungetüm, das gerade auf den Südwesten zurollt, hat am Donnerstag schon Hamburg in Erstaunen versetzt. Wenn ein Passagierflugzeug auf dem Landweg auf Reisen geht, dann müssen selbst Ampeln und Verkehrsschilder weichen. Aus dem Weg! Ein Airbus rollt auf den Südwesten zu.

 

Das Geheimnis hat die Bundeswehr eigentlich schon vor vier Jahren gelüftet. Im Herbst 2014 hatte der damalige Kommandeur Dag Baehr ein besonders aufsehenerregendes Spektakel angekündigt – „einen sehr umfangreichen Schwertransport“ eines Airbus-Passagierflugzeugs. Der sollte in wenigen Monaten von Stuttgart nach Calw im Nordschwarzwald, dem Sitz der Bundeswehreinheit, auf der Straße rollen. Der Brigadegeneral hatte sich aber getäuscht.

So ein Flugzeug ist einfach teuer

Denn der Preis für gebrauchte Passagierflugzeuge ist immens hoch. Da muss dann schon mal eine Million Euro hingeblättert werden – Geld, das der Etat der Bundeswehr nicht unbedingt für nicht militärische Einsatzmittel vorsieht. Dabei ist der Nutzen eines solchen Flugzeugs unumstritten: Geiselbefreiungen beispielsweise müssen an echten Objekten geübt werden. Wie es heißt, müssen die Elitesoldaten dafür bis nach Jordanien oder Nordamerika reisen.

Hätte der Brigadegeneral seinen Wunsch nur geheim gehalten. Denn es sah nicht danach aus, dass man in Stuttgart oder Söllingen je ein ausrangiertes Flugzeug bekommen würde, das auch nur einigermaßen finanzierbar wäre.

Das scheint nun aber, vier Jahre später, endlich gelungen zu sein. Darüber ist bei der Spezialeinheit in Calw nichts zu erfahren. Nicht, dass die Presseoffizierin unfreundlich wäre. „Wir können dazu leider keine Auskünfte geben“, sagt Hauptmann Nadine Henke. Vor allem aus Sicherheitsgründen.

Eine dramatische Bruchlandung

In Estland geht man mit dem Thema weitaus offener um. Denn dass die Spezialisten ihr Weihnachtsgeschenk nun doch bekommen, liegt an einem Zwischenfall, der sich am 28. Februar 2018 in der estländischen Hauptstadt Tallinn zutrug. Sechs Besatzungsmitglieder waren an diesem Tag in einem Airbus A 320 einer Chartergesellschaft auf Übungsflug unterwegs. Gegen 13 Uhr lokaler Ortszeit übten ein Pilot, ein Chefinstruktor und vier Auszubildende ein sogenanntes Touch-and-Go-Manöver – dabei setzt das Flugzeug kurz auf und startet durch.

Doch dann lief etwas gründlich schief. Die Maschine mit der Kennung ES-SAN verlor beim Steigflug an Leistung, sackte ab, schlug mit den Triebwerken am Boden auf, wurde dann doch wieder abgefangen. Der Pilot drehte eine Schleife, meldete eine Notlage und versuchte eine Notlandung. Der Airbus A 320, ohne Triebwerksleistung, setzte 150 Meter vor der Landebahn auf dem Boden auf. Reifen platzten, doch alles ging glimpflich ab: Es gab nur zwei Leichtverletzte. Die Bundesanstalt für Flugunfalluntersuchung aus Braunschweig wurde zu den Ermittlungen hinzugezogen.

60 Meter lang, 90 Tonnen schwer

Der Airbus flog danach nie wieder. Nach 45 000 Flugstunden und knapp 18 Jahren Betrieb war Schluss. Zum Glück für die Bundeswehr: Denn die estländische Firma Magnetic MRO, ein Spezialist für Wartung und Reparaturen von Großflugzeugen, machte das Beste aus dem Totalschaden. Die Maschine wurde zerlegt, verwertbare Teile verkauft. Und das große Ganze, der Rumpf und die Flügel, war bereit für einen Verkauf nach Deutschland. Für günstige 150 000 Euro. Und dann nochmals mit 150 000 Euro Transportkosten, wie das estländische Fernsehen berichtet. Ein Schnäppchen.

Dafür ist unter anderem das Stuttgarter Schwertransportunternehmen Paule zuständig. Die Firmenleitung gibt aus Geheimhaltungsgründen auch keine Details bekannt, bestätigt aber, dass der 60 Meter lange, fünf Meter breite und 90 Tonnen schwere Flugzeugtransport, der am Donnerstag in Hamburg gesichtet wurde, auf dem Weg in den Südwesten sei. Das Flugzeug war zunächst auf einem Frachtschiff über die Ostsee von Tallinn nach Travemünde unterwegs. Irgendwann wird das Flugzeug voraussichtlich im Raum Leonberg ankommen. Irgendwann zu Weihnachten. Und möglichst ohne Bruchlandung.